Der Nürburgring feiert Geburtstag. Die Grüne Hölle wird 90 Jahre alt. Abertausende von Fahrern haben auf der schwierigsten Rennstrecke der Welt zum Teil haarsträubende Dinge erlebt. Zum Jubiläum gratulieren wir dem Nürburgring mit Anekdoten von Rennfahrern, die viele Kapitel auf der Nord- und Südschleife der Eifelpiste mit geschrieben haben.
In Folge 1 meldet sich Jackie Stewart zu Wort. Natürlich nimmt sein GP-Sieg 1968 die Hauptrolle ein.
„Zu nass? Dann bleiben Sie eben zu Hause!“
„Für mich steht der Grand Prix am Nürburgring 1968 an erster Stelle meiner persönlichen Hitliste. Heute würde man so ein Rennen überhaupt nicht starten. Die Bedingungen waren geradezu grotesk. Regen, Nebel, praktisch null Sicht, und das bei 290 km/h auf der langen Gerade. Es wurde nicht einmal darüber diskutiert, den Start zu verschieben. Es gab auch keinen Charlie Whiting, der sich für uns Fahrer eingesetzt hätte. Der Veranstalter hätte uns beim leisesten Protest gesagt: Meine Herren, wenn Sie nicht fahren wollen, bleiben Sie zu Hause. Es gab auch keine Formationsrunde, um uns mit den Verhältnissen vertraut zu machen. Die erste Runde war eine Fahrt ins Ungewisse. Für mich wurde es so ein Tag, wo du aus welchen Gründen auch immer über dich hinauswächst.
Mit vier Minuten Vorsprung zu gewinnen war auch für die damalige Zeit ungewöhnlich. Am Ende der ersten Runde lag ich schon 30 Sekunden vorne. Ab da fuhr ich ein einsames Rennen. Für mich ging es nur darum, keine Fehler zu machen. Es war sehr schwer, sich die kritischen Punkte zu merken, weil sich in neun Minuten von einer Runde zur nächsten das Bild komplett ändern konnte. Ich versuchte mir die großen Pfützen einzuprägen, aber mit jeder Runde kamen neue dazu. Der größte Bach lief am Wippermann über die Straße. Je länger es regnete, umso mehr Schlamm wurde auf die Strecke geschwemmt.
Stewart mit Trick am Start
Ich hatte einen Startplatz in der dritten Reihe, weil ich ganzen Training keine trockene Runde fand. Schon beim Start habe ich mir einen Trick einfallen lassen. Damals waren Zielgerade und Boxen noch nicht durch eine Leitplanke voneinander getrennt. Der Boxenvorplatz bestand aus Betonplatten mit sehr viel Grip. Da bin ich beim Beschleunigen drauf gefahren und habe gleich mal fünf Autos überholt. In der Fuchsröhre bin ich an Chris Amon vorbei und kurz später an Graham Hill. Da lag ich schon in Führung. Die Nordschleife war 1968 bereits an der Grenze für Formel 1-Autos. Wir sind 13 Mal pro Runde gesprungen. Manche Sprünge gingen im fünften Gang. Wegen der hecklastigen Gewichtsverteilung war die Landung immer ein haariges Manöver. Du bist selten auf allen vier Rädern gelandet. Wer damals ernsthaft behauptete, dass er den Nürburgring liebe, war entweder nicht schnell genug oder dumm. Als Legastheniker habe ich mich auf dem Ring schnell zurechtgefunden. Statt Worten prägen sich bei mir Erfahrungswerte ins Hirn ein. Bis heute kenne ich noch jeden Schalt- und Bremspunkt.
Zwei Jahre später haben wir gegen immensen Druck von außen den Nürburgring boykottiert. Wir hatten im Juni gerade die Begräbnisse von Bruce McLaren und Piers Courage hinter uns. Jochen Rindt war zum Ring gefahren, um die Strecke zu inspizieren. Darauf trafen wir uns in einem Hotel in England und beschlossen, nicht zu fahren. Die Abstimmung stand auf der Kippe. Die einen trauten sich nicht, gegen den Nürburgring vorzugehen, die anderen wollten sich der Stimme enthalten. Da ist Jack Brabham, unser ältester Fahrer, aufgestanden und hat gesagt: Wenn wir Jackie jetzt im Stich lassen, fahren wir auf ewig auf unsicheren Rennstrecken. Der Veranstalter wollte das zuerst nicht wahrhaben. Wäre er nicht so borniert gewesen und hätte einen Teil unserer Forderungen erfüllt, hätten wir akzeptiert. Mit seiner Totalverweigerung hat er uns erst die Möglichkeit gegeben, ein Zeichen zu setzen, das überfällig war.“