Fester Händedruck, wacher Blick, frischer Kaffee in der Tasse. Der Gebrauchtwagen-Check im sächsischen Mittweida startet wie gewohnt: professionell und mit guter Laune. Nach wenigen Sekunden hat Meister Wünsch den Testkandidaten im Visier – einen schwarzen Nissan Micra Baujahr 2014. In drei Jahren hat sein 1,2-Liter-Benziner mit 98 PS gerade Mal 20.652 Kilometer gesammelt.
„Das ist sehr wenig, entweder war der Vorbesitzer schon im reiferen Alter, oder der Nissan lief als Zweitwagen“, mutmaßt Meister Wünsch und kniet sich vor die Front des Micra, drückt hier und da gegen die große Stoßstange, die den gesamten Kühlergrill einrahmt. „So ein fettes Teil bringt viele Kopfschmerzen bei den Spaltmaßen zur Haube und den Kotflügeln mit sich – da reicht meist schon ein kleiner Park- rempler, und der Eindruck eines schlecht behobenen Unfallschadens entsteht“, erklärt Meister Wünsch und fährt dabei in Zeitlupe über die erwähnten Spalte. Dabei findet er nichts, was ihm missfällt. Also startet er mit seinem routinierten Karosserie- Check und scannt dabei das Blechkleid des kleinen Nissan. Die perfekte Zeit, um mal eben schnell durch die Historie des Micra zu fliegen. 1982 kam der Kleinwagen – wie erwähnt – bei uns auf den Markt. Das war im Dezember. Und unter dem Namen Datsun Micra. Kurz danach entschied Nissan, die Marke Datsun einzustellen.
Die Micra-Modelle für den europäischen Markt kamen übrigens aus dem Nissan-Werk in Spanien. Erst ausschließlich als Zweitürer, später auch mit vier Türen.
Fünf Generationen – wenig Problemstellen
Mit Ausnahme einer Klappdach-Cabrioversion (2005 bis 2009) ging man beim Micra keine Experimente ein. Nissan ignorierte auch lange die gängige Mode, Modelle immer weiter wachsen zu lassen. Zumindest bis zur fünften Generation, die im März 2017 erschien und deutlich geräumiger daherkommt als alle Micra zuvor.
„Schade“, ruft Meister Wünsch dazwischen. „Ich bin kein Fan davon, ein Kleinwagen muss keine vier Meter lang sein. Es bringt keine wirklichen Vorteile in der Stadt, wo es bei der Parkplatzsuche doch längst um jeden Zentimeter geht.“ Er steht auf Höhe der Fahrertür und hat das Serviceheft in der Hand: „Vorbildlich abgestempelt.“
„Die Karosse weist abgesehen von zwei kleinen Dellen keinerlei Schäden auf – die Frontscheibe keine Steinschläge. Die Fensterdichtungen sind frei von Moos, was die Vermutung nahelegt, dass dieser kleine Wagen meist in einer Garage schlafen durfte.“ Meister Wünsch schaut zufrieden und fragt: „Bereit für eine Probefahrt?“
Zehn Minuten später schnurrt der Dreizylinder Richtung Ortsausgangsschild. Die 142 Nm Drehmoment stehen dem 1,2-Liter-Herz gut, was dem angeflanschten Kompressor zu verdanken ist. In rund elf Sekunden zieht der Benziner den Micra aus dem Stand auf Tempo 100 – und überzeugt auch beim Durchzug. Da muss das Fünfganggetriebe nicht oft bemüht werden.
Meister Wünsch schaltet trotzdem mehrfach durch, um die Leichtgängigkeit und die Kupplung zu überprüfen. Auf schlechtem Fahrbahnbelag lauscht er ganz genau, um Schäden am Fahrwerk und in der Lenkung auszumachen. Fehlanzeige. Der Micra scheint gut in Schuss zu sein. So wie sein Innenraum. Es ist zwar kein überschwänglicher Luxus anzutreffen, aber die gebotene Verarbeitung passt zu einem Kleinwagen. Funktional und übersichtlich. Mit praktischen Helferlein wie Klimaanlage, Regensensor, Tempomat, Freisprecheinrichtung, Einparkhilfe hinten und sogar einem kleinen Navigationssystem.
Spurstangenköpfe müde? Federn gebrochen?
Meister Wünsch ist begeistert: „Da fehlt nichts.“ Und fügt hinzu: „Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie das Schmuckstück von unten aussieht.“ Bevor er den Nissan auf die Hebebühne rollt, geht’s auf den Bremsenprüfstand. Hier kann er überprüfen, wie kräftig die Bremsen des Nissan zupacken – und ob sie dies gleichmäßig tun. „Das machen sie“, ruft der Meister und lässt den Nissan auf der Bühne nach oben schweben.

Auf halber Höhe checkt er die Dicke der Bremsklötze, die bei dem Kilometerstand noch nicht verschlissen sein dürften. Sind sie auch nicht. Auch die Fahrwerksfedern und Achsmanschetten machen einen hervorragen- den Eindruck.
Als Nächstes inspiziert der Meister die Spurstangenköpfe auf Verschleiß. „Erhöhtes Spiel in der Lenkung wäre ein Anzeichen dafür.“ Nicht so in diesem Fall. Zudem schwitzt die Ölwanne des kleinen Dreizylinders nicht.
Überhaupt hat der Nissan Micra keine typischen Problemstellen, wie etwa rasselnde Steuerketten, rostende Auspuffanlagen oder unterdimensionierte Achsaufhängungen.
„Die meisten Probleme des Micra fallen unter die Rubrik ‚normaler Verschleiß‘. Da halten sich die Reparaturen preislich im Rahmen“, erläutert der Meister und zeigt auf die Brems- und Kraftstoffleitungen: „Die sind gut verlegt und teilweise von Kunststoff ummantelt, da hat Rost keine Chance.
Da haben wir hier in der Werkstatt oft ganz andere Kleinwagen von VW und Opel zu Besuch, die nicht so fit sind, aber einiges mehr kosten.“
Das Fazit von Meister Wünsch lautet heute daher: „Der Nissan Micra ist ein vergleichsweise unauffälliger, dafür aber zuverlässiger Typ, der mit etwas Pflege ein langes Leben vor sich hat.“
Bleibt uns der Blick auf die Gebrauchtwagenpreise des Nissan Micra: Zwei Jahre alte Modelle mit rund 15.000 Kilometern auf der Uhr starten bei nicht mal 7.000 Euro. Sitzheizung und Navi inklusive, dann aber mit „nur“ 80 PS unter der Haube. Soll es die – wie hier vorgestellt – Kompressorversion mit 98 PS sein, starten Modelle aus 2014 (mit rund 20.000 Kilometern) bei knapp unter 9.000 Euro. Diese verfügen meist über hochwertige Ausstattungen.