Zahlreiche Ausfälle, zwei rote Flaggen und ein gigantischer Schreckmoment: Die Gen3-Evo-Ära startete mit mehr als einem Knall. Im Sambódromo do Anhembi ergänzte das Allrad-Update wie erhofft massiv Schärfe. Die größten Gewinner der zusätzlichen Power aus der Front waren zunächst Porsche und Nissan.
Weltmeister Wehrlein führte vor Oliver Rowland (Nissan) und Jake Dennis (Andretti-Porsche) die Top 3 der Qualifikation an. Der deutsche DS-Neuzugang Maximilian Günther sowie António Félix da Costa (Porsche) erhöhten auf die besten Fünf. Ein Technikdefekt ließ Mitch Evans auf den letzten Rang abstürzen.

Nach der Pole-Position von Pascal Wehrlein und dem zweiten Platz von Oliver Rowland sah es zunächst nach dem Duell Porsche vs. Nissan aus.
Safety-Car und Attack-Mode-Chaos
Gleich zu Beginn gab Wehrlein die Führung ab. Wie in der Vorsaison war absehbar, dass die für Formel-E-Verhältnisse langen Geraden eine Energiespar-Orgie provozieren würden. Während des anfänglichen Durcheinanders rutschte Nico Müller (Andretti-Porsche) zusammen mit Maserati-Neuling Jake Hughes hart in die Mauer – die erste Unterbrechung ab Runde 2.
Die Wiederfreigabe war ebenso der Startschuss für die Attack-Modes. Tatsächlich brachte die Erweiterung des vorher nur Energie speichernden Frontmotors um eine Power-Abgabe den erhofften Zeitensprung. Wie schon in den K.o.-Duellen der Qualifikation machte es mehrere Sekunden gegenüber den anderen aus. Bis ins zweite Renndrittel hinein kam die TV-Regie bei den diversen Überholmanövern kaum hinterher.
Auch Aussagen über die Kräfteverhältnisse blieben nahezu unmöglich. Erst schien Porsche abgeschlagen, doch dann katapultierten die Strategen das Duo wieder nach oben. Eine durchweg fantastische Pace zeigte derweil Nissan-Mann Rowland. Der aber Grund zur Sorge hatte: Alle anderen Renner mit Nissan-Power wurden in der elften Runde mit einer Durchfahrtsstrafe für "Overpower" bestraft.

McLaren-Nissan erlebte eine fürchterliche erste Rennhälfte. Die zweite hatte mit dem Papaya-Duo aber noch einiges vor.
Rot durch Technik und Wehrlein-Flug
In der 21. von ursprünglich 31 angesetzten Runden musste Renndirektor Marek Hanaczewski, der seinen durch persönliche Gründe verhinderten Chef Scot Elkins vertrat, die erste der zwei roten Flaggen ausrufen. Jake Dennis' Andretti-Porsche gab in der ersten Kurve seinen Geist auf, verpasste nur knapp die Konkurrenz und stand mit roter Leuchte abschließend im Off. Das bedeutet: höchste Gefahr durch die Strom-Technik.
Die größten Profiteure dieser Entwicklung waren die Werks-Jaguar, die beide noch Extra-350-Kilowatt nutzen durften. Als ob das Rennen nicht schon dramatisch genug gewesen wäre, entschied sich der Pole Marek Hanaczewski für einen stehenden Neustart – also nochmal mit dem temporären Allrad in unter zwei Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Wie zu Beginn zeigten die Piloten extrem viel Mut. Rowland, Günther und Da Costa bildeten da die Top 3. Evans nutzte zügig den angeführten Attack-Mode-Vorteil und stürmte auf den ersten Platz vor. Parallel holte das Nissan-Schicksal Rowland ein, der die vierte Drive-Through aufgehalst bekam. Während sich die Nissan-Ingenieure ärgerten, zeigte das TV-Bild Schockierendes im 30. Umlauf: Wehrlein war im Getümmel kopfüber in die Wand gekracht.
Langes Bangen, dominantes Evans-Wunder
Vorher hatte er sich mit Nick Cassidy nicht einigen können, der Rest verlief denkbar ungünstig. Mehrere Minuten sollte keine Entwarnung gegeben werden, doch schlussendlich hatte Wehrlein einen Weg raus aus dem Wrack gefunden. Nachdem die ersten Untersuchungen positiv ausgefallen waren, schickte das Porsche-Team ihn in ein Krankenhaus. Trotzdem zeigte sich Gesamtprojektleiter Florian Modlinger erleichtert.
Durch die Verlängerung des Rennens um vier Runden hielt das Dauer-Spektakel weiter an. Die letzte Wiederfreigabe lieferte Spannung im Kampf um den Auftaktsieg. Da Günther durch einen Schaden nach hinten gefallen war, lagen Mitch Evans und Da Costa vorne. Doch hinter ihnen leuchtete es plötzlich Papaya.

Beim Brasilien-Trip im März musste sich Evans denkbar knapp Bird geschlagen geben. Nun schlug er zurück.
Katastrophen-Rennen endet auf Podium
Das McLaren-Nissan-Duo Sam Bird und Taylor Barnard hatte allen voran durch die Strafen eigentlich einen Auftakt zum Vergessen. Doch fleißiges Sparen sowie die günstigen Unterbrechungen spülten beide ins vordere Feld. Besonders Barnard besaß einen massiven Vorteil bei der verfügbaren Restenergie.
Mitch Evans ließ sich die Ehre des ersten Gen3-Evo-Triumphs jedoch nicht mehr nehmen. Dabei lernte er auch aus der bitteren Brasilien-Niederlage der letzten Saison. António Félix da Costa zeigte parallel seine Art von Lektion: Diesmal punktete er als Zweiter direkt zu Beginn massiv. Abgerundet wurde der historische Tag von Barnard, dem jüngsten Podiumspiloten der bisherigen Serien-Geschichte.
Weiter geht es am 11. Januar in Mexiko-Stadt. Obwohl die Rennen dort traditionell weniger dramatisch sind, versprechen der enge Wettbewerb und Game-changer Allrad auch auf dem verkürzten Formel-1-Kurs wieder viel Unterhaltung. Kann Pascal Wehrlein dort auf das Drama passend antworten?