403 Überholmanöver, ein intensiver WM-Kampf und eine Art "Spygate light": Das allererste Rennwochenende der Formel E auf dem unter anderem aus der IndyCar-Serie bekannten Portland International Raceway bot wie erwartet extrem viel Action. Denn gleich in mehreren Aspekten unterscheidet sich der 1961 eröffnete, flüssig-schnelle Traditionskurs in Oregon stark vom Standard der Elektro-Serie – und fordert so von den Piloten einen komplett anderen Ansatz.
Jake Dennis (Andretti-Porsche) erzählte: "Es ist schön, hier die Limits der Autos ausreizen zu können – besonders in den Highspeed-Kurven." Im Rennen selbst erlebten die 22 Piloten eher bei den Sparwerten eine radikale Grenzerfahrung. Einige Fahrer beschwerten sich bitterlich über das mittlerweile zum Status quo gewordene Bummeltempo.

Wehrlein und Evans stolpern
Wie so häufig seit der Einführung des Quali-Turniers brachte bereits der Morgen reichlich Drama für große Namen. Mit dem noch in der WM führenden Pascal Wehrlein und seinem Jaguar-Rivalen Mitch Evans blieben gleich zwei große Namen am Ende des Feldes hängen. Nach dem Aufwärtstrend in Jakarta war der final 18. Startplatz für Wehrlein ein herber Dämpfer.
Auch wegen eines Frontschadens wurde das Rennen anschließend zu harter Arbeit für den Deutschen. Immerhin bedeutete der achte Rang etwas Schadensbegrenzung. Der bereits durch die Qualifying-Punkte entthronte Werksfahrer ärgerte sich: "Das war ein ganz seltsames Rennen. So chaotisch mit so vielen Autos nebeneinander – das hatten wir in dieser Saison noch nie."
Besonders das nicht genutzte Potenzial nervte ihn. "Vor allem in der zweiten Rennhälfte war alles sehr eng, und ich habe immer wieder Plätze verloren. Heute wäre sicherlich mehr möglich gewesen." Mitch Evans, der nach schwerwiegenden Batterieproblemen nur von der 20. Position aus ins Rennen gegangen war, sollte hingegen mit P4 einen um Etliches besseren Nachmittag im Nordwesten erleben.

Porsche-Kunde Dennis nervt Werk
Jake Dennis holte sich im großen Final-Duell gegen den Nissan-Youngster Sacha Fenestraz seine erste Saison-Pole. Die Top 5 wurde von Norman Nato (Nissan), René Rast (McLaren-Nissan) und dem Jakarta-Triumphator Maximilian Günther (Maserati-DS) abgerundet.
Der spätere Sieger Nick Cassidy (Envision-Jaguar) gab sich mit dem zehnten Rang zufrieden. "Es lief nicht perfekt, und vielleicht wäre etwas um P6 herum möglich gewesen. Wegen des Pace-Rückstands auf die Top-Autos galt es, smart im Rennen vorzugehen."

Cassidy arbeitet sich früh nach vorne
Im Anschluss an die im US-Sport unverzichtbare Patriotismus-Party – inklusive eines Überflugs zweier fröhlich qualmender Kampfflugzeuge – gingen die Elektro-Racer in den Tiefflug über. Zunächst gönnte das fleißig im Pulk energiesparende Feld Dennis die Führungsarbeit.
Der größte Gewinner des Auftaktumlaufs war Nick Cassidy, der bis auf den fünften Rang voreilen konnte. Danach mischte der Neuseeländer in einer Kampfgruppe mit, die neben Dennis auch die Nissan-Werksfahrer, deren Kunden von McLaren, Maximilian Günther und Porsche-Pilot António Félix da Costa umfasste. In ihrem wilden Hin und Her etablierte sich Cassidy in der vierten Runde erstmals in Führung.

Harter Crash von Nico Müller
Zwei Safety-Car-Phasen und entsprechendes Taktieren mit dem Attack-Mode wühlten das Feld fortwährend um. Für die erste Neutralisierung war der stehen gebliebene Mahindra-Mann Roberto Merhi verantwortlich. Die zweite war mit einem harten Schreckmoment verbunden, als Nico Müller (Abt-Mahindra) in die naturgemäß fernere, aber ebenso harte Streckenbegrenzung hinausrutschte.
Der 27g-Crash des Schweizers wurde von losen Teilen seines vorher beschädigten Frontflügels ausgelöst, auf denen Müller kontrolllos von der Strecke surfte. Den Restart zu Beginn der 17. Runde führte Norman Nato an. Dahinter lagen Nick Cassidy, Maximilian Günther, Edoardo Mortara (Maserati-DS) und António Félix da Costa.

Dennis attackiert in der letzten Runde
Nachdem die Nissan-Antriebe endgültig durchgereicht worden waren, zeichnete sich ein enger Kampf zwischen Vertretern von Porsche (da Costa und Dennis), Jaguar (beide Werks- und Kundenfahrer) und DS (Günther) ab. In den zusätzlichen vier Umläufen des ursprünglich 28 Runden langen Rennens konnte sich erst keiner so richtig absetzen, aber Cassidy, da Costa und Dennis schienen die besten Karten zu haben.
Sicher mit großem Wohlwollen verfolgte Cassidy, wie sich die beiden Porsche-Verfolger in der letzten Runde hart attackierten. Fast wäre die womögliche Schadenfreude allerdings ins Gegenteil gekippt, als Dennis mit Schwung an da Costa vorbeiging und noch an Cassidy heranflog.
Es sollte jedoch für den nun Zweiten der WM-Tabelle reichen. Cassidy berichtet: "Wir hätten uns nicht mehr von diesem Tag erhoffen können. Bei noch vier ausstehenden Rennen habe ich nur einen Punkt Rückstand auf Dennis in der Weltmeisterschaft." Weiter geht es mit einem Doppellauf in Rom (15./16. Juli).

Rekordstrafe für DS
Der skurrile Höhepunkt des Portland-Debüts war eine Rekordstrafe für das DS-Penske-Team: 25 000 Euro und Rückversetzung ans Ende des Felds nach der Quali. Der Grund sorgte für Irritationen.
Die Mannschaft hatte laut der FIA einen eigenen RFID-Scanner (Radio-Frequenz-Identifikation) anfangs der Boxengasse installiert, um "Live-Daten" der anderen Autos zu sammeln. Fahrer Jean-Éric Vergne widersprach angesäuert: Das System erkenne nur die Reifen. Aber er stimmte zu, dass der Scanner wohl nicht in der Pitlane hätte stehen dürfen.