Die Formel 1 kommt nicht zur Ruhe, obwohl die Weltmeisterschaften schon entschieden sind. Da wären der Horror-Unfall von Romain Grosjean, den Pietro Fittipaldi im zweiten Bahrain-Rennen ersetzt. Die Corona-Erkrankung von Lewis Hamilton. Der Leihvertrag zwischen Mercedes und Williams, damit George Russell in den Silberpfeil springen kann. Jack Aitken als Russell-Ersatz bei Williams. Die Bekanntgabe von Haas, 2021 mit Mick Schumacher und Nikita Mazepin zu starten.
Die Nachrichten überschlagen sich. Und dann steht am kommenden Wochenende auch noch eine Strecke auf dem Programm, die auf dem Papier ein verrücktes Rennen bringen sollte. Die Fahrer erwarten auf dem Outer Circuit von Bahrain "beklopptes Racing", wie sie es formulieren. Weil die Strecke nur 3.543 Meter kurz ist, von den elf ausgewiesenen Kurven eigentlich nur fünf echte dabei sind und die Autos aufgrund der drei langen Geraden überwiegend im Vollgas-Modus unterwegs sein werden.
Mercedes geschwächt
Mercedes ist durch den Ausfall von Hamilton geschwächt. Russell wittert seine große Chance, sich bei den Weltmeistern für 2022 zu empfehlen. Valtteri Bottas muss den Grand Prix von Sakhir eigentlich gewinnen, ist aber seit Ende September ohne Sieg und wird vom Pech verfolgt. Am letzten Wochenende humpelte sein Mercedes zwei Mal mit schleichendem Plattfuß um die Piste. Das klingt nach einer guten Gelegenheit für Red Bull und Max Verstappen, wären da nicht die langen Geraden.
Im Mittelfeld führte McLaren im ersten Bahrain-Rennen eine kleine Vorentscheidung herbei. 17 Punkte auf Racing Point bei noch zwei ausstehenden Grand Prix sind aber kein Ruhepolster. Ein verrückter Rennsonntag, und alles kann schon wieder anders sein. Das zweite Bahrain-Rennen könnte genau zu so einem verrückten Rennen werden. Ausgang ungewiss.

Die Strecke: Bahrain International Circuit – Outer Track
Der sogenannte Outer Track – der äußere Streckenteil des Bahrain International Circuit – ist die sechste neue Strecke im Rennkalender 2020 nach Mugello, dem Nürburgring, Portimao, Imola und der Türkei. Die Piste unterscheidet sich allerdings in ihren Eigenschaften. Das zweite Layout, auf dem in Bahrain gefahren wird, ist keine Strecke, die das Fahrerherz höher schlagen lässt.
Die Herausforderung ist eine anders. Es gibt im Prinzip fünf Kurven, in denen der Fahrer tatsächlich gefordert ist: Kurve 1, 4, die Schikane 7,8 und die Zielkurve 10. In den restlichen Kurven sollten sie einfach voll auf dem Gas stehen. "Ich rechne damit, dass das Feld innerhalb einer Sekunde liegen wird. Jeder Fehler wird dadurch noch härter bestraft. Du hast nicht genug Kurven, um die Zeit wieder aufzuholen", sagt Hamilton-Vertreter Russell.
Die Simulationen berechnen auf der 3,543 Kilometer langen Strecke Rundenzeiten von unter einer Minute. Der Outer Track ist damit die kürzeste Piste im diesjährigen Kalender. Zum Vergleich: Monte Carlo, das 2020 abgesagt wurde, ist mit einer Distanz von 3,337 Kilometern noch einen Tick kürzer. In der Qualifikation könnten die Rundenzeiten bei 54 bis 55 Sekunden liegen.
Die Fahrer prophezeien ein Verkehrschaos. "Es wird verrückt werden. Jeder wird nach der passenden Lücke und nach Windschatten suchen", glaubt Renaults Esteban Ocon. Vor allem in Q1, wenn alle Piloten gleichzeitig auf der Bahn sein könnten, droht Stau am Boxenausgang und vor der Zielkurve. 20 Autos bei einer Rundenzeit von unter 60 Sekunden: Da muss man kein Mathematiker sein, um zu erahnen, wie wild es zugehen wird.
Im Prinzip muss man sich fünf bis sieben Sekunden zurückfallen lassen, um den Turbulenzen des Vordermanns auszuweichen. Auf der anderen Seite werden die Fahrer nach Windschatten suchen. Da braucht es den richtigen Abstand, um sich einerseits vom Vordermann ziehen zu lassen, andererseits in den wenigen Kurven nicht zu viel Anpressdruck zu verlieren. Das wäre kontraproduktiv.
In den Trainings werden wir sicher erleben, wie die Teams mit ihren Fahrern untereinander das Windschattenfahren üben. Der eine zieht den anderen – und umgekehrt. Man wird es tun müssen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie effektiv Windschatten auf dem Outer Track tatsächlich ist. Die Fans werden wegen des Verkehrs viele fluchende Fahrer am Boxenfunk hören. "Stellt euch auf viele Klagen und Gemaule im Funk ein", sagt Alpha Tauri-Pilot Pierre Gasly. Nicht nur in der Qualifikation, sondern auch im Rennen bei Überrundungen.
Für das Rennen zieht der Franzose einen Vergleich. "Das wird eine Art Mini-Version der Formel 1 des Indy500. 75 bis 80 Prozent der Runde machst du nichts anderes, als voll auf dem Gas zu stehen." Mit dem Unterschied, dass es drei harte Bremszonen gibt und ein paar langsame Kurven, wie am Anfang und Ende der Runde oder die Schikane im Mittelteil.
Die Fahrer werden weniger gefordert sein als ihr Kommandostand. Die Strategen müssen den Überblick behalten, was auf der kurzen Runde gar nicht einfach wird. Es bleibt ihnen weniger Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Ihre Autos kommen alle 60 statt 90 Sekunden an der Boxenmauer vorbei. Die Kommunikation wird einer der Schlüsselfaktoren.
Überholen sollte mit zwei DRS-Zonen und drei langen Geraden ähnlich einfach sein, wie vor einer Woche. Sollte man meinen. Doch aufgepasst: Auf der kurzen Runde kann man weniger Unterschiede machen. Deshalb könnte es durchaus auch passieren, dass sich im Rennen ein langer Zug bildet, indem jeder, bis auf den vorausfahrenden Fahrer, DRS hat. Und dann wäre das Überholen doch komplizierter.

Fast Facts zum Sakhir Grand Prix
- Streckenlänge: 3,543 km
- Rundenzahl: 87
- Renndistanz: 307,995 km
- Anzahl Kurven: 11 ( 3 links / 8 rechts)
- Distanz Pole zur ersten Bremszone: 352 Meter
- Reifen: C2/C3/C4
Das Setup
Mercedes geht von einem Volllastanteil von 74 Prozent aus. Die Zeit muss man auf den Geraden und in den langsamen Kurven machen. Der Trainingsfreitag bekommt eine hohe Bedeutung. Die Teams kennen den Outer Track nicht. Es gibt kaum Referenzen. Deshalb müssen sie Daten sammeln. Und die Fahrer müssen sich einschießen.
Die Teams werden mit unterschiedlichen Flügeln experimentieren. Auch die äußere Streckenversion dürfte einen gewissen Kompromiss bei der Aerodynamik-Konfiguration verlangen. Ähnlich wie am ersten Bahrain-Wochenende auf der 5,412 Kilometer langen Variante. Jedoch verbringen die Autos weniger Zeit in den Kurven. Dadurch werden auch die Reifen weniger strapaziert. Heißt: Man kann es sich erlauben, mit weniger Abtrieb zu fahren, weil man die Pirellis nicht zu stark schützen muss. Pirelli liefert wieder die Mischungen C2 bis C4.
In der Qualifikation könnte ein Auto in den zwei DRS-Zonen zu viel Luftwiderstand durch den offenen Heckflügel kaschieren. Doch im Rennen wäre man ein zu leichtes Opfer mit zu viel Abtrieb. Deshalb spricht viel für weniger Anpressdruck.
Sektor eins und drei sind weitgehend deckungsgleich mit dem ersten Rennwochenende. Der Mittelabschnitt wird Neuland. Ab Kurve vier biegen die Fahrer nicht nach rechts ab, sondern lenken direkt nach links. In Kurve neun endet das Verbindungsstück zwischen neuem und gewohntem Teil.
Der Asphalt soll im Mittelsektor von seiner Beschaffenheit zwar derselbe sein, allerdings weitaus grüner und weniger griffig. Weil der Outer Track zu selten benutzt wird. Esteban Ocon ist im Simulator noch etwas aufgefallen. "Im Mittelteil ist es ziemlich holprig. Die Schikane hat einen ziemlich hohen Randstein. Es wird nicht so einfach, die passende Bodenfreiheit zu finden." Topspeed, Bremsstabilität, Traktion: Das werden die entscheidenden Faktoren.

Die Favoriten
Der Top-Favorit fällt aus. Lewis Hamilton hat Corona. Damit endet auch seine Siegesserie von zuletzt fünf Rennerfolgen in Serie. Bottas und Verstappen rücken automatisch in die Favoritenrolle. Doch Red Bulls Speerspitze warnt. "Auf dem Papier ist das keine Strecke für uns. Wir müssen im kurvigen Teil mehr Pace finden im Vergleich zur Vorwoche. Dann könnten wir bei der Musik sein." Auf den Geraden sollte Mercedes durch den Motor einen Vorteil haben. Der W11 ist auch bei der Effizienz (gewonnener Abtrieb zu Luftwiderstand) die Messlatte.
Im Prinzip sollten die Teams mit Mercedes-Motor gut aussehen. Also das Werksteam mit Bottas und Russell sowie die Kunden um Racing Point und Williams. Racing Point könnte mal wieder im Mittelfeld auftrumpfen, Williams das Hinterfeld aufmischen. Wobei: Williams verliert mit Russell seine Q2-Garant. Schlechte Karten haben Ferrari, Alfa Romeo und Haas. Weil ihre Motoren zu wenig Power haben.
McLaren rechnet sich gute Chancen aus. "Lange Geraden, harte Bremspunkte, wenig Abtrieb: Das sollte unserem Auto liegen", sagt Teamchef Andreas Seidl. Doch der Bayer will nicht zu hohe Erwartungen wecken. "Ein Zehntel hin oder her wird in der Qualifikation einen großen Unterschied machen." Im Mittelfeld könnte das Zehntel dieses Mal nicht über drei, sondern vielleicht sechs bis acht Plätze entscheiden. Heißt: Alle werden versuchen, ihre Runde ganz zum Schluss von Q3 zu fahren, wenn die Streckenbedingungen am besten sind. Da könnten wir ein zweites Monza erleben. 2019 standen sich neun der zehn Piloten auf der Highspeedstrecke am Ende von Q3 gegenseitig im Weg.
Der Zeitplan
Es wird das zweite Nachtrennen in Folge. Die Startzeiten unterscheiden sich dennoch vom ersten Bahrain-Wochenende. Die Formel 1 hat sich dazu entschieden, Trainings, Qualifikation und Rennen nach hinten zu schieben. Das Highlight steigt ab 18:10 Uhr deutscher Zeit – also drei Stunden später als vor einer Woche.