Die Formel 1 wagt einen neuen Anlauf, um endlich Amerika zu erobern. In Indianapolis wurde der Grand Prix-Zirkus nie richtig heimisch. Ob es an der Micky-Maus-Strecke im Infield des 2,5 Meilen-Ovals lag? Oder am Reifen-Skandal in der Saison 2005 als nur sechs Autos an den Start gingen? So genau weiß man das nicht. Klar ist nur, dass 2007 Schluss war mit der Formel 1 in der Suppenschüssel.
In Texas soll alles besser werden. Für rund 400 Millionen US-Dollar wurde erstmals eine permanente Rennstrecke speziell für die Formel 1 auf amerikanischem Boden errichtet. Unter der Regie des deutschen Architekten Hermann Tilke wurde in nur anderthalb Jahren eine Grand Prix-Arena der Extraklasse aus dem Wüstenboden gestampft. Die Begeisterung in Texas ist groß. Die 130.000 Tickets waren innerhalb weniger Wochen vergriffen.
Die Premiere in Austin wäre ein perfekter Rahmen für den dritten WM-Titel von Sebastian Vettel. Der Deutsche führt die Fahrerwertung vor den letzten beiden Rennen mit zehn Punkten an. Gewinnt er in Austin muss sein einziger Konkurrent Fernando Alonso mindestens Vierter werden. Fällt der Spanier aus, reicht Vettel schon ein Podiumsplatz zum vorzeitigen Titelgewinn. Auch die Entscheidung im Konstrukteurspokal steht kurz bevor. Will Ferrari Red Bull hier noch abfangen, müssten die Italiener schon einen Doppelsieg landen.
Die Strecke: Circuit of the Americas
Statistisch gesehen ist der Circuit of the Americas eigentlich eine eher durchschnittliche Rennstrecke. Eine Runde ist 5,516 Kilometer lang und besteht aus 20 Kurven - davon elf links und neun rechts herum. Gefahren wird gegen den Uhrzeigersinn. Das Rennen führt über 56 Runden - insgesamt also 308,896 Kilometer. Die Durchschnittsgeschwindigkeit wurde mit rund 200 km/h berechnet, Top-Speed ca. 315 km/h. Soweit so normal. Doch die nackten Zahlen erzählen nur die halbe Geschichte.
Nach den Simulationen der Teams hat die nagelneue Strecke mehr schnelle Kurven über 250 km/h als Spa. Vor allem die S-Kurven im ersten Sektor, die an Suzuka oder Silverstone erinnern, haben es in sich. Austin hat aber auch langsame Passagen zu bieten - vor allem im hinteren Streckenteil. Hier gibt es mehr Kurven unter 100 km/h als in Ungarn. Dazu eine lange Gerade von einem Kilometer Länge mit einer perfekten Überholmöglichkeit am Ende.
Die extremen Tempounterschiede zwischen den einzelnen Streckenteilen sind aber nur eine Herausforderung. Besonders in Erinnerung bleibt der Circuit of the Americas den Fahrern wohl wegen der markanten Höhenunterschiede. Nach dem Motto "Klotzen statt Kleckern" wurden in der platten Wüste mehrere Hügel aufgeschüttet. Vor allem die Anfahrt auf Kurve 1 hat es in sich. Hier geht es eine "Wand" bis auf 41 Meter Höhe hinauf. Brems- und Einlenkpunkte sind in den vielen blinden Kurven der "Texas-Achterbahn" nicht einfach zu finden.
Fast Facts zum GP USA:
Höchste Querbeschleunigung: 3,7g (für 4 Sekunden in den Kurven 10/11)
Längste Vollgaspassage: 1.000 Meter (zwischen Kurve 11 & 12)
Anteil der Bremsphasen an der Rundenzeit: 14 Prozent
Anteil der Geraden an einer Runde: 45 Prozent
Anzahl der Gangwechsel pro Runde: 59
Vollgasanteil auf einer Runde: 63 Prozent
Geringste Geschwindigkeit: 75 km/h (Kurve 11)
Höchste Kurvengeschwindigkeit: 280 km/h (Kurve 3)
Distanz von der Pole Position bis zur ersten Kurve: 200
Top-Speed: 315 km/h
Das Setup:
Die Computer in den Technikbüros liefen zuletzt heiß. Mit den Daten der Laservermessung gefüttert haben die Simulationen ein Basis-Setup berechnet. Der extreme Mix aus langen Geraden sowie ultraschnellen und sehr langsamen Kurven macht es den Ingenieuren allerdings nicht einfach, den richtigen Kompromiss zu finden. Dazu kommt noch das Fragezeichen in Sachen Grip. Niemand weiß, wie rutschig der neue Asphalt in Texas ist und wie sich die Bedingungen im Laufe des Wochenendes entwickeln.
Pirelli geht auf Nummer sicher und bringt die beiden härtesten Mischungen "medium" und "hart" zur Texas-Premiere. Da die Rundenzeit eher in den Kurven als auf der Geraden gemacht wird, sind die Flügel in Richtung maximaler Abtrieb ausgelegt. Der topfebene Asphalt erlaubt eine geringe Fahrzeughöhe. Die Beschaffenheit der Kerbs ist allerdings noch unbekannt. In den vielen schnellen Kurven müssen die Autos stabil liegen. Ganz hart werden die Dämpfer wohl aber nicht gestellt. Auf den langsamen Ecken am Ende der Runde ist Traktion gefragt. Hier ist etwas mehr Spiel auf der Hinterachse gewünscht.
Die Updates:
Das vorletzte Rennen der Saison hat traditionell keine großen Neuigkeiten an der Technikfront zu bieten. Der enge Kampf zwischen Red Bull und Ferrari könnte das allerdings ändern. Beide Teams haben angekündigt, die alten Autos bis zum Saisonfinale weiterzuentwickeln. Für die anderen Teams gilt es, Daten für die kommende Saison zu sammeln und im Training bereits erste Teile für 2013 einzusetzen. Bei den Testfahrten in Abu Dhabi vergangene Woche hat sich gezeigt, dass die Ingenieure aktuell vor allem am gezielten Strömungsabriss am Heckflügel arbeiten.
Die Favoriten für den GP USA
Nach dem eher rechtwinkligen Kurs in Abu Dhabi kommen in Austin wieder mehr schnelle Kurven ins Programm. Am ehesten verglichen werden kann das Layout wohl mit Suzuka. Dort war Red Bull Anfang Oktober eine Macht. McLaren konnte in den letzten Rennen aber wieder Boden gutmachen. Beim Abu Dhabi-Test haben die Ingenieure laut Martin Whitmarsh erneut dazugelernt. Reicht das schon, um Red Bull zu schlagen?
Wie schon in Abu Dhabi müssen Red Bull und McLaren auf Lotus aufpassen. Die Ingenieure bekommen den neuen Coanda-Auspuff immer besser in den Griff. Einzige Schwäche ist immer noch das Qualifying. Das gleiche gilt auch für Ferrari. Auf eine Runde gesehen war das rote Auto zuletzt nur vierte Kraft. Nur wenn man die Updates endlich richtig zum Arbeiten bringt und sich Vettel wieder einen Fehler erlaubt, kann sich Alonso noch Hoffnungen auf den Titel machen.
Hinter den vier Top-Teams erwarten wir wieder Sauber ganz stark. Beim Heimspiel in Suzuka landete Kamui Kobayashi auf dem Podium. Dieses Mal bekommt wohl Sergio Perez mehr Unterstützung von den Rängen. Die mexikanische Grenze ist nah. Etwas schwächer als in Abu Dhabi erwarten wir dagegen Mercedes und Force India. Sie kamen in diesem Jahr besser mit langsamen Kursen zurecht.
Experten-Einschätzung: Giampaolo Dall’Ara (Renningenieur Sauber)
"Eine neue Strecke bedeutet immer etwas zusätzliche Arbeit. Zusammen mit allen anderen Teams haben wir die relevanten Daten zum Circuit of the Americas beizeiten erhalten. Anhand dieser Informationen haben wir eine Simulation erstellt für die Aerodynamik-Konfiguration des Autos, die Getriebeübersetzung, die Anforderungen an die Bremsen und die Basisabstimmung.
Eine eher unbekannte Komponente ist die Qualität des Asphalts, wir wissen nicht, wie rau er sein wird. Diesbezüglich vertrauen wir auf die Einschätzung von Pirelli und deren Reifenwahl. Anders als auf den bekannten Rennstrecken wird am Freitag im ersten Training sicher etwas mehr gefahren werden. Man muss die Basisabstimmung überprüfen, und die Fahrer müssen sich mit dem Kurs vertraut machen."
Im Video und in der Bildergalerie zeigen wir Ihnen, was die Piloten in Austin erwartet.