Der Vorsprung schmilzt und schmilzt und schmilzt: Acht mickrige Punkte vor McLaren konnte Red Bull nach dem Monza-Debakel (1.9.) aus dem königlichen Park retten. Das lag aber eher an McLaren. Die Strategen stellten sich im Highspeed-Tempel selbst ein Bein und wurden von Ferrari ausgetrickst. Red Bull hingegen hatte mit der Vergabe der Podestplätze nichts zu tun. Max Verstappen und Sergio Perez landeten auf den Rängen sechs und acht.
Auch in der Fahrer-WM beginnt bei Red Bull nun das Zittern. Lando Norris liegt zwar noch 62 Zähler hinter Max Verstappen, doch der Trend spricht klar für den Engländer und seinen MCL38, der dem RB20 enteilt ist.
Das Rennen in Baku findet dieses Jahr deutlich später statt als in den Vorjahren. Der Grand Prix von Aserbaidschan wanderte vom April in den September des Formel-1-Kalenders. Während 2023 noch ein Sprint-Wochenende auf dem Programm stand, gibt es diese Saison wieder das gewöhnliche Rennformat in Baku.
Die Wettervorhersage für den GP Aserbaidschan verspricht ideale Bedingungen. Die Temperaturen sollen knapp unter 30 Grad Celsius liegen. Regen ist nicht in Sicht. Das macht es den Teams leichter, das Setup schneller zu finden und mögliche Upgrades zu verifizieren.
Die Strecke: Baku City Circuit
Der Baku City Circuit ist mit einer Rundendistanz von 6,003 Kilometern die viertlängste Strecke im Kalender. Nur Spa-Francorchamps, Jeddah und Las Vegas haben noch ein paar Meter mehr zu bieten. Vom Layout her könnte das Asphaltband abwechslungsreicher nicht sein. Die nicht enden wollende Gerade vor Kurve 1 ist mit 2.200 Metern die längste des Jahres. Die Fahrer stehen hier sogar noch 200 Meter länger auf dem Gas als zwischen den Kurven 1 und 5 in Spa-Francorchamps. Dazu gibt es einen winkligen Abschnitt durch die Altstadt von Baku. Hier ist die Piste zum Teil nur 7,5 Meter breit. Auch das ist ein Rekord.
Der Stadtkurs in der Zwei-Millionen-Metropole liegt 28 Meter unter dem Meeresspiegel. Wer nun denkt, dass es an der Küste des Kaspischen Meeres nur flach daher geht, der irrt. Die größte Steigung beträgt zwölf Prozent. Runter geht es mit bis zu neun Prozent. Die 20 Kurven werden gegen den Uhrzeigersinn durchfahren. Wie bei Stadtkursen üblich sind Auslaufzonen Mangelware. Mauern und Fangzäune stehen stets nahe der Ideallinie. Bei Geschwindigkeiten von über 330 km/h keine ungefährliche Angelegenheit.
Überholen ist auf dem Baku City Circuit normalerweise kein Problem. Die lange Gerade lädt zu Windschattenschlachten ein. Die FIA muss stets aufpassen, die zwei DRS-Zonen nicht übermäßig groß zu dimensionieren, um es den attackierenden Piloten nicht zu einfach zu machen. Der anspruchsvolle Kurs ist sowohl für Fahrer als auch für die Technik eine Herausforderung. In den letzten Jahren ist es deshalb immer wieder zu Überraschungen gekommen. 2023 siegte Sergio Perez. Der Red-Bull-Pilot ist mit zwei Triumphen Rekordhalter in Baku.

Wie in den Vorjahren bringt Pirelli wieder die weichsten Mischungen mit nach Baku.
Fast Facts
- Streckenlänge: 6,003 Kilometer
- Runden: 51
- Renndistanz: 306,049 Kilometer
- Anzahl Kurven: 20 (12 links / 8 rechts)
- Rundenrekord (Rennen): 1:43.009 Minuten (Leclerc, 2019)
- Absoluter Rundenrekord: 1:40.203 Minuten (Perez, Q3, 2023)
- Distanz Pole-Position bis zur ersten Bremszone: 138 Meter
- Länge Boxengasse: 329 Meter
- Zeit in der Boxengasse bei Speedlimit: 15 Sekunden
- Vollgas-Anteil (Rundendistanz): 76 Prozent (Rundenzeit: 62 Prozent)
- Top-Speed: 337 km/h
- DRS-Zonen: 2 (T2-T3, T20-T1)
- Pirelli-Reifen: C3, C4, C5
- Safety-Car-Wahrscheinlichkeit: 3/5 (60 Prozent)
Setup
Wegen der langen Geraden wird in Sachen Abtrieb spürbar zurückgerüstet. Ganz flache Flügel, wie in Monza, sind aber auch nicht der richtige Weg. Der Zeitverlust im engen, kurvigen Teil wäre einfach zu hoch. Mehr Anpressdruck hilft außerdem dabei, die Reifen im richtigen Arbeitsfenster zu halten. Die Ingenieure müssen also schon im Training versuchen, einen guten Kompromiss zwischen Abtrieb und Top-Speed zu finden. Mit der begrenzten Trainingszeit des Sprint-Wochenendes wird das keine leichte Aufgabe.
Vorne dürfen die Flügel nicht zu flach gestellt werden. In den eckigen Kurven droht Untersteuern, wenn nicht genügend Grip beim Einlenken vorhanden ist. Generell müssen die Piloten in Baku immer mit begrenzter Haftung kämpfen. Der Asphalt wird in einigen Abschnitten jedes Jahr neu verlegt und ist deshalb rutschiger als auf permanenten Rennstrecken.
Der relativ glatte Untergrund und das Fehlen von schnellen Kurven sorgt für einen eher moderaten Reifenverschleiß. Deshalb bringt Pirelli regelmäßig die drei weichsten Slick-Mischungen an den Start. Mehr als einen Stopp hatten die Teams in Baku nur selten auf dem Marschplan. Vielleicht ändern ja die hohen Temperaturen etwas daran.
Updates
Wie bereits erwähnt, werden in Baku stets relativ schmale Heckflügel angeschraubt. In Zeiten des Budget-Deckels sind komplette Neuentwicklungen aber eher selten. Normalerweise modifizieren die Teams ihre Standard-Leitwerke lediglich mit flacheren Flaps. Da mit Monza erst vor zwei Wochen auf einer Highspeed-Strecke gefahren wurde, haben die Teams frische Erkenntnisse über das Verhalten ihrer Autos bei wenig Abtrieb. Dennoch dürften die Heckflügel eine Spur mehr Profil aufweisen als beim Europa-Abschluss.
Das in die Krise geschlitterte Red-Bull-Team dürfte auch in Baku noch keine ganzheitliche Lösung ihrer Probleme präsentieren können. Möglich hingegen ist, dass die Mechaniker ältere Spezifikationen an den RB20 schrauben, um ein besseres Verständnis für das Auto zu erlangen und es berechenbarer zu machen. Liam Lawson saß nach dem GP Italien in Monza bei einem Reifentest von Pirelli am Steuer und fuhr einen zurückgerüsteten Red Bull.

McLaren hat das konstanteste Auto und jagt in Baku Red-Bulls-Tabellenführung.
Favoriten
Es ist mittlerweile eine alte Leier, die wir abspielen: McLaren hat seit dem Miami-GP das beste Auto im Feld. Doch in 11 Rennen sprangen nur drei Siege für die Truppe aus Woking heraus. Zwei Mal siegte Lando Norris, ein Mal Oscar Piastri. McLaren greift strategisch häufiger daneben als die Konkurrenz. Außerdem darf Piastri (noch) frei fahren und hat Norris schon einige Punkte geklaut. Dabei befindet der Engländer mit 62 Punkten Rückstand auf Max Verstappen immer noch in Schlagdistanz im WM-Kampf.
Ferrari trauen wir auch in Baku den Sieg zu. Die Italiener präsentierten sich in Monza stark, zudem liegt der Scuderia die Strecke in Aserbaidschan. Auf Charles Leclerc und Carlos Sainz sind deshalb die Augen gerichtet. Die 38 Punkte Defizit auf Red Bull sind bei acht verbleibenden Rennen noch locker aufzuholen. Mercedes war in Monza dritte Kraft, dort erwarten wir die Silberpfeile auch in Aserbaidschan. Dahinter folgt das bereits angesprochene Red Bull.
Der Kampf "Best of the Rest" ist schwierig zu prognostizieren. Williams, Haas und Aston Martin waren in Monza nahezu ebenbürtig. Toro Rosso kann ebenfalls in den Kampf um die Top-Ten eingreifen. Für Alpine und Sauber sind Punkte in Baku nur durch glückliche Umstände möglich.
Zeitplan
Der Aserbaidschan-GP wird der vorletzte der Saison sein, den RTL im Rahmen der Sky-Kooperation im Free-TV überträgt. Danach müssen sich die Fans bis zum GP von Las Vegas Ende November gedulden, ehe die Formel 1 wieder frei empfangbar in Deutschland zu sehen ist. Rennstart in Baku ist aufgrund der Zeitverschiebung schon um 13 Uhr deutscher Zeit.