Verstappen steht nach Gala vor dem vierten WM-Titel

Verstappen bestraft seine Kritiker
Titelfeier schon in Las Vegas?

GP Brasilien 2024

Der achte Saisonsieg von Max Verstappen war mehr als nur ein Befreiungsschlag. Er war ein großer Schritt näher zum vierten WM-Titel. Bei 62 Punkten Vorsprung auf Lando Norris hat der Titelverteidiger bei jedem der drei noch ausstehenden Grand Prix Matchball. In Las Vegas ist die Aufgabe von Norris noch am einfachsten, den vorzeitigen Titelgewinn zu verhindern. Er muss mindestens drei Zähler auf Verstappen gutmachen. Egal wie.

Der WM-Dritte Charles Leclerc ist schon ganz raus. 86 Punkte sind bei den letzten drei Rennen noch zu vergeben, und genauso viele Zähler Rückstand hat der WM-Dritte auf den WM-Spitzenreiter. Selbst wenn Leclerc alles gewänne und noch drei Mal die schnellste Runde fährt, Verstappen gleichzeitig drei Mal komplett leer ausginge, läge der Niederländer mit der höheren Anzahl der Siege vorne.

Max Verstappen - GP Brasilien 2024
Red Bull

Red Bull trifft Setup punktgenau

Soweit die harten Fakten. Red Bull und Max Verstappen gaben in Interlagos ein eindeutiges Lebenszeichen von sich. Zwar ist der McLaren auf eine Runde immer noch das schnellste Auto, doch Red Bull hat auf die Distanz aufgeholt. Die Gründe hatten jedoch nichts mit einem Upgrade zu tun, sondern mit dem Setup. Red Bull erwischte es punktgenau. Die Konkurrenz verzettelte sich.

Im Sprint auf trockener Piste flog Verstappen im Windschatten der McLaren-Piloten über die Ziellinie. Er hatte sogar den geringeren Reifenverschleiß als die Reifenflüsterer von McLaren und Ferrari. Red Bull war mit einem größeren Heckflügel im Sprint angetreten, um die Hinterreifen zu entlasten. Teamchef Christian Horner verrät: "Wir behielten unser Abtriebsniveau für das Rennen bei."

McLaren und Ferrari merkten ihren Fehler und korrigierten ihn für das Hauptrennen. Doch es war eine Überreaktion. Beide Autos waren am Sonntag auf den Geraden flügellahm. Bei Ferrari kam das alte Problem dazu, dass die roten Autos ihre Reifen zu sehr streicheln. Auf der regennassen und kühlen Piste dauerte es zu lange, bis Temperatur in den Reifen kam.

Christian Horner - GP Brasilien 2024
xpb

Eine Startrunde wie Senna

Im Regen kam dann noch der Verstappen-Faktor dazu. Horner sprach von einem der besten Rennen seines Starpiloten. "Der Sieg von Platz 17 auf Rang eins wird Geschichte schreiben. In der ersten Runde hat Max sechs Autos überholt, die meisten außen in Kurve 3. Das lässt sich durchaus mit Ayrton Sennas Startrunde 1993 in Donington vergleichen."

Verstappen war lange der einzige Fahrer, der im Feld Fortschritte machte. Das Rundenprotokoll zählte sechs weitere Überholmanöver. Fünf vor der Unterbrechung, eines danach. Ohne die Hilfe von DRS ging das fast nur auf der Bremse. Der Weltmeister spürte schnell, dass auf der Innenbahn vor Kurve 1 der Grip am besten war. "Und ich hatte Vertrauen in die Bremse."

Nachdem Verstappen dem erstaunlichen Esteban Ocon im Alpine die Führung abgejagt hatte, drehte er 17 Mal die schnellste Runde des Rennens. Sportchef Helmut Marko schwärmte: "Max fuhr in einer eigenen Welt. Bei freier Fahrt ist er geflogen. Die Überholmanöver waren sensationell angesetzt. Er hat diese unglaubliche Kontrolle des Autos und vor allem im Regen dieses Gespür, das Limit mehr auszuloten als jeder andere."

Marko verwies dabei auch auf die Regenschlacht von 2016, wo ihm fast das gleiche Kunststück gelang: vom 17. Platz an die dritte Stelle. Verstappen bestätigte: "Beide sind in meiner Top-Ten-Liste. Aber damals in 2016 hatte ich keinen Druck. Diesmal stand der Titel auf dem Spiel."

Max Verstappen - GP Brasilien 2024
xpb

Abwarten war die richtige Taktik

Der dritte Faktor für Red Bulls Lebenszeichen war die Strategie. Statt wie die direkten Gegner bei zunehmendem Regen an die Boxen zu kommen, hielt Red Bull seine Nummer eins auf der Strecke. George Russell brauchte einen Reifenwechsel, weil sein erster Satz Intermediates anfing einzubrechen. Lando Norris folgte ihm, weil McLaren der Meinung war, ein frischer Satz Intermediates würde den Fahrern mehr Grip und mehr Vertrauen geben.

Horner hielt das für den falschen Ansatz: "Es kam plötzlich so viel Wasser runter, dass ein frischer Satz keinen großen Unterschied machte. Deshalb entschieden wir uns abzuwarten." Und wozu hat man sein Versuchskaninchen Sergio Perez? Wenn der Mexikaner schon keine Punkte holt, soll er wenigstens die Lage für seinen Teamkapitän sondieren. In der 27. Runde nutzte Red Bull mit Perez eine VSC-Phase, um ihn mit Regenreifen wieder auf die Strecke zu fahren. Verstappen forderte derweil am Funk einen Abbruch. "Der kam zwei Runden zu spät", konstatierte Marko.

Damit war die Nummer für Norris, Russell und Leclerc gelaufen. Verstappen bekam einen Gratis-Stopp. Red Bull belohnte sich für sein Risiko, und McLaren büßte für seine Hasenfuß-Taktik, die allein darauf abgestimmt war, mit beiden Fahrern sicher zu punkten. Die Konstrukteurs-WM hatte plötzlich mehr Priorität. In den 39 Runden nach dem Abbruch bewies Norris mit vielen Fehlern, dass er noch kein Verstappen ist. "Der vierte WM-Titel ist jetzt greifbar nah", verbreitet Marko Optimismus.

Max Verstappen - GP Brasilien 2024
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Kampf gegen höhere Mächte

Der erste Sieg seit Juni packte Verstappen auch emotional. Es passiert nicht oft, dass er um Worte ringt. Er nannte das ganze Wochenende eine "Achterbahnfahrt". Red Bull und sein Champion fühlten sich ungerecht behandelt. Wieder einmal wurden sie das Gefühl nicht los, Rennleitung und Sportkommissare hätten es auf den Titelverteidiger abgesehen.

Es wirkte natürlich auch noch die Kritik an Verstappens harter Gangart in Austin und Mexico-City nach. Als die FIA dann auch noch wenig enthusiastisch Red Bulls Vorwurf nachging, McLaren und drei andere Teams würden möglicherweise durch Injizieren feuchter Luft in die Reifen eine unerlaubte Kühlung erzielen, fühlt man sich im Camp der Kläger von fremden Mächten verfolgt.

Tatsächlich müssen Fragen gestellt werden. Als Nico Hülkenberg im Sprint seinen Haas mit Getriebeproblemen am Streckenrand parkte, dauerte es unerklärlich lange, bis die Rennleitung eine VSC-Phase mit reduziertem Tempo und Überholverbot ausrief. Es reichte McLaren gerade noch zum Platztausch, aber Verstappen nicht mehr zu einem Angriff auf Piastri.

Als dann in der Qualifikation die rote Flagge nach einem Unfall von Lance Stroll mit 52 Sekunden Verspätung gezeigt wurde, kostete das Verstappen den Aufstieg ins Top-Ten-Finale. Das lange Warten erlaubte es noch zwei Fahrern, ihn zu überholen und aus dem Q3 zu verdrängen. Daraus resultierte inklusive der Motorenstrafe der 17. Startplatz.

Horner und Markos sahen in Verstappens Gala-Vorstellung die richtige Antwort an seine Kritiker und all jene, die ihm ein Bein stellen wollen. Die alte Hackordnung ist aus Sicht von Red Bull nach 133 Tagen Ergebnisflaute wiederhergestellt. Die Revanche war gelungen.