Die Stimmung hatte sich in den letzten Wochen aufgeheizt. Im WM-Duell zwischen Max Verstappen und Lando Norris wurde auf und neben der Strecke mit harten Bandagen gekämpft. Dass sich ein Großteil der britischen Presse auf die Seite des eigenen Landsmanns schlug, sorgte bei Red Bull für Verstimmung. Man fühlte sich an den WM-Kampf mit Lewis Hamilton erinnert. Auch 2021 schimpfte das Energy-Drink-Team schon über eine einseitige Berichterstattung.
Am Donnerstag vor dem São-Paulo-Rennen wurde Verstappen von englischen Journalisten mit Aussagen von Sky-Experte Damon Hill konfrontiert, der die aggressive Fahrweise des Niederländers bemängelt hatte. In der Pressekonferenz vermied der kritisierte Pilot jedoch, weiter Öl ins Feuer zu gießen und konkret auf die Zitate einzugehen. Er wolle einfach sein Ding weiter durchziehen und sehe keinen Grund, etwas zu ändern, erklärte der Pilot. Als dreifacher Weltmeister weiß er schließlich, was er tue.

Max Verstappen ließ in Brasilien alle Kritiker verstummen. Auch Damon Hill twitterte hinterher seine Anerkennung für eine tolle Leistung.
Kein Respekt für Verstappen?
Mit seiner Glanzleistung im Grand Prix am Sonntag ließ Verstappen dann alle Kritiker verstummen. Ganz abgeschlossen war die Angelegenheit aber offenbar noch nicht. Nachdem er in der offiziellen FIA-Pressekonferenz hauptsächlich von lokalen Journalisten ausgequetscht wurde, fragte der Sieger etwas spöttisch zurück: "Ich finde es ja schön, dass Ihr alle hier seid, aber ich sehe gar keine britischen Medien. Mussten die schnell zum Flughafen? Oder wissen die nicht, wo die Pressekonferenz ist?"
Dabei implizierte der Ausnahmerennfahrer natürlich, dass die Reporter seine starke Vorstellung nicht mit ihrer Anwesenheit würdigen wollten. Mit seiner Beobachtung hatte Verstappen übrigens nicht unrecht. In dem spärlich besetzten Raum waren nach unseren Informationen tatsächlich keine Engländer vor Ort. Neben den brasilianischen Vertretern stellte nur ein Franzose eine Frage. Interessanterweise ging sie an Verstappen und nicht an die beiden Alpine-Fahrer.
Mit mangelndem Respekt gegenüber Verstappen hatte die Abwesenheit der britischen Reporter aber wenig zu tun. Dazu muss man wissen, dass es in der Zeit nach der karierten Flagge für die Berichterstatter sehr hektisch zugeht. Die Piloten, die es nicht auf das Podium schafften, müssen zuerst bei den TV-Reportern und danach auch noch bei den Print- und Online-Journalisten zur Fragerunde vorbeischauen. Als Medienvertreter muss man sich entscheiden, ob man die Sieger-Pressekonferenz verfolgen oder Stimmen des restlichen Feldes sammeln will.

Bei der Pressekonferenz der Top-3-Piloten waren keine englischen Reporter vor Ort. Es waren aber auch keine Niederländer da, die eine Frage stellen wollten.
Parallele Termine für Reporter
Mit mehr Fahrern bekommt man natürlich auch mehr Material für Geschichten. Bei der Drei-Wochen-Pause bis Las Vegas ist es kein Wunder, dass sich der Großteil der Kollegen gegen die Podiums-PK entschieden hat. Außerdem werden die Antworten der Top-3-Fahrer später in einer Abschrift an alle akkreditierten Journalisten versendet. Man muss nur hoffen, dass jemand anderes vor Ort ist und interessante Fragen stellt.
Im Fahrerlager sind dazu immer noch viele Presserunden mit den Teamchefs parallel zur Sieger-Pressekonferenz angesetzt. Hier bekommt man als Journalist Hintergrundinformationen zum Rennen und den Entscheidungen an den Kommandoständen. Das ist für Zeitungs- und Online-Journalisten wichtig, weil man seinem Leser am nächsten Tag schließlich mehr bieten will als das, was die Fahrer sowieso schon im Fernsehen gesagt haben.
Am Ende hängt es auch vom Grand Prix selbst ab, wie gut die Pressekonferenz der ersten drei besucht ist. Durch die weite Anreise sind in Brasilien traditionell nur wenige Journalisten aus Europa vor Ort. Die Zeitverschiebung sorgt dafür, dass viele Print-Redakteure enge Deadlines haben und nach der Zieldurchfahrt erst einmal in die Tasten hauen müssen.
Wer nach dem Rennen noch einen Gesprächspartner im Fahrerlager einfangen will, sollte auch nicht lange Zeit mit der Pressekonferenz verplempern. Die Teambosse und die wichtigen Ingenieure fliehen nach dem anstrengenden Triple-Header immer schnell in Richtung Flughafen, um wieder in die Heimat zu düsen.

Während die ersten drei Piloten in der Pressekonferenz reden, finden meist parallele Medienrunden mit den Teamchefs statt.
Nationale Interessen
Bei uns auto-motor-und-sport-Reportern genießt die Pressekonferenz auch nicht die höchste Priorität. Das hat aber nichts mit Respektlosigkeit gegenüber den schnellsten Fahrern des Tages zu tun. Neben den erwähnten logistischen Problemen ist es uns wichtig, vor allem exklusive Informationen und Aussagen zu gewinnen. Und die bekommt man nicht, wenn auch noch andere Kollegen dabei sind, oder gar eine Abschrift der eigenen Fragen veröffentlicht wird.
Und zuletzt noch eine Bemerkung zum Vorwurf, dass Journalisten Partei für einzelne Fahrer ergreifen. Ja, es stimmt, dass die eigenen Landsleute in der Berichterstattung mehr Raum einnehmen. Das liegt einfach am Interesse des Publikums. Die Zahlen zeigen deutlich, dass unsere Leser lieber Geschichten über Nico Hülkenberg lesen, als Geschichten über Kevin Magnussen. Wir versuchen aber, in der Bewertung der Leistungen immer so fair wie möglich zu bleiben.
Bei den TV-Anstalten hat es fast schon Tradition, auch mal klar Partei für die eigenen Landsleute zu ergreifen. Wir erinnern uns sicher noch alle an die goldenen F1-Jahre von RTL, die Moderator Florian König mal als "Schumi-TV" bezeichnet hat. Das Mitfiebern mit den eigenen Fahrern ist je nach Land mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Wie man hört, wird Verstappen von den niederländischen TV-Reportern auch eher mit Samthandschuhen angefasst – auch um die Fans des Fahrers unter den eigenen Zuschauern nicht zu verärgern. Das gehört offenbar zum Spiel dazu.