Seit mehreren Wochen diskutiert die Formel 1 eine komplette Kehrtwende zu den Technik-Regeln, die in den nächsten fünf Jahren gelten sollen. Ziel ist es, Saugmotoren mit nachhaltigem Kraftstoff schon vor 2031 einzuführen.
Die Formel-1-Gemeinde diskutiert seit Wochen einen Notfallplan für die Zukunft. Es hört sich an wie eine Schnapsidee, bekommt aber immer mehr einen ernsten Hintergrund. Das aktuelle Reglement soll um zwei Jahre verlängert werden, um dann direkt zu billigeren V10-Motoren überzugehen, die mit klimaneutralem Kraftstoff betrieben werden. Das wäre eine komplette Kehrtwende zu den Plänen der Formel 1, den Sport noch attraktiver für Autokonzerne zu machen.
Ausgangspunkt war ein Loblied von Formel-1-Chef Stefano Domenicali auf den V10-Motor. Mit klimaneutralem Kraftstoff betrieben, wäre er eine Lösung für die Königsklasse, dachte Domenicali laut nach. Er ist billiger und simpler als die aktuellen Antriebseinheiten und auch als den ab 2026 geplanten Hybrid-Antrieb. Er erlaubt kleinere und leichtere Autos.
Was sich zunächst wie Zukunftsmusik anhörte, bekam plötzlich Dynamik. Das F1-Management hat noch andere Gründe, die große Regelreform im nächsten Jahr zu fürchten. Sie könnte die Ausgeglichenheit im Feld und damit die Spannung gefährden. Bei neuen Autos, neuen Motoren, neuen Reifen und der großen Unbekannte E-Fuels besteht die große Gefahr, dass einer die neuen Regeln besser interpretiert als alle anderen und dann seine Show abzieht.
Außerdem wäre ein V10 ein Rettungsanker, sollten sich die Hersteller irgendwann einmal wie einst 2009 scharenweise aus der Formel 1 verabschieden. Einen Zehnzylinder-Saugmotor könnten auch private Anbieter konstruieren.
Formel-1-Einsteiger Cadillac könnte von einer Abkehr des geplanten Motoren-Reglements profitieren.
Hilfestellung für Cadillac?
FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem sprang mit Verspätung auf den Zug auf. Verschiedene Teams berichten selbst im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, dass die 2026er-Regeln zu ambitioniert waren und äußern Sicherheitsbedenken beim Rekuperieren der Energie. Das könnte zu großen Geschwindigkeitsunterschieden im Feld führen, je nachdem, ob sich einer im Ladebetrieb befindet oder nicht. Viele machen sich auch Sorgen, dass die Show leiden könnte.
So kam die Idee ins Spiel, die aktuellen Regeln um zwei Jahre zu verlängern, um dann 2028 direkt auf Saugmotoren umzustellen. Die einen interpretieren den Vorstoß des Präsidenten damit, dass er einem Flop vorbeugen will. Sollten sich die Sorgen der Teams bewahrheiten, geht das auf die Kappe der FIA. Sie hat die Regeln geschrieben. Andere unterstellen Ben Sulayem, dass er Neueinsteiger Cadillac helfen will. Er soll der Marke General Motors emotional nahestehen.
Für die US-Amerikaner wäre dieses Szenario perfekt. Man könnte zwei Jahre lang mit den bewährten Ferrari-Motoren fahren und dann einen eigenen V10 an den Start bringen. Das wäre eine wesentlich einfachere Aufgabe als ohne Vorkenntnisse eines der 2026er-PS-Monster zu bauen.
Wie viel Druck auf dem Kessel ist, zeigt sich daran, dass die FIA bereits eine V10-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat. Seitdem wird der Kahlschlag in Formel-1-Kreisen eifrig diskutiert. Die Teams sind hin- und hergerissen. Je nachdem, was ihnen politisch besser ins Konzept passt. Ein Insider spottet: "Am meisten machen die Hersteller Druck, die jetzt schon wissen, dass sie mit ihrem 2026er-Motor im Rückstand sind."
Audi hat sich vor allem wegen des neuen Reglements beim Antrieb für einen Formel-1-Einstieg entschieden.
Audi hätte keinen Motor
Red Bull zum Beispiel liebäugelt mit einer schnellen Einführung des V10, braucht aber zwischenzeitlich das neue Motorenformat, weil man für das bestehende keinen Motor hätte. Der Rennstall tritt ab 2026 mit eigenen Motoren an, muss aber befürchten, im Entwicklungswettlauf einer extrem komplexen Technologie gegen die Autokonzerne den Kürzeren zu ziehen. Angeblich favorisiert auch Ferrari einen neuen Plan für die Zukunft.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff erteilt einer Absage an die 2026er-Regeln eine Absage. "Wir hätten gar nicht genug aktuelle Motoren. Alles ist auf die 2026er-Triebwerke ausgelegt." Audi und Honda sind komplett dagegen. Ohne das Versprechen, dass die nächste Antriebsgeneration ein Hybridantrieb mit nachhaltigem Sprit sein wird, wäre Audi nicht eingestiegen und Honda nicht zurückgekehrt.
Audi hätte bei einer Verlängerung der aktuellen Regeln gar keinen Motor im Angebot. Honda hatte sich Ende 2021 verabschiedet, weil das heutige Motoren-Reglement für die Japaner nicht mehr attraktiv war. Alle Hersteller haben in den letzten drei Jahren mindestens eine halbe Milliarde Dollar in die neue Technologie und Infrastruktur investiert. Das wäre rausgeworfenes Geld. Gleiches gilt für die Kraftstofflieferanten, denen eine große Bühne weggenommen würde. Auch die Teams müssten bereits getätigte Investitionen abschreiben. Seit Januar sind sie mit ihren 2026er-Autos im Windkanal.
Die FIA könnte das ab 2026 geltende Reglement auch nur für drei statt der geplanten fünf Jahre gelten lassen.
Nur drei Jahre für neue Regeln
Schon bei den Testfahrten in Bahrain wurde heftig über die Denkmodelle diskutiert. Das setzte sich in Melbourne fest. Weder bei der Formel 1 noch bei der FIA gibt es ein klares Statement darüber, welchen Weg die Königsklasse gehen wird. Man wartet ab, wie sich die Lage entwickelt und welches Lager den größeren Druck ausübt.
Weil eine Fortsetzung des bestehenden Reglements nicht praktikabel ist und bei einer Durchsetzung Klagen der geschädigten Parteien drohen, steht auch ein Alternativ-Plan zur Debatte. Demnach soll das 2026er-Motoren-Reglement nur drei statt fünf Jahre gelten. Die FIA-Statuten erlauben das.
Ein Regelzyklus muss nicht zwingend fünf Jahre dauern. Drei Jahre genügen. Das würde einen Umschwung auf Saugmotoren ab 2029 ermöglichen. Toto Wolff könnte sich für diese Lösung begeistern lassen. Da die Kosten für Motoren seit 2024 gedeckelt sind, würde kein Geld verschwendet.
So oder so: Die Zeit drängt. Man kann eine Reform nicht erst im Sommer beschließen. Und dann muss man sich im Klaren sein, ob der V10 tatsächlich die perfekte Lösung wäre. Ein kleiner Turbo-Motor würde viel mehr Vorteile bieten und hätte für die Automobilhersteller mehr Serienrelevanz als ein großer Saugmotor.
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