Die Zahlen sprechen für sich. Letztes Jahr zählte das Rundenprotokoll 67 Überholmanöver beim GP Bahrain. In diesem Jahr waren es nur 30. Beim GP Saudi-Arabien sank die Zahl der Überholmanöver von 38 auf 33. Dabei hätte die Startaufstellung mit Max Verstappen und Charles Leclerc auf hinteren Plätzen die Statistik noch begünstigen müssen.
Doch auch die Bilder von der Rennstrecke haben den Eindruck vermittelt, dass die Formel 1 im Zweikampf in frühere Untugenden zurückfällt. Auf dem Jeddah Corniche Circuit war der Rückfall in alte Zeiten besonders gut zu sehen. George Russell, Lewis Hamilton, Carlos Sainz, Charles Leclerc, Esteban Ocon und Pierre Gasly kreisten 20 Runden lang im Abstand von zwei Sekunden um den Kurs. Keiner der Verfolger kam nur annähernd in den DRS-Bereich.
Leclerc räumte ein: "Ich hätte ein bisschen schneller fahren können, aber wenn ich näher als eine Sekunde an Carlos dran war, hast du die Turbulenzen des Autos vor dir gespürt." Max Verstappen sprach von einem Effekt, der sich anfühlte wie Rückenwind. "Bei den hohen Geschwindigkeiten zirkuliert die verwirbelte Luft durch den Betonkanal."

Sainz fühlt sich an alte Zeiten erinnert
Doch es hat nicht nur mit der Strecke zu tun. Der Hochgeschwindigkeitskurs am Roten Meer verschärft das Problem, aber er zeigt auch, dass es ein Problem gibt. Das deutete sich schon in Bahrain an. Es fiel den Fahrern schwerer dicht aufzuschließen. Fernando Alonso konnte Lewis Hamilton und Carlos Sainz nur überholen, weil er klar schneller war als seine Gegner.
Carlos Sainz urteilte nach dem zweiten Rennen des Jahres sogar: "Ich hatte das Gefühl, dass mehr verwirbelte Luft unterwegs war. Es fühlte sich fast so an wie in den alten Autos." Der Spanier vermutet den Grund dafür in der Aerodynamik-Entwicklung und in der neuen Unterboden-Regel.
Wenn man sich die 2023 Autos genauer anschaut, muss man Sainz recht geben. Die Ingenieure bringen immer mehr Outwash-Elemente an ihren Autos an. Sie tun das, weil es das Reglement zulässt. Nach einem Jahr Erfahrung mit den Groundeffect-Autos loten sie nun immer mehr die Grenzen aus. Und finden das ein oder andere Schlupfloch. Mit dem Nachteil, dass die nach außen verdrängten Luftwirbel hinter dem Auto wieder zusammentreffen.

Viel mehr Outwash-Elemente
Es geht schon bei den Frontflügeln los. Ferrari funktionierte die jeweils fünf Stabilisatoren zwischen den beiden oberen Flaps zu fünf Miniflügeln um, die alle nach außen weisen. Mercedes war das im letzten Jahr noch verboten worden. Auch bei der Anbindung der oberen Flaps an die Endplatten fanden die Aerodynamiker Tricks, wie man schlechte Luft außen an den Vorderrädern vorbeilenkt. Hilfreich sind da auch die nach unten gebogenen oberen Querlenker der Vorderachse am Red Bull und Aston Martin.
Die Venturi-Kanäle zu Beginn des Unterbodens zeigten von Anfang an nach außen. Die Regelhüter haben mit Bedacht ein Auge zugedrückt, damit die Ingenieure wenigstens ein paar Werkzeuge haben, die Strömung unter dem Auto zu kontrollieren. Doch die nahmen statt des gereichten Fingers gleich die ganze Hand.
Das äußere Leitblech biegt sich immer stärker von Fahrzeug weg. Sowohl vom Winkel als auch von der vertikalen Krümmung. Auf der Oberfläche wölben sich die Böden beim Abstieg auf Bodennähe schräg nach außen. Einige Autos weisen zwischen Boden und Leitblech noch eine kleine Rinne auf, die den Outwash-Effekt verstärkt.

Soll die FIA eingreifen?
Die neue Unterboden-Regel ist möglicherweise ein Eigentor. Sie schiebt den Punkt hinaus, an dem das Bouncing beginnt, aber sie animierte die Ingenieure auch dazu, alle möglichen Slots, Flügel und Leisten an den Unterbodenkanten anzubringen, um die Abtriebsverluste durch den Anstieg um 15 Millimetern zu minimieren. Das Bouncing wird dadurch abgeschwächt, indem man große Druckunterschiede an den Kanten durch Abdrängen von Luft nach außen ausgleicht.
Wenn der Trend anhält und die Fahrer weiter klagen, dass sie die Turbulenzen des vorausfahrenden Autos wieder stärker spüren, könnte die FIA korrigierend eingreifen. Am einfachsten ginge es über die Verlängerung der DRS-Zonen. Doch das ist nur eine Bekämpfung der Symptome und keine Heilung. Das Reglement wurde so gestrickt, dass sich die Autos dauerhaft einfacher im Verkehr fahren lassen.
Man könnte einen Eingriff in die Technik auch als Möglichkeit sehen, die Überlegenheit der Red Bull einzudampfen. Problematisch wird nur die Begründung. Es ist zwar ein hohes Ziel der Formel 1, die Qualität der Zweikämpfe zu verbessern, doch solange kein Sicherheitsrisiko vorliegt, wird es schwer ad hoc die Regeln zu ändern.