Die Ziele der Formel-1-Chefs sind ehrgeizig. Sie haben sich mehr Action und mehr Chancengleichheit zu geringeren Kosten an ihre Fahnen geheftet. Doch bis jetzt war nur alles graue Theorie. Nachdem die ersten Teams ihre neuen Autos präsentiert haben, tritt das Projekt in seine heiße Phase. Jetzt müssen die Erfinder des neuen Reglements liefern. Dass die Königsklasse 2021 eines ihrer besten Jahre aufs Parkett gelegt hat, macht die Aufgabe nicht einfacher.
Die Qualität der Rennen steht und fällt mit der Charakteristik ihrer Autos. "Wir wollten sie deshalb besser verstehen und sie so gestalten, dass man mit ihnen besseren Sport bieten kann. Die alten Autos waren zu komplex und zu kritisch im Zweikampf. Jede Abweichung vom Idealzustand hat ihre Performance stark beeinflusst. Das hat auch für große Unterschiede im Feld gesorgt", zieht Formel-1-Sportchef Ross Brawn Bilanz.

Bis jetzt noch kein Schlupfloch
Deshalb haben sich die Ingenieure der FIA und der Formel 1 in drei Jahren Arbeit mit 7.500 CFD-Simulationen und 100 Stunden Windkanal ein Konzept ausgedacht, das mit den alten Fehlern aufräumt. Und das hat nichts mehr mit den Autos zu tun, die wir von früher kennen.
Wie immer bei einem kompletten Neustart besteht die Gefahr, dass einer die Regeln besser interpretiert als der Rest. Das Risiko der Dominanz eines Teams ist allerdings geringer als bei früheren Regeländerungen. Weil die Regeln in vielen Bereichen sehr engmaschig sind, und weil die FIA ein waches Auge auf den Designprozess der Teams geworfen hat.
FIA-Technikchef Nikolas Tombazis bestätigt: "Wir haben im Rahmen unserer Legalitäts-Checks mit jedem Team individuell über ihre Autos diskutiert, um böse Überraschungen im ersten Rennen zu vermeiden. Ich kann ihnen versprechen, dass wir bis jetzt zwar viele unterschiedliche Lösungen aber nichts Vergleichbares zu dem Doppeldiffusor von 2009 gesehen haben."
Ross Brawn hatte vor 13 Jahren mit diesem Trick die Konkurrenz überrumpelt. Heute kann der 67-jährige Engländer darüber schmunzeln. "Damals war es eine legale Interpretation der Regeln. Jetzt stehe ich auf der anderen Seite. Wir haben bis jetzt keine Schlupflöcher entdeckt. Der Spielraum einen besseren Job zu machen, ist deutlich kleiner geworden."

Deutlich bessere Luft
Jason Somerville, der leitende Ingenieur des F1-Managements, zeigt anhand von Charts, warum die alten Autos ihre Schuldigkeit getan haben. Sie produzierten bei der Suche nach Abtrieb so viele Turbulenzen, dass sie das nachfolgende Auto in einen Wirbelsturm schickten.
CFD-Animationen zeigen, wie der Y-250 Wirbel vom Frontflügel an den Leitblechen vor den Seitenkästen zersplittert und zum Großteil nach außen abgedrängt wurde, nur um hinter dem Auto in Bodennähe wieder zusammenzutreffen.
Bei den 2022er Autos mit ihrem Groundeffect-Prinzip sieht das Strömungsbild völlig anders aus. Das verläuft die Luft gut gebündelt innerhalb der Räder und wird vom Diffusor nach oben abgelenkt. Dazu tragen die stark reglementierten Frontflügelendplatten, die Radkappen, die Kotflügel über den Vorderrädern und die vorderen Bremsbelüftungen bei. Leitbleche, die der Strömung vor den Seitenkästen eine neue Richtung aufzwingen könnten, gibt es nicht mehr.
Das alles macht sich im Bereich von 10 bis 40 Meter hinter dem Auto deutlich bemerkbar. Die Luft dort ist deutlich besser, sprich weniger verwirbelt geworden. Bei 10 Meter Abstand verliert das nachfolgende Auto nur noch 15 statt 50 Prozent Abtrieb. Bei 20 Meter sind es sieben statt 25, bei 40 Meter ein statt sechs Prozent.

FIA kann Stoppschild setzen
Trotz aller Kritik von den Teams zu Beginn bietet das neue Reglement immer noch erstaunlich viel Variabilität. Bei der Form der Seitenkästen darf man getrost von unterschiedlichen Konzepten sprechen. Tombazis nimmt es mit Humor: "Ingenieure beschweren sich immer. Wir haben in bestimmten Bereichen weiterhin Freiheiten zugelassen. Die Seitenkästen sind einer davon."
Der frühere Ingenieur von Ferrari und McLaren erwartet wie viele Experten eine schnelle Konvergenz, sobald sich auf der Rennstrecke zeigt, wer auf das richtige Pferd gesetzt hat. "Es wird einfacher sein, andere Lösungen zu kopieren, weil die Oberflächen nicht mehr so komplex sind und die Interaktion der Aerodynamik von vorne zu hinten nicht mehr so extrem ist. Es können sich dann immer noch drei oder vier unterschiedliche Lösungen durchsetzen." Ross Brawn warnt: "Der Budgetdeckel zwingt die Teams sich gut zu überlegen, wo sie ihr Geld investieren. Wir erwarten nur noch zwei große Upgrades pro Jahr."
Für den Fall, dass eines der Ziele nicht erreicht wird oder sich eine Entwicklungsrichtung durchsetzt, die dem Geist des Reglements widerspricht, kann die FIA ein Stoppschild setzen. "Wenn wir für 2023 etwas ändern müssten, könnten wir das vor dem 30. April mit einem Mehrheitsbeschluss durchsetzen und danach mit acht von zehn Stimmen. Ich sehe da kein großes Problem. Es ist nicht mehr so, dass wir gegen die Teams arbeiten. Wir alle sind an Lösungen interessiert, die den Sport besser machen", erklärt Tombazis.
Die Formel 1 hat die Messlatte hochgelegt. Und sie will sich auch nicht verstecken, wenn es am Anfang noch hakt. "Das erste Jahr wird ein Lernprozess", baut Tombazis vor. "Wir werden die ersten Rennen mit denen von früheren Regeländerungen vergleichen. Ich hoffe, dass wir schon nahe an unseren Zielen einsteigen. Wenn nicht, wird es nicht lange dauern. Wenn die Teams mal näher zusammenrücken, werden die Vorteile der Regeln für alle klarer erkennbar sein."