Taktikcheck GP Bahrain 2022: Ferrari überall vorne

Taktikcheck GP Bahrain 2022
Ferrari gewinnt alle Wertungen

GP Bahrain 2022

Max Verstappen muss sich an einen anderen Gegner gewöhnen. Wenigstens in den ersten Rennen. Und so wie Charles Leclerc in Bahrain gefahren ist, wird es für den Weltmeister nicht einfacher als in der Vergangenheit mit Lewis Hamilton. Leclerc ließ sich von Verstappen nicht einschüchtern. Tatsächlich trickste er ihn drei Mal in Folge aus. Die Runden 17, 18 und 19 waren der Höhepunkt des Rennens.

Alle drei Mal ließ Leclerc dem Red Bull in Kurve 1 den Vortritt. Er wusste, dass sein Gegner auf der letzten Rille bremsen musste und sich so für den Ansturm in Kurve 4 in eine verwundbare Position brachte. Leclerc nahm Schwung, nutzte DRS und attackierte Verstappen mal außen, mal innen. Immer mit Erfolg. Beim dritten Mal verbremste sich Verstappen mit stehenden Rädern in der ersten Kurve. Da war das Spiel vorbei. Die Serienbetreiber jubelten. Genau solche Zweikämpfe hatten sie den Fans versprochen. Genau das war die Bestätigung für ihre Regeländerung.

Ferrari war Red Bull in allen Belangen einen Schritt voraus. Wenn ein Fahrer auf die Pole Position fährt, die schnellste Rennrunde dreht, 55 Runden in Führung liegt, die Reifen besser schont, sich im Zweikampf keine Blöße gibt und ein kugelsicheres Auto hat, ist er unschlagbar. Es gab keinen Bereich, in dem der Ferrari nicht die Nummer eins war. Da hilft dann auch keine geniale Taktik.

Max Verstappen - Red Bull - GP Bahrain 2022
Motorsport Images

Red Bull unterschätzte den Undercut

Auf der Strecke hatte Verstappen keine Chance. "Der Ferrari war im Schnitt drei Zehntel schneller", gaben die Ingenieure zu. Deshalb versuchte es der Kommandostand zwei Mal mit dem Undercut und ein Mal mit der Taktik nach dem Motto: Wenn die logische Lösung nichts bringt, dann machen wir genau das Gegenteil.

Beim ersten Versuch in Runde 14, Leclerc mit dem früheren Boxenstopp zu knacken, hatte Verstappen 3,7 Sekunden Rückstand. Beim zweiten in Runde 30 betrug das Delta 4,1 Sekunden. Zwei ambitionierte Vorhaben, aber machbar. Im ersten Versuch mehr als im zweiten. Verstappen reservierte sich seinen frischen Satz Soft-Reifen für den zweiten Stint. Da musste Leclerc mit einer gebrauchten Garnitur kontern. Trotzdem blieb er vorne, wenn auch knapp. "Ich hatte keine optimale Runde in die Box rein, und der Boxenstopp war nicht perfekt."

Verstappen beschwerte sich bei seinem Team, das man ihn zu eindringlich gewarnt hatte, die erste Runde auf den neuen Reifen mit Vorsicht anzugehen. "So konnte der Undercut nicht funktionieren." Sportchef Helmut Marko räumte ein: "Wir haben die Macht des Undercuts unterschätzt."

Charles Leclerc - Ferrari - GP Bahrain 2022 - Sakhir - Rennen
Wilhelm

Verstappen musste ins Risiko

Beim zweiten Anlauf stand Medium gegen Medium-Reifen. Ferrari feilte beim Boxenstopp eine halbe Sekunde weg. Leclerc fädelte sich sicher vor seinem Verfolger wieder in den Verkehr ein und fuhr innerhalb von zwölf Runden einen Vorsprung von 4,9 Sekunden heraus. Damit war der Undercut kein Thema mehr. Verstappens dritter Stopp in Runde 43 zurück auf gebrauchte Soft-Gummis war eine Verzweiflungstat.

Red Bull hatte nichts mehr zu verlieren, Ferrari alles. Die Strategen unter Inaki Rueda hatten die Wahl. Entweder sofort kontern oder mit Medium-Reifen, die bereits zwölf Runden auf der Lauffläche hatten, bis zum Ende durchfahren. Ferrari entschied sich für draußenbleiben, weil jeder Boxenstopp die Gefahr in sich birgt, dass etwas schiefgeht.

Verstappen hätte in 14 Runden 27,1 Sekunden gutmachen müssen. Marko war sich sicher, dass es zwei Runden vor Schluss zum Zusammenschluss gekommen wäre. Das hat auch Mercedes ausgerechnet, doch die Aufholjagd hätte Verstappens Soft-Reifen so ausgelutscht, dass bis dahin der Vorteil der geringeren Laufzeit aufgebraucht gewesen wäre. "Beide haben aus ihrer Sicht richtig gehandelt. Red Bull musste etwas tun, weil man mit der gleichen Taktik wie Leclerc nie gewonnen hätte", hieß es bei Mercedes.

Pierre Gaslys Motorfeuer machte alle Hochrechnungen obsolet. Zuerst verordnete die Rennleitung eine VSC-Phase, dann ein echtes SafetyCar. Dem Spitzenreiter wäre die virtuelle Variante lieber gewesen. "Die hätte mir etwas Luft auf Max gegeben." Doch auch beim Re-Start hatte der Red Bull-Pilot keine Chance. Leclerc seilte sich sofort ab. Sein Gegner kämpfte schon mit Leistungsverlust.

Carlos Sainz - Ferrari - GP Bahrain 2022 - Sakhir
xpb

Sainz ist ratlos

Auch im Kampf um Platz 3 lag ein Ferrari ständig vor einem Red Bull. Carlos Sainz und Sergio Perez trugen ihr Duell um Platz 3 im Zehnsekunden-Abstand zur Spitze aus. Ferrari setzte Sainz dabei als Absicherung ein. Am Ende des ersten Stint kam Sainz mit Verstappen an die Box. Nach dem zweiten Stint ließ man den Spanier drei Runden länger auf der Strecke. Red Bull zog mit Perez jeweils nach. Eine echte Überholchance hatte der Mexikaner nie, obwohl er zeitweise die schnellsten Runden im Feld fuhr.

Sainz hatte sichtbar mit der Tatsache zu kämpfen, dass Leclerc ihm nach Belieben auf und davon fuhr und auch noch seine Reifen besser in Schuss hielt. Nach 13 Runden betrug der Abstand zehn Sekunden. Dabei blieb es. "Ich muss herausfinden, warum mir Charles so viel Zeit abnimmt. Nur im Q2 und im Q3 bin ich auf seinem Niveau gefahren", rätselte der Spanier.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Bahrain 2022
Motorsport Images

Mercedes experimentiert mit drei Stopps

Mercedes hatte nie eine Chance, in den Kampf um den Sieg einzugreifen. Das Safety Car verbesserte die Optik, weil es die Abstände zusammenstauchte. In Runde 42 lag Lewis Hamilton 37,4 Sekunden hinter dem Spitzenreiter. Nur im ersten Stint auf den Soft-Reifen konnte er halbwegs mithalten. "Auf den härteren Mischungen waren wir eine Sekunde pro Runde langsamer", bedauerte Teamchef Toto Wolff.

Lewis Hamilton und George Russell trugen isoliert ein Rennen zwischen der Spitze und dem Verfolgerfeld aus. Das erlaubte den Strategen ein Experiment. "Wir konnten Red Bull und Ferrari nicht unter Druck setzen, und wir standen auch nicht wirklich unter Druck von hinten. So konnten wir Lewis recht früh auf eine Drei-Stopp-Strategie umstellen", verrät Chefingenieur Andrew Shovlin. "Für uns hat sich die Strategie nicht ausgezahlt, weil wir nicht nah genug an den Vorderleuten dran waren", gaben die Strategen zu, die zu Beginn des Rennens noch einen ganz anderen Plan hatten. Zwei Stopps mit der Reifenfolge soft-hart-medium.

George Russell fuhr nach Aussage des Teams ein gutes Rennen. "George war zu Beginn des Rennens im Williams-Modus unterwegs. Er wollte eine 11 auf einer Skala von 10 rausholen. Als er in den Rhythmus kam, hat er das abgeliefert, was das Auto kann. Am Ende des ersten Stints hat er auf Lewis aufgeholt und war im zweiten so schnell wie er. Mehr war von Startplatz 9 nicht möglich."

Valtteri Bottas - Alfa Romeo - GP Bahrain 2022 - Rennen
Wilhelm

Für Bottas passte das SC-Timing

Im großen Mittelfeld bestimmte die Reifenabnutzung die Taktik. Alpine war schnell klar, dass es nicht mit zwei Stopps geht. So gesehen war die Safety-Car-Phase ein Segen. Sie zwang alle Zweistopper ein drittes Mal an die Box. Beim Re-Start lagen Esteban Ocon und Fernando Alonso auf den Plätzen 9 und 12. Red Bulls Ausfälle und Mick Schumachers Poker mit alten Reifen durchzuhalten, brachte beide Alpine-Piloten in die Punkteränge.

Auch Valtteri Bottas und Guanyu Zhou zählten zu den Profiteuren. Verdientermaßen, denn die Alfa-Sauber-Piloten waren im Rennen schneller unterwegs als ihre Kollegen von Alpine und Alpha Tauri. Und der Schweizer Rennstall hatte nach Aussage der Mercedes-Strategen die beste Reifenwahl im Feld getroffen: "Sie haben sich als einzige zwei Sätze Medium aufgehoben. Das war für das Rennen die beste Mischung. Der Soft ist zu schnell weggebrochen, und der harte Reifen hat vier Runden gebraucht, bis der Grip da war."

Vor der Safety-Car-Phase lagen beide Autos aus Hinwil noch außerhalb der Top Ten. Bei Bottas passte das Timing besonders gut. Der Finne machte vier Positionen gut, weil er Reifen wechselte als das Rennen neutralisiert war, während Yuki Tsunoda und Esteban Ocon im Renntempo Zeit verloren.

Bei Haas betrachtete man die späte Neutralisation mit gemischten Gefühlen. Kevin Magnussen konnte das Geschenk des Gratis-Boxenstopps annehmen. Der Däne lag als Siebter sicher in den Punkterängen. Mick Schumacher musste alles auf eine Karte setzen. Er hatte in Runde 35 seine Medium-Reifen gegen gebrauchte Softs eingetauscht, lag aber nur auf Platz 14. Auf der Strecke zu bleiben, schenkte ihm vier Positionen. Als die Ampel auf Grün sprang, lag Schumacher noch auf dem zehnten Rang. Doch mit seinen Uralt-Reifen war er gegen den Ansturm von Tsunoda, Alonso und Zhou wehrlos.