Streit um Finale: Abbruch als bessere Option?

Streit um Finale in Abu Dhabi
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Hätte eine rote Flagge das Problem gelöst?

Max Verstappen - Red Bull - GP Abu Dhabi 2021 © Wilhelm 37 Bilder

Mercedes verflucht den Re-Start des GP Abu Dhabi, Red Bull begrüßt ihn. Gibt es zwischen den beiden Extremen einen Kompromiss? Vielleicht einen Neustart wie in Baku. Er wäre fairer für Lewis Hamilton gewesen, doch auch dafür hätte die Rennleitung Regeln brechen müssen.

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Es war eine Entscheidung von großer Tragweite. Der Re-Start beim GP Abu Dhabi eine Runde vor Schluss hat Lewis Hamilton den achten WM-Titel gekostet und Max Verstappen den ersten ermöglicht. Ohne Safety Car wäre die Krone an Hamilton gegangen. Ohne Re-Start auch. Die Freigabe des Rennens brachte den Engländer in eine fast aussichtslose Lage. Er musste sich auf uralten harten Reifen gegen Verstappen mit fast frischen weichen Sohlen wehren.

Viele empfanden das Ende dieser Saison als unfair. Oder inszeniert. Oder regulatorisch einfach falsch. Andere applaudieren. Der Re-Start hat uns eine unglaubliche letzte Runde gebracht. Der Nervenkitzel war nicht zu überbieten. Allemal besser, als im Gänsemarsch hinter dem Safety Car über die Ziellinie zu fahren.

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Michael Masi konnte in der Schlussphase nur verlieren.

Rennleiter kann nur verlieren

Die direkt Beteiligten sind bei der Frage, ob das ein würdiger Abschluss auf der Strecke war, nicht wirklich ernst zu nehmen. Mercedes und Red Bull sehen den Vorfall ausschließlich durch die eigene Brille. Wäre Hamilton in Führung geblieben, hätte Mercedes nicht protestiert. Wäre das Safety Car bis zum Schluss auf der Strecke geblieben, hätte Red Bull genau das gemacht. Wahrscheinlich mit den gleichen Argumenten wie Mercedes. Man kann die nämlich ganz gut für beide Sichtweisen verwenden.

So wie Mercedes der Meinung ist, man hätte die Regeln im Sinne maximaler Spannung zum Teil ignoriert, hätte Red Bull der Rennleitung und den Sportkommissaren im umgekehrten Fall vorgeworfen, dass sie zu Mercedes freundlich entscheiden. Michael Masi hat in den letzten beiden Rennen sicher keine glückliche Figur gemacht, doch er konnte in dieser Angelegenheit nicht gewinnen. Weil Red Bull schon im Vorfeld Stimmung gemacht hatte und sich bei jeder Ohrfeige für Verstappen bitter beklagt.

Mal abgesehen von den Teamchefs und Sportdirektoren, die Masi ständig im Ohr hängen, ist da auch der unausgesprochene Wunsch der Rechteinhaber, dass ihr Produkt maximal gut verkauft wird. Und das tut es nicht mit einem Finish hinter dem Safety Car. Egal, ob erstes oder letztes Rennen. Das war bei Bernie Ecclestone nicht anders. Wenn Bernie die Wahl hatte, entschied er sich für die Show. Und das wusste sein damaliger Rennleiter Charlie Whiting auch. Der hat es nur besser aussehen lassen. Whitings Wort war Gesetz. Er hatte eine Autorität, die wahrscheinlich kein anderer je erreichen wird.

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Hier baute sich die Szene zum Latifi-Unfall auf: Der Kanadier kämpft mit Mick Schumacher.

Schlechtes Timing für Latifi-Crash

Sehen wir es einmal so: Der Zeitpunkt des Unfalls von Nicholas Latifi war höchst unglücklich. Zu früh, um ohne Diskussionen das Rennen unter Gelb zu beenden. Zu spät, um es nach dem üblichen Procedere ablaufen zu lassen. Durchschnittlich dauern Safety Car-Phasen mit Aufräumarbeiten vier bis fünf Runden. Also genau die Zeit, die noch blieb. Wäre der Crash zwei Runden früher passiert, wäre das Ergebnis das gleiche gewesen. Nur ohne Diskussion.

Zum Glück stellte keiner den Einsatz des Safety Cars in Frage. Der war mit dem schrottreifen Williams in der Schusslinie Pflicht. Wäre nur ein havariertes Rennauto am Streckenrand gestanden, hätte man die Rennleitung hinterfragen müssen. Es hätte dann nach einem künstlichen Spannungsmacher ausgesehen. Das frühe Ende der Neutralisation hat eine andere Dimension. Es gab Hamilton immerhin noch die Chance zu gewinnen. Auch wenn sie stark gemindert war.

Für Mercedes ging es um viel. Deshalb auch der Protest. Überraschend jedoch war, dass McLaren, Aston Martin und Haas die Füße still hielten. Sie hatten einen viel direkteren Schaden als Mercedes. Daniel Ricciardo, Lance Stroll und Mick Schumacher durften sich nicht zurückrunden und wurden damit rein juristisch von der Rennleitung daran gehindert, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Der Hinweis, dass es nichts am Resultat geändert hätte, wenn man die drei auch noch vorbei gewunken hätte, ist zwar realistisch, aber irrelevant. Wer weiß, was in so einer verrückten letzten Runde alles passieren kann? Da fährt man besser in der gleichen Runde wie der Spitzenreiter. Das gleiche gilt für Carlos Sainz, der beim Re-Start Ricciardo und Stroll vor der Nase hatte und deshalb den Kontakt zu Verstappen verlor.

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Das späte Safety Car und der Re-Start in der letzten Runde raubten Hamilton den achten WM-Titel.

Rechtfertigt Latifis Unfall die rote Flagge?

Tatsächlich hätte es eine Möglichkeit gegeben, den Unfallort gefahrlos zu räumen und trotzdem ein spannendes Finale auf der Strecke zu bieten. So wie man es in Baku praktiziert hat. Da wurde das Rennen mit der roten Flagge abgebrochen und stehend für zwei Restrunden neu gestartet. Da alle Fahrer in der Pause Reifen wechseln dürfen, hätte zwischen Hamilton und Verstappen Waffengleichheit geherrscht. Und es wären zwei heiße Runden geworden.

Warum hat sich Masi nicht dafür entschieden? Vermutlich, weil er auch da einige Regeln sehr großzügig auslegen hätte müssen. Der Rennleiter kann nicht einfach so die rote Flagge zeigen. In Paragraf 50.1 des Sportlichen Reglements steht: "Wenn Teilnehmer oder Helfer durch die auf der Strecke befindlichen Autos selbst hinter einem Safety Car unmittelbarer Gefahr ausgesetzt wären, kann der Rennleiter die Streckenbedingungen als unsicher einstufen und das Rennen unterbrechen."

Das war bei Latifis Unfall nicht unbedingt der Fall. Der Williams stand an einer relativ langsamen Stelle. Bei Mick Schumacher eine Woche zuvor in Jeddah aber auch nicht, und da griffen Masi und sein nationaler Renndirektor zur roten Flagge. Mercedes regte sich darüber auf, weil die Unterbrechung Verstappen einen Gratis-Boxenstopp schenkte und sich hinterher herausstellte, dass die vermeintlich beschädigte Tecpro-Barriere gar nicht repariert, sondern nur wieder an die rechte Stelle gerückt werden musste.

Intern sind die Teams so instruiert, dass man immer dann die Abbruchflagge zeigt, wenn die Reparaturarbeiten länger als zehn Minuten in Anspruch zu nehmen drohen. So wie in Baku, wo es eine Pause von 35 Minuten gab. Hier spielt nicht nur die Sicherheit eine Rolle. Man will den Zuschauern nicht allzu viele Runden bei Bummeltempo zumuten. In Abu Dhabi dauerte die Pause zwischen dem SC-Signal und dem Re-Start ziemlich genau zehn Minuten. Man hätte also die Möglichkeit gehabt, eine rote Flagge mit der Länge der Aufräumarbeiten zu begründen. Wetten, dass es auch da Proteste gegeben hätte. Abhängig vom Ausgang des Rennens.

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