Überhol-Strafen: Wann fünf und wann zehn Sekunden?

WM-Duell eskaliert weiter
Wann gibt es fünf, wann zehn Sekunden?

GP Mexiko 2024

Der GP Mexiko war ein Spiegelbild des Rennens in Austin sieben Tage zuvor. Ferrari gewinnt und die WM-Gegner schieben sich im Zweikampf von der Strecke. Das Duell Max Verstappen gegen Lando Norris geht mit immer größerer Härte weiter. Diesmal trafen sich die beiden gleich zwei Mal. Wieder hagelte es Strafen. Diesmal gaben die Sportkommissare dem Weltmeister die Schuld.

Das Drama auf der Piste spielte sich exakt zwei Tage nach einer Sitzung der Fahrer mit FIA-Vertretern ab, in der in epischer Breite über die Richtlinien im Zweikampf debattiert worden war. Verbesserungsvorschläge sind Zukunftsmusik, auch wenn sie Red-Bull-Teamchef Christian Horner sofort einfordert.

Die Sportkommissare machten klar, dass die Überholregeln bis zum Ende der Saison gleich bleiben. Trotzdem bekam Verstappen zwei Mal zehn Sekunden aufgebrummt. Norris war in Austin noch mit fünf Sekunden davongekommen. Doch dafür gibt es Gründe, die schon vorher galten.

Lando Norris vs. Max Verstappen - GP Mexiko 2024
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Zwei Aufreger in 20 Sekunden

Die Zwischenfälle passierten kurz hintereinander in der zehnten Runde. Der erste Zweikampf in Kurve 4 war fast eine Kopie des strittigen Überholmanövers vor einer Woche in Austin. Norris attackierte wieder auf der Außenseite.

Doch diesmal hatte der McLaren-Pilot am Kurveneingang, am Scheitelpunkt und am Ausgang die Nase vorn. Verstappen geriet in seiner Verteidigung so weit nach außen, dass Norris eine Abkürzung durch die Wiese nehmen musste. Im Gegensatz zu Austin, konnte der Weltmeister diesmal seinen Red Bull innerhalb der Streckenlimits halten.

700 Meter weiter dann der nächste Aufreger: Verstappen setzte sein Auto mit reichlich Wut im Bauch kurz vor der 160 km/h schnellen Kurve 8 links neben den McLaren. Er lag zwar vor dem schnellen Linksknick knapp in Führung, doch es war unmöglich bei dem Speed und dem Radius, den er sich mit der ungünstigen Innenbahn aufzwang, die Kurve innerhalb der Streckenlimits zu nehmen.

Verstappen driftete weit in die Asphalt-Botanik neben der Strecke und riss Norris mit sich. Am Ende der Episode hatte er den McLaren wieder im Rückspiegel, dafür einen Ferrari vor seiner Nase. Charles Leclerc sagte danke – wie schon in Austin.

Max Verstappen - GP Mexiko 2024
Wilhelm

Zwei unterschiedliche Vergehen

Es dauerte nur vier Minuten, da hatten die Sportkommissare ihr Urteil gesprochen. Verstappen wurde für beide Vergehen verantwortlich gemacht. Beim ersten in Kurve 4, weil er Norris von der Strecke gedrückt hatte. Nach Ansicht der Schiedsrichter hätte Norris sein Manöver sicher auf der Rennstrecke beenden können, hätte er dem Red Bull nicht ausweichen müssen.

Red Bull widersprach dieser Darstellung. Teamchef Christian Horner präsentierte GPS-Daten, die Norris belasten sollten. "Lando war in dieser Runde und dieser Kurve um 15 km/h schneller als in seiner absolut schnellsten Rennrunde. Und er hat auch viel später gebremst. Die Lenkradstellung zeigt ganz klar, dass er die Kurve nie geschafft hätte."

Auch beim zweiten Vorfall kannten die Sportkommissare keinen Pardon. Sie sprachen Verstappen zwar das Vorfahrtsrecht zu, weil er vorne lag, doch sie stellten auch klar, dass Verstappen nie und nimmer seine Attacke auf der Rennstrecke hätte durchziehen können.

So habe er sich durch Verlassen des Kurses einen nachhaltigen Vorteil verschafft und Norris auch noch dazu gezwungen, ebenfalls den Umweg über die Auslaufzone zu nehmen. Mit diesem Urteil konnte Red Bull leben. Horner nahm seinen Fahrer trotzdem in Schutz: "Max hat sich so geärgert, dass Lando die Position nicht zurückgab, dass er mit Macht vorbei wollte."

Lando Norris vs. Max Verstappen - GP USA 2024
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Zehn Sekunden sind Standard

Die FIA-Richter gaben für beide Vorfälle eine Zehnsekunden-Strafe und erwähnten in ihrer Urteilsbegründung, dass dies das Standard-Strafmaß für Verstöße dieser Art sei. Die Verdoppelung der Zeitstrafe wurde zu Saisonbeginn auf Wunsch der Fahrer eingeführt.

In Austin haben die Richter nur deshalb ein Auge zugedrückt, weil Norris seinen Gegner nicht mutwillig gezwungen hat, die Strecke zu verlassen. Daran war Verstappen mit seinem extrem späten Bremsmanöver selbst schuld. Wären die Referees da hart geblieben, hätte Norris zehn und Verstappen fünf Sekunden bekommen müssen.

Red-Bull-Sportchef Helmut Marko hielt die Strafen von Mexiko für übertrieben: "Es gibt fünf Sekunden und es gibt zehn Sekunden. Zweimal zehn Sekunden finde ich extrem hart. Für mich war das eine Überreaktion auf die Diskussionen um Austin."

Lando Norris vs. Max Verstappen - GP Mexiko 2024
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Horner fordert Freispruch im ersten Fall

Horner forderte für den ersten Verstoß Freispruch: "Wenn sich das durchsetzt, dann werden die Fahrer in Zukunft nur noch versuchen, ihre Nase im Scheitelpunkt nach vorne zu bringen, um damit das Recht auf ein Überholmanöver einzufordern. Behalten wir dieses Prinzip bei, werden die letzten vier Rennen im Chaos enden."

Für den Engländer sind die Richtlinien viel zu kompliziert: "Früher galt die einfache Regel: ‚Wer vor der Kurve die Innenspur kontrolliert, dem gehört die Kurve.‘" Dann aber hätte der Fahrer auf der Außenspur nie die Chance auf eine Attacke. Alles, was der Verteidiger sicherstellen muss, wäre, die Innenspur zuzumauern.

So wie Verstappen in Austin. Der Bremspunkt war dort aber so spät gewählt, dass er die Kurve nicht geschafft hätte. Horners Antwort: "Das lässt sich nicht mit Kurve 4 in Mexiko vergleichen. Diesmal war nur das angreifende Auto neben der Strecke, in Austin dagegen beide."

Lando Norris - GP Mexiko 2024
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Norris prangert unsauberes Fahren an

Bei McLaren konnte man mit dieser Erklärung naturgemäß wenig anfangen. Geschäftsführer Zak Brown polterte: "Das Maß ist voll. Max musste endlich zur Vernunft gebracht werden." Sein Teamchef Andrea Stella wollte den Krieg der Worte zwischen McLaren und Red Bull nicht weiter anfachen.

Der Italiener versuchte sachlich zu bleiben. "Für mich sahen diese Strafen korrekt aus. Es gibt jetzt eine Sicherheit, weil man weiß, dass man hart fahren kann, aber es bestraft wird, wenn es über die Grenzen geht. Auf die Zwischenfälle selbst will ich nicht eingehen, weil mir so kurz nach dem Rennen alle Fakten fehlen."

Lando Norris meinte aus der Cockpitsicht: "Ich weiß, was ich von Max zu erwarten habe, aber ich wollte es eigentlich nicht erwarten, denn ich respektiere Max als Fahrer sehr. Meiner Meinung nach war das kein sauberes Fahren. Es ist eigentlich selbsterklärend, wenn man sich die Szenen anschaut. Man hat heute gesehen, dass es Max als seine einzige Aufgabe betrachtet, mich im Rennen zu schlagen. Es ist ihm egal, ob er dabei Plätze verliert. Dafür nimmt er sogar Opfer in Kauf. Und heute hat er dafür bezahlt."

Carlos Sainz - GP Mexiko 2024
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Ferrari als Nutznießer

Max Verstappen gab seinem WM-Gegner fast recht. "Wenn man langsamer ist, kommt man in diese Situationen. Ich gebe nicht so einfach auf und am Ende geht es auch nicht darum, ob man mit der Strafe einverstanden ist oder nicht. 20 Sekunden sind ganz schön viel, aber das größte Problem heute und meine größte Sorge insgesamt ist unser Renntempo. Das war und ist nicht gut."

Verstappen hatte vorher in der Saison schon geäußert, dass er nicht den Fairplay-Preis gewinnen will, sondern den WM-Titel. Und genauso fährt er gerade auch. Red Bull befindet sich durch die aktuelle Formschwäche voll im Verteidigungsmodus, um zu retten, was noch zu retten ist.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff fand die Urteile von Mexiko als neutraler Betrachter wegweisend. "Die Sportkommissare haben heute gezeigt, dass sie es nicht akzeptieren, wenn ein Fahrer den anderen von der Strecke fährt. Jetzt wissen alle, was sie zu erwarten haben, nämlich Strafen."

Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur blieb seinem Prinzip treu, sich nicht zu Angelegenheiten anderer Teams zu äußern. Sein Fokus liegt auf Ferrari. "Solange wir die Nutznießer dieses Duells zwischen Max und Lando sind, soll mir das Recht sein. Aber wir halten uns da raus und konzentrieren uns auf uns selbst."

Red Bull kündigte an, dass man gegen die Urteile keinen Einspruch einlegt. Horner will stattdessen ein konstruktives Gespräch aller Beteiligten, um die Zweikampfregeln zu vereinfachen.