Es war eine der zentralen Fragen, bevor die 2022er Autos auf die Strecke gelassen wurden: Um wie viel langsamer ist der neue Jahrgang? In den vergangenen drei Jahren kursierten Spekulationen zwischen einer und fünf Sekunden. Nach den drei Testtagen von Barcelona zeichnet sich ab, dass es auf Rennstrecken von 4,5 Kilometer Länge wohl nur eine Sekunde werden wird.
Der Vergleich der schnellsten Testrunden mit den Qualifikationszeiten beim GP Spanien 2021 hinterlässt den Eindruck, dass die neuen Autos mehr als eine Sekunde langsamer geworden sind. Da liegt der Zeitverlust zwischen 1,873 Sekunden (Williams) und 2,779 Sekunden (Red Bull). Alpine und Alfa Romeo fallen komplett aus dem Raster, weil sie wegen gravierender technischer Probleme nicht ihre Normalform erreicht haben.
McLaren-Teamchef Andreas Seidl warnt jedoch vor diesem Ansatz: "Wir waren beim Test alle mit einem Setup und einer Benzinladung unterwegs, wie normalerweise an einem Freitag. Also müssen wir uns auch mit einem Freitag vergleichen."
Der ergibt dann folgende Deltas. Am nächsten dran an den 2021er Freitagszeiten war Williams mit 0,361 Sekunden, am weitesten weg Ferrari mit 1,325 Sekunden. Alpine und Alfa Romeo sind auch in dieser Rechnung mit über 2,7 Sekunden Abstand nicht relevant.

Reifen liefern mehr Grip
In den einzelnen Sektoren zeigt sich, wo die Zeit liegen bleibt. Oberflächlich betrachtet scheint der Speedverlust gleichmäßig über alle Streckenabschnitte verteilt. Doch im ersten Sektor gibt es nur drei Kurven. Im zweiten sind es fünf, im dritten sogar sieben Kurven. Die Sektoren sind auch unterschiedlich lang: 22, 29 und 27 Sekunden.
Wenn man das alles zusammenzählt, dann verlieren die Autos in den schnellen Kurven mehr als in den langsamen. Im ersten Sektor zwischen sechs und neun Zehntelsekunden. Im dritten trotz vier Kurven mehr und einer längeren Fahrtzeit ungefähr gleich viel.
Das kann nur heißen, dass die Reifen mehr Grip liefern als früher. Oder am Ende der Runde nicht so stark überhitzen. Bei langsamer Fahrt generieren die Autos definitiv weniger Anpressdruck.
Die größte Zeiteinbuße ist im Mittelsektor mit einem Mix aus schnellen und langsamen Kurven zu beobachten. Der ist zwar der längste Abschnitt, was aber trotzdem nicht rechtfertigt, dass man dort drei Zehntel mehr einbüßt als in den anderen Streckenteilen.
Überraschend ist auch, dass die Autos entgegen der Aussage der Propheten auf den Geraden nicht signifikant schneller geworden sind. Die Werte liegen im Vergleich zum Vorjahr zwischen plus 5,9 und minus 4,9 km/h.

Williams verliert am wenigsten Zeit
Die Analyse der Testzeiten der einzelnen Teams ergibt, dass Williams am wenigsten Zeit liegen lässt, sich demnach am meisten gesteigert hat. Im Vergleich zu den Qualifikationsrunden verlor der FW44 1,873 Sekunden auf seinen Vorgänger. Bezogen auf die Freitagszeit nur 0,361 Sekunden.
Dem zuletzt so gebeutelten britischen Rennstall folgt McLaren. Das Delta zur besten Qualifikationszeit beträgt 1,946, das zum Freitag 0,476 Sekunden. Auch Aston Martin machte zumindest beim Uhrenabgleich Fortschritte. Die Differenz liegt bei 1,850 Sekunden für den Samstag und 0,877 Sekunden für den Sonntag.
Die nackten Zahlen im Freitagsvergleich scheinen unserem Eindruck zu widersprechen, dass Ferrari und Alpha Tauri gefühlt die größten Fortschritte zum Vorjahr gemacht haben, während Mercedes und Red Bull am meisten Federn lassen mussten.
Ferrari und Alpha Tauri schneiden im Freitagsvergleich deshalb so schlecht aus, weil sie in der vergangenen Saison am Freitag eher mit weniger Benzin an Bord unterwegs waren als die Konkurrenz. Das schönte die Rundenzeiten. In Relation zur Qualifikation, wo alle am Limit sind, bewegen sich die beiden Teams wieder auf dem Niveau der anderen. Ferrari verlor 2,179, Alpha Tauri 1,936 Sekunden.

Keine Verbesserung in drei Tagen
Mercedes und Red Bull schneiden im Qualifikationsvergleich mit einem Delta von 2,397 respektive 2,779 Sekunden deshalb schlecht ab, weil sie im Q3 jeweils mehr zulegen konnten als ihre Gegner. Hier setzt die Differenz zum Freitag die beiden Top-Teams ins rechte Licht. Red Bull büßt da nur 0,771 Sekunden auf 2021 ein, Mercedes 0,968 Sekunden.
Bei allen Zahlenspielen ist uns in Barcelona noch eine Sache aufgefallen. Die Teams haben sich zwischen erstem und drittem Testtag kaum gesteigert. Und wenn doch, dann weil sie am Freitag mit weniger Benzin und weicheren Reifen unterwegs waren.
Das ist seltsam, denn die Bedingungen waren an allen drei Tagen gleich. Die Strecke musste durch mehr Gummiauflage aber schneller geworden sein. Und die Teams mussten mit jeder Runde dazugelernt haben.
Einzige Erklärung: Die Teams wollten gar nicht das Limit austesten, sondern einfach nur unter möglichst gleichen Bedingungen relevante Daten für den Windkanal und die Simulationen sammeln.