Das Geschwindigkeitslimit auf der Landesstraße 1187 weist 60 Kilometer pro Stunde aus. Entspanntes Cruisen ist also angesagt, zwischen den Bäumen, die nah am Straßenrand stehen. Dabei wecken die schönen Rechts- und Linkskurven Lust auf mehr. Vor mehr als 60 Jahren rasten hier Formel-1-Renner durch den Glemswald – heute unvorstellbar. Legenden wie Jim Clark, Jack Brabham oder Dan Gurney gaben sich damals die Ehre. Doch die Rennen der Königsklasse zählten nicht als Weltmeisterschaftsläufe. Heute zeugt lediglich der Rennleitungsturm im Mahdental als letztes Überbleibsel des 11,4 Kilometer langen Rundkurses. Neben dem Turm befindet sich ein ADAC-Verkehrsübungsplatz. Verglichen mit den heutigen Längen von F1-Kursen übertrumpft die Rennstrecke deutlich. Spa-Francorchamps kommt als längste Strecke im aktuellen Kalender nur auf 7,004 Kilometer.
Motorradrennen zu Beginn
Weit bevor die Formel 1 1961 bis 1964 westlich von Stuttgart ihre Zelte aufschlug, gab es schon Bergrennen zu bestaunen. 1903 starteten die Motorräder erst am Stuttgarter Westbahnhof zur wilden Hatz rauf zum Schloss Solitude, das auch der Namensgeber der Rennstrecke ist. Unter den ersten Siegern war auch eine Frau: Marie Reuschel aus Berlin.

Die Verantwortlichen verlegten 1906 den Start vom Stuttgarter Westbahnhof in den Stadtteil Heslach. Bis einschließlich 1921 durften lediglich die Motorradfahrer an den Bergrennen teilnehmen. Ab dem Jahr 1922 starteten Sport- und Rennwagen. Drei Jahre später war die Strecke dann erstmals ein Rundkurs. Satte 22,3 Kilometer betrug die Streckenlänge. Der Start und das Ziel lagen am Schloss, gefahren wurde gegen den Uhrzeigersinn. All das steigerte die Attraktivität der Veranstaltung, die fortan "Rund um die Solitude" hieß. Unter anderem startete auch die italienische Legende Tazio Nuvolari und zog riesige Massen an den Glemswald. Statt Wanderlust herrschte nun Volksfestcharakter rund um die Solitude. Doch im Mai 1927 fanden vorerst die letzten Autorennen statt. Aus Sicherheitsgründen durften ab 1928 nur Motorräder teilnehmen. Zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs 1937 ging die Veranstaltung in Zwangspause und kehrte erst im Jahr 1949 zurück.
Innerhalb von vier Jahren hatte sich die Streckenführung zweimal verändert. 1931 verkürzte sich der Rundkurs auf 19,9 Kilometer und es ging im Uhrzeigersinn auf Zeitenjagd. Die bis heute genutzte Version feierte 1935 ihr Debüt. Ab da ging es dann wieder gegen den Uhrzeigersinn über die nun elf Kilometer lange Bahn. Mit 26 Links- und 19 Rechtskurven war die Solitude-Rennstrecke herausfordernd. Die längste Gerade zwischen den Streckenteilen "Steinbachsee" und "Schatten" betrug 2,3 Kilometer. Hier erreichten die Autos eine Spitzengeschwindigkeit von 290 Stundenkilometern. Heute heißt dieser Teil des Kurses nüchtern Landesstraße 1189.
Ein Höhenunterschied von 130 Metern gab der Solitude-Rennstrecke den Charakter einer Achterbahnfahrt. Anspruchsvoll war auch die schnelle Rechts-links-Passage "Schatten" nach der langen Geraden. Am Straßenrand steht immer noch das Hotel, das schon seit 1783 existiert.
Brabham, Clark und Co.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es vier Jahre, ehe die Motorräder das Motorengeheul im Rahmen von Rennen wieder zurückbrachten. Ein Blick auf die Siegerlisten bei den Zweiradartisten offenbart prominente Namen wie John Surtees, Mike Hailwood oder Phil Read. Kein Wunder, schließlich war mit einigen Unterbrechungen ab 1952 die Solitude-Rennstrecke Austragungsort des Großen Preises von Deutschland.

1959 nahmen dann erstmals Formel-Rennwagen die Achterbahn am Glemswald in Angriff. Am 24. Juli 1960 gewann der spätere Ferrari-Pilot Wolfgang Graf Berghe von Trips das Formel-2-Rennen. Ein gewisser Jim Clark triumphierte in der Nachwuchsklasse Formel Junior. Ein Jahr danach startete erstmals die Formel 1 selbst auf der Solitude-Rennstrecke. Zum Debütsieger kürte sich Innes Ireland in einem Lotus 21. Anschließend gastierte die Königsklasse noch drei weitere Male – jeweils mit prominenten Siegern: 1962 gewann Dan Gurney (Porsche 804), 1963 Jack Brabham in seinem selbst gebauten Brabham BT3. Der letzte Sieger war wiederum Jim Clark in einem Lotus 33.
Solitude-Revival seit 1999
Letztmals fanden 1965 Rennen statt. Der Kurs galt wegen seiner schnellen Passagen, fehlenden Auslaufzonen und riesigen Zuschauermassen an der Strecke als zu gefährlich. Dennoch lassen Motorsportbegeisterte seit 1999 mit wiederkehrenden Revivals den Geist der Solitude-Rennstrecke aufleben. Das Event zieht zehntausende Schaulustige an – dann ist es immer kurz vorbei mit der Naherholung am Fuße des Glemswalds. Wegen der Corona-Pandemie pausierte das Revival seit 2019. Im Juli fand die Veranstaltung nach dreijähriger Abstinenz das erste Mal wieder statt. Allerlei legendäre Rennwagen waren dabei zu bestaunen. Unter anderem das Siegerauto von 1962, als Dan Gurney im Porsche 804 gewann. Auch GT-Autos der Stuttgarter Marke feierten ihre Rückkehr auf die Strecke.
Falls Sie sich mit dem Tempolimit arrangieren können, brauchen Sie nicht zwingend das Revival – Tag und Nacht kann man mit dem eigenen Fahrzeug auf den Spuren von Jim Clark und Dan Gurney cruisen. In der Galerie zeigen wir Ihnen, was von der Rennstrecke noch übrig geblieben ist.
Streckendaten
- Lage: 4 km westlich von Stuttgart
- Länge: 11,4 km
- Breite: 8 bis 12 m
- Rechtskurven: 19
- Linkskurven: 26
- Höhenunterschied: 130 m
- Schnellster Teil: ca. 290 km/h