F1-Test Barcelona 2022: Sektor-Analyse & Topspeeds

F1-Test Sektor-Analyse & Top-Speeds
McLaren top in schnellen Kurven

Vergessen Sie die Bestzeiten der Barcelona-Testwoche. Es ist ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen. Lewis Hamilton markierte mit 1.19,138 Minuten die absolute Bestzeit der insgesamt 3.106 Runden. Mercedes an der Spitze der Rangliste hört sich nach Normalzustand an. Doch da war ein bisschen Schönfärberei dabei.

Alfa Romeo lag mit 1.21,885 Minuten von Guanyu Zhou ganz hinten. Die Differenz von 2,747 Sekunden sagt aber nichts über die Qualitäten der beiden Autos und den wahren Unterschied zwischen dem W13 und dem C42 aus.

Hamilton war auf C5-Reifen unterwegs, Zhou auf C3-Gummis. Hamilton ist ein siebenfacher Weltmeister, Zhou ein Lehrbub, der gerade seine ersten Formel-1-Kilometer abspulte. Hamilton brachte es auf 184 Runden, Zhou nur auf 112. Mercedes kam weitgehend defektfrei durch die drei Tage. Der Alfa stand meistens in der Garage.

Alex Albon - Williams - Formel 1 - Test - Barcelona - 25. Februar 2022
Stefan Baldauf

Dritter Sektor mit größter Aussagekraft

Bei einem Test, in dem die Techniker drei Tage lang auf der Suche nach dem optimalen Setup und die Fahrer nach der Ideallinie waren, muss man zu Vergleichszwecken alle Runden betrachten und dann einen gemeinsamen Nenner daraus ziehen. Am besten sektorenweise.

Irgendwann einmal hat es jeder mal ein paar gute Kurven erwischt, und das muss nicht unbedingt in der einen schnellsten Runde gewesen sein. So weicht die Idealzeit bei zwölf Fahrern von der tatsächlichen Bestzeit ab.

Die einzelnen Sektoren und der Top-Speed geben einen ungefähren Eindruck darauf, was die neuen Autos können und was nicht. Der erste Abschnitt auf dem Circuit de Catalunya wird von der langen Zielgerade und drei schnellen Kurven bestimmt. Der zweite von einem Mix aus schnellen und langsamen Kurven mit der Gegengerade zum Abschluss.

Der letzte Sektor zeigt mit seinen vorwiegend langsamen Kurven, wer mechanisch gut aufgestellt und aerodynamisch stabil ist. Er sagt auch am meisten über den Charakter der einzelnen Autos aus.

Beim Topspeed haben wir die vier besten Werte ausgeklammert. Nikita Mazepin mit 329,7 km/h, Pierre Gasly mit 326,3 km/h, Carlos Sainz mit 323,0 km/h und Mick Schumacher mit 322,8 km/h hatten offensichtlich einen guten Windschatten erwischt. Gehen wir also Team für Team durch.

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - Test - Barcelona - 25. Februar 2022
Stefan Baldauf

Ferrari ist der Star der langsamen Kurven

Es ist keine Überraschung, dass Ferrari auch dann die beste Figur macht, wenn man die Strecke von Barcelona in ihre Einzelteile zerlegt. Der F1-75 scheint keine Schwächen zu zeigen. Er liegt beim Top-Speed im guten Mittelfeld, im ersten und zweiten Sektor in den Top 4 und im langsamsten Teil der Strecke auf Rang 2. Da das Umfeld durchweg auf weicheren Reifen unterwegs war, sind die Sektorzeiten von Ferrari noch höher einzuschätzen.

Besonders im Schlussabschnitt. Bevor Mercedes am dritten Tag mit seinen extraweichen C5-Reifen das Bild etwas verfälschte, war Charles Leclerc zwei Mal der Star in Sektor 3. Der Ferrari kann mit mehr Federweg fahren als die Konkurrenz ohne dabei in den schnellen Kurven entscheidend an Abtrieb zu verlieren. Das hilft bei der Traktion.

Und es lässt ahnen, welche Taktik Ferrari verfolgt. Man will in den langsamen Kurven glänzen, weil man dort mehr Rundenzeit holt als in den schnellen. Das ist mit Groundeffect-Autos gar nicht so leicht. Die funktionieren eigentlich nur, wenn man tief und hart fährt.

McLaren macht seine Rundenzeit in den schnellen Kurven. Norris führt die Rangliste im ersten Sektor an. Obwohl George Russell am Freitag mit den weichsten Reifen gefahren ist. Und der McLaren-Engländer war auch in Sektor 2 der schnellste, bis Mercedes Pirellis Superkleber aufschnallte. Dafür verlieren die McLaren im dritten Sektor und auf den Geraden. Mit 314,0 km/h lagen die papaya-gelben Autos im hinteren Teil der Tabelle.

Lewis Hamilton - Formel 1 - Test - Barcelona - 25. Februar 2022
xpb

Mercedes und Vettel profitieren vom C5-Reifen

Mercedes machte erst am letzten Tag einen Sprung. Ein gewichtigen Anteil daran hatten mit Sicherheit die C5-Reifen. So führt Russell zwei Sektoren an und rangiert im ersten Abschnitt auf Platz 3.

Wenn man sich die Sektorbestzeiten vor dem Freitag anschaut, dann sieht es für die Silberpfeile weniger rosig aus. Auf den härteren Gummimischungen käme der W13 im ersten Sektor mit 21,525 Sekunden und im zweiten mit 30,163 Sekunden jeweils auf den 6. Platz. Russells 27,663 Sekunden vom Donnerstag im Sektor 3 hätten den Engländer nur auf Rang 7 gebracht. In den langsamen Ecken waren die C5-Reifen ein Matchwinner. Das gilt auch für Sebastian Vettel.

Red Bull krebste zwei Tage lang unauffällig im Mittelfeld herum und versuchte in langsamen und mittelschnellen Kurven das Untersteuern loszuwerden. Erst der letzte Tag brachte einen Lichtblick. Verstappen erzielt auf C3-Reifen Rundenzeiten wie die Ferrari. Dafür war er allerdings deutlich kürzer auf der Bahn, was auf weniger Sprit im Tank schließen lässt. Die Stärke des RB18 in seiner augenblicklichen Konfiguration sind eher die langsamen als die schnellen Kurven.

Fernando Alonso - Alpine - Formel 1 - Test - Barcelona - 25. Februar 2022
Stefan Baldauf

Alpine lahmt ohne DRS auf den Geraden

Beim Alpha Tauri ist es umgekehrt. Pierre Gasly mischte sich in den ersten beiden Sektoren mit C4-Reifen in die Top 3. Erst am Schluss der Runde musste der Franzose Federn lassen. Da verlor er trotz weicherer Reifen zwei Zehntel auf Ferrari.

Aston Martin ist ein ähnlicher Fall wie Mercedes. Vettel war am letzten Tag auf schnelle Runden aus. Deshalb auch die C5-Reifen. Das lässt das grüne Auto im Sektorvergleich gut dastehen. Zieht man den Reifenfaktor ab kommt Vettel im ersten Sektor auf 22,608, im zweiten auf 30,358 und im dritten auf 27,784 Sekunden. Das entspräche einer Runde von 1.20,750 Minuten. Obwohl die Techniker Kompromisse wegen des Pump-Problems auf den Geraden eingehen mussten, reichte es für einen Platz im Mittelfeld. Das gibt immerhin Anlass zur Hoffnung.

Alpine müsste sich angesichts der Rundenzeiten eigentlich Sorgen machen. Doch in diesem Fall erzählen die Speedmessungen eine ganz andere Geschichte. Esteban Ocon und Fernando Alonso sind mit 300,3 und 294,4 km/h die mit Abstand langsamsten Autos auf der Zielgerade. Das liegt nicht am neuen Renault-Motor, sondern an einem Problem mit dem DRS-Mechanismus.

Die Alpine-Piloten fuhren immer mit geschlossenem Heckflügel. Das beschädigt auch die Zwischenzeit in Sektor 1. Da war Alonso mit 23,066 Sekunden der langsamste. Im Mittelsektor ging es für Alpine als Siebter schon leicht bergauf, obwohl man auch auf der Gegengerade bis zu 15 km/h auf die Konkurrenz verlor.

Das Sahnestück des A522 ist der letzte Sektor. Alonso war mit 27,323 Sekunden Drittschnellster. Er fuhr wie Leclerc auf Medium-Reifen und war bei seiner schnellsten Runde schon elf Runden am Stück auf der Strecke, bis ihn ein Hydraulikfeuer stoppte. Der Alpine hat in dem Bereich offenbar die gleichen Qualitäten wie der Ferrari.

Alex Albon - Williams - Formel 1 - Test - Barcelona - 25. Februar 2022
Stefan Baldauf

Williams vorne im Tabellenkeller

Das große Verfolgerfeld mit Alpha Tauri, Aston Martin, Williams, Alpine, Alfa Romeo und Haas zeichnet sich abgesehen von den Ausreißern Gasly (Sektor 1 und 2) und Alonso (Sektor 3) auch in den einzelnen Streckenabschnitten durch enge Abstände aus. Williams, Alfa und Haas waren oft nur durch zwei oder drei Zehntel getrennt. Dabei ist bei den Ferrari-Kunden noch Luft nach oben. Technische Probleme raubten Zeit zum Abstimmen der Autos.

Alfa Romeo und Haas kamen zwar wenig zum Fahren, haben aber immerhin die Gewissheit, dass sie mit dem neuen Ferrari V6-Turbo wieder ein starker Motor anschiebt. Im Top-Speed sind sie vorne dabei. Auf der Strecke machte Williams im Tabellenkeller die beste Figur. Kein Wunder. Alexander Albon und Nicholas Latifi strampelten zusammen aber auch 347 Runden ab.