Der einzige, der Bescheid wusste, war Johnny Herbert. Der dreifache GP-Sieger in Diensten des TV-Senders Sky gratulierte Max Verstappen zum zweiten Titel, was bei Fahrer und Team mit ungläubigen Staunen aufgenommen wurde. Bei Red Bull ging man davon aus, dass noch ein Punkt zum WM-Titel fehlt. Auch andere Teams hatten das so auf dem Schirm. Vor allem, nachdem die Regeln vor der Saison als Reaktion auf die Regen-Farce von Spa 2021 geändert worden waren.
Um zu verhindern, dass es jemals wieder eine Wiederholung eines Nicht-Rennens gibt, für das man halbe Punkte bekommt, hat die FIA die möglichen Szenarien bei Abbrüchen in vier Kategorien unterteilt. Von zwei Runden bis 25 Prozent der Renndistanz, von 25 bis 50, von 50 bis 75 und über drei Viertel des geforderten Pensums. Je nachdem wird individuell gepunktet. Früher gab es über 75 Prozent volle und darunter halbe Punkte. Mit der Gefahr, dass nur hinter dem Safety-Car gefahren wird und es trotzdem eine Belohnung gibt.

Formel 1 ergibt volle Punkte für 53 Prozent
Die neue Regelung macht durchaus Sinn. Warum sollen Fahrer in den Top Ten, die nur 25 oder 50 Prozent der ursprünglichen Renndistanz zurücklegt haben, so viele Punkte erhalten, wie einer, der die volle Distanz zurücklegt? Da gibt es nur einen Haken: Wenn das Rennen zwar verkürzt, aber dann gemäß den Regularien nach der Zeitschranke vorzeitig zu Ende geht, dann gilt plötzlich das von der Distanz abhängige Punkteschema nicht mehr. Dann gibt es volle Punkte, egal ob fünf oder hundert Prozent der ursprünglich vereinbarten Renndistanz zurückgelegt wurden.
Und genau das war in Suzuka der Fall. Das Zeitlimit von drei Stunden für das Event setzte dem GP Japan ein vorzeitiges Ende. Mit 28 Runden waren zwar nur knapp 53 Prozent der Renndistanz absolviert, aber den Top Ten wurden volle Punkte gutgeschrieben. Wäre der GP Japan über die gleiche Distanz gegangen, aber wegen eines Unfalls oder Wolkenbruchs für immer abgebrochen worden, hätte das Reglement das Verteilschema 19-14-12-9-8-6-5-3-2-1 verlangt. Dann hätte Verstappen noch bis Austin auf seinen zweiten Titel warten müssen.
Warum regen wir uns so auf? Mir ist es völlig egal, wo Verstappen zum Champion gekrönt wird. Er wäre es sowieso geworden. Wo aber bitte liegt der Unterschied, ob ein Rennen am Anfang oder am Ende verkürzt wird? Diesmal bestimmte die Wartezeit von 116 Minuten auf den Re-Start dem 18. WM-Lauf die Dauer. Er hätte auch planmäßig um 14 Uhr Ortszeit gestartet werden und dann nach 1.05 Stunden Rennzeit und 28 Runden abgepfiffen werden können, weil die Strecke unter Wasser steht. Im Prinzip das gleiche, aber mit einem völlig anderen Ergebnis.

F1-Regeln müssen Sinn machen
Worauf ich hinaus will: Regeln müssen für alle verständlich und nachvollziehbar sein. Halbe Punkte gibt es aus einem Grund. Weil nicht mal die halbe Distanz geschafft wurde. Egal, ob man dem Grand Prix vorne oder hinten was wegnimmt. Wenn selbst die bestens informierten Sportdirektoren der Formel-1-Teams im Regelbuch nachschauen mussten, dann ist das ein Armutszeugnis für die Reglement-Verfasser. Regeln müssen Sinn machen. Tun sie das nicht, wendet sich das Publikum irgendwann ab. Da ist der Weltverband gefordert. Schaut euch jeden Praragrafen im Reglement an und überlegt euch, wie ihr ihn verständlicher formulieren oder weglassen könnt.
Der Einwand, dass der entscheidende Passus seit ewigen Zeiten im Sportlichen Reglement steht, macht es nicht besser. In einer vernünftigen Welt werden Fehler korrigiert. Und das ist einer. Man hätte den Paragrafen einfach nur streichen müssen. Der Anlass lag ja auf der Hand. Nach Spa 2021 wollte man die Regeln für verkürzte Rennen umschreiben. Man hätte die Gelegenheit nutzen soll, alle Wenn und Aber rauszustreichen.