Sauber war einer der Gewinner des Chaos-Auftakts von Melbourne. Nico Hülkenberg behielt bei schwierigen Bedingungen einen kühlen Kopf, die Strategen trafen die richtigen Entscheidungen und das Auto zeigte sich konkurrenzfähiger als über weite Strecken der Vorsaison. Als Ergebnis standen am Ende sechs WM-Punkte für Rang sieben.
Bei Sauber ist der Knoten damit schon im ersten Rennen geplatzt. Im Vorjahr musste der Schweizer Rennstall bis zum vorletzten Grand Prix in Katar warten, bis sich etwas auf dem Punktekonto tat. Technik-Chef James Key bezeichnete das Ergebnis auch als psychologisch wichtig: "Es gibt uns Mut und Selbstvertrauen. Alle wollen dieses Resultat jetzt natürlich wiederholen. Das hat uns im letzten Jahr gefehlt. Da ging ein bisschen der Glauben verloren."
Im Qualifying hatte es aber noch nicht nach einem Top-Ten-Resultat ausgesehen. Von den Startplätzen 15 und 17 brauchten Gabriel Bortoleto und Nico Hülkenberg Hilfe der Konkurrenz und etwas Chaos, das dank des Regens auch kam. Leider war Bortoleto einer von sechs Piloten, der sein Auto nicht ins Ziel brachte. In Runde 45 verlor der Rookie ausgangs von Kurve 12 die Kontrolle und krachte heftig in die Mauer.

Kleiner Fehler, große Wirkung: Beim Bortoleto-Abflug ging der neue Frontflügel zu Bruch. Auf der Reparatur-Liste stehen auch Aufhängungsteile und der Unterboden.
Lob für Bortoleto trotz Abflug
Auf den TV-Bildern war kurz vor dem Einschlag zu sehen, wie die Aufhängung einknickte. Laut Key war das aber nicht ursächlich für den Abflug: "Er hat sich um die eigene Achse gedreht und ist rückwärts gerutscht. Wenn man dann hart auf der Bremse steht, kann das solch einen Schaden verursachen. Es könnte auch auf dem Randstein passiert sein. In den Daten haben wir nichts gesehen, was darauf hindeutet, dass die Aufhängung für den Dreher verantwortlich ist."
Bortoleto hatte zuvor im Rennen auch mit Bremsproblemen zu kämpfen. Aber auch dieses Thema spielte laut Key beim Abflug keine Rolle. Als die Strecke nach einem kurzen Schauer wieder feuchter wurde, war der Neuling einfach einen Tick zu schnell unterwegs. Vom Team gab es aber keine Vorwürfe. Der 20-Jährige hatte die Ingenieure nicht nur mit seinem Speed, sondern auch mit seiner Einstellung am Debüt-Wochenende voll überzeugen können.
Der heftige Crash zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison stellt allerdings eine Belastung für die Ersatzteilversorgung dar. "Man hat ja gesehen, wie einer der neuen Frontflügel fliegen gegangen ist. Wir haben noch ein weiteres Exemplar für China vorbereitet. Ich hoffe, dass wir das beschädigte Teil vielleicht noch rechtzeitig reparieren können", grübelte Key nach dem Rennen.

Dass ein weiteres Exemplar des neuen Frontflügels nach China kommt, war sowieso schon geplant. James Key hofft, dass der Flügel vom Bortoleto-Crash reparierbar ist.
Angespannte Ersatzteile-Situation
Dazu musste auch noch ein neuer Unterboden aus der Schweiz nach Shanghai eingeflogen werden. Nico Hülkenberg hatte einen Boden schon im zweiten Freien Training beschädigt, als er zu stark über die Randsteine gerumpelt war. Bei Bortoleto wurde der Unterboden beim Crash in Mitleidenschaft gezogen. In Shanghai müssen beide nun etwas vorsichtiger zu Werke gehen.
Sowohl beim Frontflügel als auch beim Unterboden handelte es sich um neue Teile, die in Melbourne zum ersten Mal zum Einsatz kamen. Key zog ein positives Fazit: "Die Upgrades haben funktioniert. Vor allem der neue Frontflügel arbeitet gut. Es bleibt aber noch die Frage offen, ob wir mit dem Setup richtig auf die neuen Teile reagiert haben. Ich denke, wir hätten auf der Vorderachse mehr Abtrieb vertragen können."
Dieser Mangel an Abtrieb auf der Vorderachse äußerte sich für die Fahrer in einem nervigen Untersteuern. "Wir haben den Großteil der Zeit im letzten Sektor verloren. In Kurve 11 und den Kurven 13, 14 benötigt man eine stabile Vorderachse, um das Auto zum Einlenken zu zwingen." Im zweiten Teil des Rennens wurde die Balance etwas besser. Key vermutet, dass es mit dem zusätzlichen Gummi auf der Ideallinie zu tun haben könnte.

Nico Hülkenberg kam im Laufe des Rennens immer besser in Schwung. Ganz aus eigener Kraft hätte es aber wohl nicht für Punkte gereicht.
Key hofft auf Upgrades und Setup-Fortschritt
"Die Pace war okay. Nico konnte Stroll auf den Intermediates folgen. Und er hat die Ferrari am Ende hinter sich halten können", freute sich der Ingenieur. "Man muss aber auch sagen, dass wir noch nicht das Potenzial haben, Williams zu schlagen. Denen ist über den Winter wirklich ein guter Schritt gelungen. Tsunoda war im Quali auch stark. Auf diesem Level sind wir noch nicht ganz."
Im engen Mittelfeld-Kampf sieht Key sein Team aber nicht ohne Chancen: "Es geht nur um ein paar Zehntel. Wir können das Auto noch besser einstellen. Dann kommen in den nächsten Rennen auch noch Upgrades. Die anderen bringen natürlich auch was. Aber ich denke, dass sie nicht außer Reichweite liegen." Key gab zu, dass das Paket, das man für das erste Rennen geplant hatte, nicht komplett fertig wurde. Wie man hört, soll an den Seitenkästen noch einmal Hand angelegt werden.
Die Frage lautet, ob es schon beim China-Grand-Prix zu der erhofften Steigerung kommt. Auf der kurvigen Piste vor den Toren von Shanghai ist eine besonders starke Vorderachse und ein gut ausbalanciertes Auto gefragt. In beiden Punkten hat Sauber noch Nachholbedarf. Zu viel sollte man also trotz des gelungenen Auftakts nicht erwarten.

Nico Hülkenberg gibt den Sauber-Ingenieuren neue Denkanstöße, die das Team in den letzten Jahren nicht hatte.
Brillantes Hülkenberg-Feedback
Ein Sonderlob von Key bekam Neuzugang Hülkenberg für die Leistung in Melbourne. Der Technik-Chef lobt vor allem das gute Feedback, das der Routinier den Ingenieuren liefert: "Nico war bis jetzt wirklich brillant. Mit seiner Erfahrung kann er einem ganz ruhig und klar erklären, was das Auto macht. Das hilft uns extrem weiter. Er hat ein sehr gutes Gefühl dafür, was um ihn herum im Cockpit passiert. Er kann selbst kleine Details spüren und sie sehr gut vermitteln."
Offenbar lag hier auch eine Schwäche in den letzten Jahren, als noch Valtteri Bottas und Guanyu Zhou in den Sauber-Rennern saßen: "So ein gutes Fahrer-Feedback hatte das Team lange nicht", gibt Key zu. "Wir bekommen ganz frische Eindrücke. Das hat dazu geführt, dass wir jetzt in neue Richtungen blicken, an die wir vorher gar nicht gedacht hatten. Leider wird es aber noch etwas dauern, bis man das auch am Auto sieht."