Brawn: Der Grundstein wurde 1993 gelegt. Wir haben früh kapiert, dass die Regeländerungen für 1994 einen riesigen Unterschied für die Autos ausmachen würden. Alle aktiven Systeme waren verboten. Dazu bekamen wir von Ford einen neuen Motor. Deshalb bat ich Rory Byrne mit der Entwicklung des 1994er Autos so früh wie möglich zu beginnen. Er hat dann schon zu Beginn des Jahres 1993 eine kleine Spezialgruppe gebildet, die an das nächste Jahr dachte.
Eines der Entwicklungsziele war es, den Schwerpunkt des Autos so tief wie möglich zu legen. Das Aerodynamikprogramm war darauf ausgelegt, stabilen Abtrieb zu liefern. Das war in der Zeit der aktiven Fahrwerke in Vergessenheit geraten, weil das Auto ja immer in einer Position gehalten wurde. Der Motor entstand in Zusammenarbeit mit den Chassis-Ingenieuren um eine perfekte Integration zu ermöglichen. Der Benetton B194 hat uns für diesen Einsatz belohnt.
Brawn: Wir haben bei den Testfahrten nur eine Renndistanz geschafft. Das hat uns große Sorgen bereitet. Bei den ersten Rennen des Jahres mussten wir sehr vorsichtig sein. Obwohl wir am Renntag immer einen neuen Motor eingebaut haben, mussten wir darauf schauen, dass er im Warm-up nicht zu viele Kilometer zurücklegt.
Brawn: Williams war in der Zeit der aktiven Aufhängung und elektronischen Systeme stärker als Benetton. Aber wenn du auf einem Gebiet in so einer starken Position bist, dann kann es passieren, dass du an anderer Stelle etwas vernachlässigst. Ich glaube, das ist Williams passiert. Die aktive Aufhängung hat das Auto immer in der aerodynamisch günstigsten Position gehalten. Darauf war deren Aerodynamik abgestimmt.
Mit der passiven Aufhängung hat sich gezeigt, dass die Qualität des Autos selbst gar nicht so gut war. Zumindest nicht zu Saisonbeginn. Williams hatte 1993 die WM gewonnen. Da schleicht sich immer eine gewisse Selbstzufriedenheit ein. Sie haben sich bestimmt nicht so früh Gedanken um das 94er Auto gemacht wie wir. Damals waren die Teams noch nicht so groß, dass man sich locker ein Parallelprogramm leisten konnte.
Brawn: Tom Walkinshaws Rolle bestand darin, das Budget für das Technikbüro zu besorgen. Rory Byrne, Pat Symonds und ich kannten uns seit einigen Jahren. Wir haben gut zusammengearbeitet. Keiner war scharf darauf, den Lorbeer für sich zu beanspruchen. Flavio Briatore kümmerte sich um die Politik und die Finanzen. Und er ließ uns machen. Dann kam Michael Schumacher, der alles zusammengeschweißt hat. Er hatte schon immer diesen Wunsch, das Team aufzubauen und anzutreiben. Einige unserer Leute, die vor 20 Jahren in kleineren Positionen gearbeitet haben, sind heute in leitender Funktion bei anderen Teams tätigt. Zum Beispiel Jonathan Wheatley. Er war unser Chefmechaniker. Heute ist er Teammanager von Red Bull. Das zeigt, wie stark unsere Truppe damals war.
Brawn: Es war nicht riesig, aber genug. Ich glaube, es waren um die 40 Millionen Dollar.
Brawn: Das ist schwer zu vergleichen, weil ich mit Ayrton nie zusammengearbeitet hatte. Michael war bis zu dem Zeitpunkt noch nicht Weltmeister. Er war unglaublich schnell, konstant und er hatte diesen besonderen Renninstinkt. Die Grundlagen waren also schon da.
Brawn: Das Streben nach mehr Sicherheit ist in der Formel 1 immer in Schüben passiert. In der Vergangenheit brauchte es oft einen Anlass, um wieder so einen Schub auszulösen. Zu diesen Anlässen zählten leider auch ernsthafte Unfälle. Das aber hat uns alle zusammengeschweißt. Alle waren sich einig, dass man Lösungen finden musste, um das nicht wieder passieren zu lassen.
Leider wurde dieser Auftrag 1994 von der Politik überschattet. Die Sponsoren und Motorhersteller forderten die FIA auf, etwas zu unternehmen. Die Teams hatten nach den Unfällen von Imola und Monte Carlo dagegen nicht das Gefühl, dass bei den von der FIA verordneten Regeländerungen allein der Sicherheitsaspekt im Vordergrund stand. Da war auch viel Aktionismus dabei. Manche waren aus der Panik heraus geboren und nicht sonderlich durchdacht. Zum Beispiel musste über Nacht eine Stufe in den Unterboden eingezogen werden und der Diffusor wurde beschnitten. Pedro Lamy hatte daraufhin einen bösen Unfall bei Testfahrten in Silverstone. Das Auto landete mitten im Zuschauerraum. Man stelle sich vor, das wäre während eines Rennens passiert. Es war kein einfaches Jahr, weil die Regeländerungen dem einen Auto mehr nutzten als dem anderen.
Brawn: Wir hatten ein Jahr lang darüber nachgedacht, ein Auto für die neuen Regeln maßzuschneidern. Wenn dann innerhalb einer Woche alles umgeschmissen wird, trifft es die Teams mehr, die ein gutes Auto haben. Wir hatten einen leichten und sparsamen, aber nicht den stärksten Motor. Dieses PS-Defizit strafte uns in dem Augenblick mehr, als die Regeländerungen generell den Abtrieb reduzierten. Der Renault-Zehnzylinder von Williams hatte deutlich mehr Power als unser Ford-V8.
Brawn: Als ich zu Ferrari ging, wollte Jean Todt von mir wissen, was an den 1994er Vorwürfen am Benetton dran war. Er war ja damals unser Gegner. Er sagte mir, dass alle seine Kontakte ihm versichert hätten, dass wir mit dem Auto betrogen haben. Als er Rory Byrne und mich besser kennengelernt hat und unsere Version der Geschichte erfuhr, hat er verstanden, dass es der typische Verfolgungswahn war, der dieses Geschäft befällt, sobald ein Auto schneller ist als die anderen. Zum Beispiel die Startautomatik und Traktionskontrolle. Unser Elektronikchef Tad Czapski hatte im Menü einige Unterprogramme gelassen, die diese beiden Systeme unterstützt hätten. Doch die waren sehr schwer in dem Menü-Baum zu finden. Deshalb wurden sie auch beim Löschen vergessen. Es waren allerdings nur die Verweise auf derartige Programme.
Die eigentliche Software, die unter den Menüpunkten aufgerufen hätte werden sollen, existierte gar nicht mehr. Man hätte also überhaupt nicht auf diese Programme zugreifen können, selbst wenn man es gewollt hätte. Das konnten wir den FIA-Inspektoren klar demonstrieren. Die Konkurrenz hat das nicht geglaubt. Sie schürte den Verdacht, dass da was gewesen sein musste, weil sie sich anders den Erfolg des Autos nicht erklären konnte. Das ganze passierte in einer hochpolitischen Atmosphäre. Ich kann in den Spiegel schauen und Ihnen versichern, dass da nichts war. Denken sie nur einmal logisch. Hätten wir eine Traktionskontrolle eingesetzt, dann hätten sehr viele Leute im Team davon Bescheid wissen müssen. Auch die Leute von Ford. Der damalige Motorenchef Martin Walters steht mit Sicherheit außer Verdacht, irgendetwas mit getragen zu haben, dass nur entfernt in einer Grauzone des Reglements liegt. Irgendeiner von den ganzen Mitwissern hätte in der Zwischenzeit gequatscht.
Brawn: Die Elektronikboxen wurden in Imola konfisziert. Sie wurden ohne Beanstandung zurückgegeben. Dann haben die FIA-Inspektoren sechs Wochen später die Steuergeräte ein zweites Mal eingesammelt. Wir hätten also in der Zwischenzeit alles löschen können, was den Verdacht erweckt hätte, dass da illegale Systeme einprogrammiert sind. Die Tatsache, dass wir es nicht getan haben beweist, dass wir selbst nicht wussten, welche Menüpunkte da noch in der Software versteckt waren. Wir waren einfach das Opfer der großen Formel 1-Politik. Da war der kleine T-Shirt-Hersteller Benetton, der Ferrari, McLaren und Williams herausforderte. Diese Leute mussten sich rechtfertigen, warum wir sie schlagen konnten. Die einfachste Erklärung war, dass wir betrogen haben.
Brawn: Das war ein komplettes Durcheinander. Michael hat einen Fehler gemacht und Damon Hill in der Formationsrunde überholt. Die Sportkommissare informierten uns darüber, dass sie Michael bestrafen wollten. Zu der Zeit kam noch ein Funktionär persönlich an die Boxenmauer und überreichte uns die Entscheidung der Sportkommissare. Auf dem Blatt Papier stand, und ich erinnere mich noch heute daran: Zehn Strafsekunden.
Okay, dachten wir, das wird am Ende drauf gerechnet. Also haben wir Michael informiert, dass er Gas geben soll. Dann plötzlich hielt der Rennleiter Michael die schwarze Flagge vor die Nase. Tom Walkinshaw lief zur Rennleitung und wollte wissen warum. Sie sagten ihm: Weil Michael nicht seine Stop-and-Go-Strafe abgesessen hat. Tom zeigte den Sportkommissaren den Zettel, wo etwas anderes draufstand. Sie haben ihren Fehler eingesehen und ihn gebeten, Michael für eine Stop-and-Go-Strafe reinzuholen. Das haben wir dann gemacht.
Brawn: Der FIA-Beobachter Herbie Blash schrieb einen Report, dass wir die schwarze Flagge ignoriert hätten. Aber hätten wir dem Folge geleistet, was wäre dann passiert? Wir hätten den Sportkommissaren den Zettel gezeigt, die hätten ihren Fehler eingesehen, aber unser Rennen wäre kaputt gewesen. Was wir gemacht haben, war sicher falsch. Das Nichtbeachten der schwarzen Flagge ist ein signifikantes Vergehen. Aber wir hatten unsere Gründe dafür.
Die Sache ging aber noch weiter. Die FIA bestrafte Michael mit einem Rennen Sperre. Das nächste Rennen fand in Hockenheim statt. Für uns wäre das der ideale Grand Prix gewesen zu verzichten. Mit unserem Motor konnten wir auf der Power-Strecke sowieso nicht viel ausrichten. Der Veranstalter und höhere Mächte aber bettelten uns an, in Berufung zu gehen. Sie hatten Angst, dass die Fans ihnen die Bude niederbrennen, wenn Michael bei seinem Heim-Grand Prix nicht fährt. Man versicherte uns, dass Michael unter Berufung fahren könne, und dass wir nichts Schlimmeres zu befürchten hätten. Wir haben uns darauf eingelassen. Mit dem Ergebnis, dass wir bei der Berufungsverhandlung für zwei Rennen gesperrt wurden. Das zeigt, wie politisch dieses Jahr war. Man wollte die WM mit Macht spannend halten.
Brawn: Wir hatten zwei Einwände. Das Training fand komplett im Regen statt. Im Rennen war die Strecke zum ersten Mal trocken. Das Auto war dafür zu tief eingestellt. Deshalb hat sich die Holzplatte unter der Stufe im Boden stark abgenutzt. Dann drehte sich Michael in der Pouhon-Kurve über einen Randstein. Das hat die Bodenplatte weiter beschädigt. Die Regeln sagten damals: Wenn eine dieser Platten bei einem Unfall offensichtlich beschädigt worden war, dann wurde sie gewogen. Betrug das Gewicht mehr als 90 Prozent vom Ausgangsgewicht, ist alles in Ordnung.
Die Platte war an einigen Stellen zu dünn. Ohne den Dreher wäre das ein plausibler Grund für eine Disqualifikation gewesen. Da die Planke aber beschädigt war, musste sie gewogen werden. Und das wäre dann der entscheidende Faktor gewesen. Dabei ergab sich, dass sie sich deutlich innerhalb der erforderlichen 90 Prozent befand. Das wurde aber nicht anerkannt. Wir gingen in Berufung. Parallel dazu hatten wir eine Anklage, dass wir die Tankanlage manipuliert hätten. Alles wurde zusammengeschmissen. Deshalb das harsche Urteil gegen uns in der Unterboden-Affäre. Dafür hat man uns mit der Tankanlage in Ruhe gelassen.
Brawn: Der Titel war eine große Erleichterung. Damon fuhr am Saisonende wirklich stark. Besonders bei dem Regenrennen in Japan. Michael war da extrem nervös. Als das Rennen unterbrochen wurde, ist er ausgestiegen und hektisch hin und her gerannt. Damon blieb einfach im Auto sitzen mit einem starren, fast abwesenden Blick. Er hat sich voll in die Sache hineingesteigert und konzentriert. Die ganze 1994er Saison war so kontrovers, dass sich diese Spannung irgendwie auch über Michael legte. Er wollte diesen Titel unbedingt. Es war ja sein erster.
Auch die WM-Entscheidung mit dem Crash der beiden war kontrovers. Wir hatten uns den Titelgewinn anders vorgestellt, aber da uns so viel Unrecht in dieser Saison passiert war, nahmen wir es als ausgleichende Gerechtigkeit zur Kenntnis. Wir hätten diese WM schon viel früher entscheiden müssen, aber wir haben uns politisch etwas naiv angestellt. Ich habe gelernt, dass sich das Klima ändert, sobald du in der Startaufstellung vorne stehst. Bist du irgendwie in der Mitte, lassen sie dich in Ruhe. Wer vorne fährt, wird angefeindet.
Morgen lesen Sie unser Interview mit Pat Symonds, der 1994 als Michael Schumachers Chefingenieur bei Benetton tätig war.