Reifen ohne Heizdecken: Test-Daten von Pirelli

Ergebnisse der Reifen-Tests
Kein Mut für Heizdeckenverbot

McLaren - Heizdecken - F1 - 2023
Foto: Wilhelm

Das Heizdeckenverbot muss warten. Die Teams stimmten in der Formel-1-Kommission mit der erforderlichen Mehrheit gegen die Durchsetzung des Verbots, so wie es bereits im Reglement für 2024 verankert war. Es wird noch mindestens ein Jahr vergehen, bis die Frage erneut auf dem Tisch liegt. Verbot – ja oder nein?

Diesmal fehlte der Formel 1 der Mut. Die Teams hörten auf ihre Fahrer, die bei extremen Bedingungen sogar ein Risiko darin sahen, mit kalten Reifen loszufahren. Einige der Teams sahen wohl auch das aktuelle Kräfteverhältnis gefährdet und übertrieben es mit ihren Bedenken, um den Status quo zu erhalten. Und FIA und Formel 1 wollten sich auch nicht ganz die Türe für Bridgestone zuwerfen. Wäre der Heizdecken-Bann schon 2024 gekommen, hätte die Wahl nur auf Pirelli fallen können.

Referenz war der C3-Reifen

Pirelli hatte bis zum Tag der Abstimmung 17.134 Testkilometer sowie unzählige Laborversuche und Simulationen in die Entwicklung von Reifen gesteckt, die ohne Vorheizen zum Einsatz kommen sollen. Daraus entstand ein 29-seitiges Dokument mit allen Erkenntnissen der Arbeit, die sich nun schon über ein Jahr hinzieht. Den Teams wurde das Papier vor dem GP Belgien zugeschickt.

Darin ist in Text, Tabellen und Grafiken genau aufgeführt, was der neue Reifen kann und was nicht und wie sich die Formel 1 umstellen müsste, wenn er zum Einsatz käme. Pirellis generelles Urteil lautet: Es ist möglich. Das wird aus den Ergebnissen eines Vergleichs zwischen dem Test-Reifen ohne Heizdecken und dem 2023er Reifen deutlich.

Der italienische Reifenhersteller startete die Testserie mit einer neuen Reifenkonstruktion und der bekannten C3-Mischung. Die blieb das gesamte Entwicklungsprogramm über die Referenz. Die Unterschiede wurden in elf Einzelpunkten aufgelistet.

Red Bull - Heizdecken - F1 - 2023
Wilhelm

Eine halbe Sekunde langsamer

Der Reifen ohne künstliches Vorheizen hat prinzipiell die gleichen Eigenschaften wie das aktuelle Produkt, wenn ein stabilisierter Zustand eingetreten ist. Darunter versteht Pirelli den Luftdruck und die Temperatur unter Einsatzbedingungen. Die Übergangsphase vom "kalten" zum "warmen" Reifen unterscheidet sich je nach Rennstrecke und Außentemperatur. Der größte Unterschied tritt dabei nach der Boxenausfahrt bis zum Ende des ersten Sektors auf.

Die Analyse der ersten Runde aus der Box heraus zeigte, dass bei härteren Reifenmischungen und kühleren Bedingungen im ersten Sektor ein Verlust von bis zu sechs Zehnteln zu erwarten ist. Bei Asphalttemperaturen von 10 respektive 17 Grad, wie sie zu Beginn der Testphase in Paul Ricard und Jerez herrschten, war die erste gezeitete Runde etwa zwei Sekunden langsamer als sonst. Bei höheren Temperaturen auf dem Belag kam es aber sogar vor, dass die erste Runde nach der Boxenausfahrt schneller war.

Grundsätzlich steigen die Rundenzeiten über einen längeren Zeitraum im Schnitt um eine halbe Sekunde. Auf einer Strecke, die wenig Grip bietet, können es zunächst sogar 1,3 Sekunden pro Runde sein. Grundsätzlich erreicht der Reifen ohne Heizdecken seinen maximalen Grip bei kühlem Wetter eine bis zwei Runden nach dem 2023er Reifen mit 80 Grad Vorheizung. Ab 30 Grad Streckentemperatur sind beide Reifentypen in der ersten fliegenden Runde auf ihrem Höhepunkt.

Mick Schumacher - Reifentest - Barcelona - 2023
Mercedes

Unterschied im Gripniveau bei drei Prozent

Wenn sich Drücke und Temperaturen des Reifens stabilisiert haben, beträgt der Unterschied im Gripniveau nur noch drei Prozent. Das ist in Summe aller Testerfahrungen spätestens nach vier bis fünf Runden der Fall. Also praktisch kein Unterschied zum Ist-Zustand. Die Abnutzung der nicht vorgewärmten Reifen ist bei tiefen Temperaturen niedriger, bei hohen gleich oder sogar leicht erhöht. Je nach Strecke legt der Luftdruck bei einem Kaltstart bis zum Fahrbetrieb um sechs bis neun PSI zu.

Die Tendenz zum Überhitzen ist bei beiden Produkten gleich. Hohe Streckentemperaturen sind Gift für jeden Reifen. Allerdings waren noch nicht alle fünf Gummimischungen festgelegt. Pirelli befindet sich da immer noch im Feintuning. Deshalb lässt sich über das Arbeitsfenster der künftigen Reifen auch noch nichts sagen.

Der Verschleiß ist ebenfalls ähnlich. Nur in Bahrain stellten die Pirelli-Techniker bei den neuen Reifen einen erhöhten Abrieb an der Hinterachse fest. Der schnellere Druckanstieg hat offenbar keinerlei Auswirkung auf die Lebensdauer des C3-Reifens. Körnen trat praktisch nicht mehr auf.

Williams - Heizdecken - F1 - 2023
Wilhelm

Mehr unterschiedliche Strategien

Für die Fahrer bedeuten Reifen ohne Heizdecken eine Umstellung. Ihre Sensoren meldeten in der ersten Runde mit frischen Gummis reduzierten Grip. Ein Reifen ohne Vorheizen würde nach Pirellis Simulationen auch das Bild der Rennen verändern. Die Rennzeit wird abhängig von der Zahl der Boxenstopps um drei bis vier Sekunden steigen. Das liegt an den langsameren OUT-Runden.

Undercuts sind praktisch nicht mehr möglich. Das muss aber laut Pirelli kein Beinbruch sein. Es würde die Piloten zwingen, wieder mehr auf der Rennstrecke zu überholen, statt auf einen Boxenstopp zu warten. Da die erste Runde nach einem Boxenstopp die Lebenszeit des Reifens definiert, werden die Fahrer ein gutes Mittelmaß finden müssen, um einerseits nicht allzu viel Zeit zu verlieren, andererseits den Reifen nicht zu überfordern.

Diese Aufgabe wird heikler werden. Da der Aufwärmprozess mit den harten Mischungen länger dauern wird, werden die Teams den Prognosen zufolge vermehrt zu den weicheren Reifentypen greifen. Das wiederum könnte für mehr Boxenstopps sprechen. Pirelli erwartet wegen dieser Konfliktsituation mehr unterschiedliche Rennstrategien. Die einen setzen auf Speed, die anderen auf Ausdauer.

Die Entwicklung der Reifen ohne Heizdecken ist noch nicht abgeschlossen. Nur zwei Tage nach dem GP Belgien wurde in Spa schon wieder getestet. Und wenn Pirelli den Zuschlag für die nächsten drei Jahre bekommt, geht es in Monza, Suzuka und Abu Dhabi gleich weiter. Um für 2025 noch besser gerüstet zu sein.