Es könnte kaum rosiger aussehen für Red Bull. Acht Rennen, sechs Siege. 80 Punkte Vorsprung in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft. Das Team aus Milton Keynes nutzt praktisch jede Chance. Das kann man von Ferrari nicht behaupten. Charles Leclerc startete sechsmal von Pole Position. Er gewann nur zwei Rennen. Ferrari hat von allen Teams die wenigsten Rennkilometer gefahren (3.508). Red Bull mit 4.611 Kilometern hinter Mercedes (4.734) die zweitmeisten.
Die anfänglichen Probleme mit der Zuverlässigkeit sind weitgehend aussortiert. In Bahrain stoppte Max Verstappen und Sergio Perez ein Vakuum im Benzintank. Ein Fehler des Teams, und nicht von Motorenlieferant Honda. In Australien verlor der Weltmeister einen sicheren zweiten Platz, weil eine Benzinleitung platzte. Doch seit fünf Rennen hält die Technik.

Red Bull plötzlich standfester
Erinnern Sie sich noch an Verstappens Worte nach Australien? Damals hatte der Titelverteidiger in die Mikrofone gebellt, dass er 45 Rennen brauchen würde, um den Rückstand von 46 Punkten zu Leclerc aufzuholen. Jetzt, nach acht Grand Prix, führt er die WM mit 150 Punkten an – 21 Punkte vor Perez und deren 34 vor Leclerc.
Der Ausfall eines Schlagschraubers beim ersten Boxenstopp von Perez in Baku blieb ohne Folgen. Red Bull quält sich aktuell ansonsten nur mit dem DRS herum. Im Training flatterte der Flap an Verstappens Auto wie im letzten Jahr gegen Saisonende in Brasilien und Katar. Auf dem filigranen Mechanismus lastet zu viel Druck. Dann gibt das System nach. Gegen Rennende in Baku wiesen die Ingenieure ihren Superstar an, das DRS nicht mehr zu verwenden, sollte er auf einen Überrundeten auflaufen.
Die Verantwortlichen erfreuen sich der Standfestigkeit. "Im Gegensatz zu Ferrari haben wir nichts Gravierendes", stellt Sportchef Helmut Marko fest. Der Honda-Motor lief sieben Rennen wie ein Uhrwerk. Obendrauf kommt, dass der Sechszylinder-Turbo kaum Verschleißerscheinungen zeigt. Die Leistung bleibt über die Lebensdauer konstant auf hohem Niveau. Mit den frischen Motoren, die beide RB18 in Baku eingepflanzt bekamen, wurde sie übrigens nicht erhöht.
Problem Vorderreifen für Red Bull
Teamintern hatte es nach dem GP Monaco etwas geknistert. Jos Verstappen, Vater von Max, bellte aufgrund der Strategie. Völlig zu Unrecht. Seine Anschuldigungen, Red Bull hätte seinen Sohn benachteiligt und Perez bevorzugt, waren aus der Luft gegriffen. Da hat einer die Taktik nicht begriffen. Die guten Vorstellungen von Perez nagten allerdings an Max Verstappen, dem der Mexikaner offensichtlich zu dicht dran ist. Drei Niederlagen in acht Qualifikationen ist der Weltmeister aus früheren Jahren nicht gewohnt.
Der RB18 ist mit leeren Tanks kein Auto nach dem Geschmack Verstappens. Das Auto untersteuert zu sehr. Der 25.-fache GP-Sieger will es in die Kurve werfen, muss sich aber zurücknehmen. Der RB18 harmoniert nicht mit den 18-Zoll-Pirelli-Reifen an der Front. Die sind im Vergleich mit dem Hinterreifen "schwach". Ferrari versteht sie besser zu nutzen. Der F1-75 ist am Kurveneingang energischer.
Das liegt vermutlich daran, dass Ferrari die Reifen besser versteht. Kein Team hatte 2021 mehr Reifentests im Dienste Pirellis absolviert. Das muss Früchte tragen. Ferrari hatte den Luxus, Zeit abzuzwacken. Red Bull befand sich im WM-Kampf mit Mercedes. Da wollte man jede Ablenkung vermeiden. Was Milton Keynes gar nicht schmeckt: die hohen Drücke vorn. In Baku musste man die Vorderreifen mit 24,5 Psi aufblasen. Red Bull will mit der Fahrzeugentwicklung reagieren, um Verstappen das Auto schmackhafter zu machen.
Red Bulls Vorteil im Rennen
Der Ferrari ist zweifellos das schnellere Auto auf eine Runde. Auch wenn Red Bull in der Qualifikation von Baku hätte näher dran sein können. Perez kam am Ende von Q3 zu spät aus der Garage. Verstappens Zugpferd fehlte. Der 24-jährige Niederländer hängte sich an den Mercedes von George Russell, war aber zu nah dran. Was ihn in den Kurven kostete. Die Red Bull büßten beispielsweise in Kurve fünf Zeit gegen die Ferrari ein. Generelles Fazit: "Ferrari war in den Kurven besser, wir etwas schneller auf den Geraden." Red Bull fuhr mit einer Spur weniger Abtrieb.
Der Nachteil der Qualifikation wird zum Vorteil im Rennen. Der RB18 liegt etwas ruhiger auf der Hinterachse, und nimmt deshalb die Reifen weniger ran – trotz etwas weniger Anpressdruck. Verstappen wusste in Baku damit umzugehen. Der alte Reifenflüsterer Perez hingegen kämpfte mit starkem Abbau – speziell auf den Mediumreifen. "Vielleicht hat er beim Setup zu viel Gewicht auf das Qualifying gelegt", mutmaßte Teamchef Christian Horner. Es ist in diesem Jahr schön öfter aufgefallen: Perez hat in der Quali verkürzt, doch im Renntrimm ist Verstappen weiter eine Macht.
Deshalb gab es nach dem Platztausch in Runde 15 gar keine Diskussion. "Es war die richtige Entscheidung", sagte Perez. "Max war teilweise eine Sekunde schneller als Checo", erklärte Marko. "Sergio ist sehr erwachsen. Er sieht das große Bild und weiß, dass es eine lange Weltmeisterschaft ist. Ohnehin fährt er in der Form seines Lebens", meint Horner.

RB18 weiter zu schwer
Der Teamchef will Ferrari nicht abschreiben. Dafür ist die Saison noch zu lange. "In den letzten fünf Rennen gab es starke Ausschläge in unsere Richtung. Das kann sich aber wieder drehen. Ferrari hat zweifellos ein starkes Auto, wenn sie ihre Probleme lösen. Wir müssen deshalb jede Chance nutzen, die sie uns anbieten. 2018 war uns noch im Hinterkopf." Damals war es in Baku zur teaminternen Kollision zwischen Verstappen und Daniel Ricciardo gekommen.
Ferrari ist stark und war nach dem ersten VSC auf der besseren Strategie. Ohne Leclercs Ausfall hätte es vielleicht auch nicht mit einem Doppelerfolg geklappt. "Mit Max hätten wir Leclerc bekommen", sagt ein überzeugter Marko. Red Bull bezifferte den Vorteil im Rennen auf drei bis vier Zehntelsekunden pro Runde gegenüber Ferrari. Maranello zweifelt, ob Verstappen tatsächlich vorbeigekommen wäre. DRS und Windschatten waren in Baku kein so scharfes Schwert.
Die Entwicklungen schlagen ein. Auch der überarbeitete Unterboden erfüllte in Aserbaidschan die Erwartungen. Einen Trumpf hat Red Bull noch in der Hinterhand. Der RB18 soll etwa acht Kilogramm über dem Mindestgewicht liegen. Das hängt aber auch vom Setup ab. Ferrari soll sich rund um das Mindestgewicht von 798 Kilo bewegen. Wenn dem so ist, hat Red Bull in der Theorie noch 0,25 Sekunden in der Hinterhand. Aber: Die letzten Kilos sind die teuersten. Stichwort: Budget Cap.