Red Bull feiert Verstappen und Taktik-Trick

Risiko schlägt Vorsicht im WM-Duell
Wieso ging Red Bulls Poker auf?

GP Brasilien 2024

Der Grand Prix von Brasilien war das Meisterstück eines Fahrers. Max Verstappen hätte für seine Fahrt von Platz 17 an die Spitze eigentlich 50 Punkte verdient. Der Weltmeister war an diesem Tag eine Klasse besser als seine Kollegen. Mit insgesamt zwölf Überholmanövern ohne DRS-Hilfe ging er das höchste Risiko, und trotzdem unterlief ihm nicht ein einziger Fehler.

Nur ein Mal war er im richtigen Moment vorsichtig. In den Runden 28 und 29 kletterte sein Rückstand auf Esteban Ocon von 2,4 auf 7,5 Sekunden. Es waren die Runden, als der Regen stärker und die Sicht schlechter wurde. Ocon hatte als einziger freie Fahrt. Verstappen ging vom Gas und forderte einen Abbruch. Das Safety-Car und später der Abbruch erlösten ihn.

George Russell - Mercedes - GP Brasilien 2024
xpb

Reifenverschleiß zwang Mercedes zum Stopp

Stichwort Risiko. Es spielte auch bei der Strategie die entscheidende Rolle. Am Ende wurden die Fahrer belohnt, die sich mit ihrem Reifenwechsel Zeit ließen und dann vom Rennabbruch mit einem Gratis-Boxenstopp belohnt wurden. So rückte das Trio der beiden Alpine mit Esteban Ocon und Pierre Gasly mit Verstappen im Sandwich an die Spitze und hatte beim Restart auch ihren Reifenwechsel ohne Zeitverlust abgespult. Bei Verstappen und Gasly waren die Intermediates obendrein noch neu.

Für Mercedes war das keine Option. George Russells Intermediates waren wegen des falschen Reifendrucks so stark abgefahren, dass Mercedes die erstbeste Gelegenheit wahrnahm, den Spitzenreiter an die Boxen zu holen. Eine VSC-Phase erschien wie ein Geschenk des Himmels. Dass sie kurz vor dem Boxenstopp wieder aufgehoben wurde, war Künstlerpech. Die Mercedes-Strategen beharrten: "Wäre das VSC-Signal noch ein bisschen länger geblieben, hätte George seine Führung behalten."

Russell war trotz seiner abgewetzten Reifen gegen den Stopp. "Ich war mir relativ sicher, dass es wegen des immer stärker werdenden Regens eine rote Flagge geben würde. Es ging nur darum, solange zu überleben." Der Kommandostand widersprach: "Ein Abbruch ist nie garantiert."

George Russell - Lando Norris - Mercedes - McLaren - GP Brasilien 2024
xpb

Zu viel an den Konstrukteurs-Titel gedacht

McLaren und Ferrari spielten die Karte Vorsicht. Man wollte auf jeden Fall beide Fahrer sicher ins Ziel bringen, um in der Konstrukteurs-WM zu punkten. Ferrari holte Charles Leclerc schon unter Renntempo in Runde 24 an die Box, weil er hinter Tsunoda und Ocon im Verkehr verhungerte. Ferrari wollte ihm mit dem Undercut freie Fahrt verschaffen, schickte ihn aber erneut in einen Pulk von Fahrzeugen.

Red Bull steckte mit Verstappen im gleichen Dilemma, ließ seinen Fahrer aber auf der Strecke. Auch dann als ein virtuelles Safety-Car zum Boxenstopp gerade zu einlud. Oscar Piastri erwischte mit seinem Stopp die VSC-Phase genauso perfekt wie Alonso, Bearman, Hamilton, Sainz, Perez, und Zhou. Er wurde aber nicht belohnt und war beim Restart Achter wie vorher auch.

Russell und Norris folgten eine Runde später und hatten Pech mit dem Timing. Ocon, Verstappen und Gasly rutschten ihnen durch. Toro Rosso versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen. Auch Yuki Tsunoda und Liam Lawson verpassten das VSC-Signal. Sie setzten das Rennen auf Regenreifen fort.

Wäre das Rennen normal weitergelaufen, hätte sich die Taktik vermutlich ausgezahlt. In den vier Runden bis zum Abbruch war so viel Wasser auf der Bahn, dass die grobstolligen Pirellis die beste Wahl gewesen wären. Doch für wie lange hätte sich der Vorteil ausgewirkt? Der Regen ließ relativ schnell wieder nach. Das hätte alle mit Regenreifen gezwungen, auf Intermediates zurückzurüsten.

Max Verstappen - GP Brasilien 2024
xpb

Verstappens Überhol-Trick

Red Bull schickte Sergio Perez als Versuchskaninchen los und stellte das Auto mit der Startnummer 11 in der 27. Runde auf Regenreifen. Weil der Mexikaner nicht sonderlich davon profitierte, reifte am Red-Bull-Kommandostand, dass die beste Taktik Abwarten ist.

Teamchef Christian Horner bestätigte: "Was hätten uns frische Intermediates gebracht? Es war so viel Wasser auf der Bahn, dass sie nichts besser gekonnt hätten als die Garnitur, die wir drauf hatten." Mit dem Safety-Car in Runde 29 war man die Sorge los. Trotzdem plädierte Red Bull für Abbruch. Die Sicht wurde immer schlechter, die Aquaplaning-Gefahr immer größer." Im Siegerteam war man sich einig: "Es wurde zwei Runden zu spät abgebrochen."

Die 25-minütige Unterbrechung stellte alle Uhren auf null. Mit dem Vorteil für die Fahrer, die nie zum Reifenwechsel an der Box war. Lando Norris nahm es sportlich. "Mit roten Flaggen ist es immer das Gleiche. Mal gewinnst du, mal verlierst du."

Verstappen gewann. Er hatte beim Restart nur noch den Alpine von Esteban Ocon vor sich. Beim ersten Mal ließ der spätere Sieger noch Vorsicht walten. Er wollte seine Reifen erst auf Temperatur bringen, bevor er einen Angriff starten würde. Ein weiteres Safety-Car wegen des Unfalls von Sainz gab dem Weltmeister eine zweite Chance.

Diesmal nutzte er sie. Er hatte genau studiert, wie Ocon beim Restart reagiert. Und er hatte auch beobachtet auch, dass der Alpine-Pilot beim Anflug auf die erste Kurve stur die äußere Linie halten würde, weil dort der beste Grip zu sein schien. Nur Verstappen wusste von den Überholmanövern davor, dass er dort, wo die Straße vor dem Senna-S nach innen abfällt, auf der Bremse vorbeikommt, wenn er mit der Einstellung der Bremsbalance verhindert, dass die Räder blockieren. "Es war alles eine Frage des Vertrauens. Und ich hatte das Vertrauen, dass es funktioniert."