Der Red Bull RB18 war nicht immer das schnellste Auto im Feld, aber meistens das beste. Das belegen auch die Zahlen. Ferrari stand zwölf Mal auf der Pole Position, Red Bull nur acht Mal. Doch Red Bull gewann 17 Rennen. Ferrari nur vier. Der Ferrari F1-75 produzierte auf eine Runde den meisten Abtrieb. Oder der Mercedes W13, wenn er in der idealen Position gefahren werden konnte.
Doch der Anpressdruck der Herausforderer war nicht immer stabil. Bei unterschiedlichen Fahrzuständen im Rennen kam es bei Ferrari häufig zu Balanceverschiebungen. Das killte die Reifen. Mercedes musste sein Auto meistens auf einen Kompromiss trimmen, der im Endeffekt Abtrieb kostete. Er war dann im Rennen stabil, allerdings auf Kosten von Rundenzeit.
Red Bull schafft Bouncing ab
Red Bull bekam sein Auto schnell in den Griff. Weil man als erster das Bouncing verstanden und abgeschafft hat. Weil man deshalb schneller als andere die Schwachstellen seines Autos erkannte und abstellte. In der zweiten Saisonhälfte konnten sich Max Verstappen und Sergio Perez auf ihr Auto verlassen. Lewis Hamilton dagegen blieb trotz einiger Höhenflüge dabei: "Dieser Mercedes ist das unberechenbarste Rennauto, das ich je gefahren bin." Ferrari kriegte zu spät die Kurve. Erst in den letzten beiden Rennen war der F1-75 wieder eine verlässliche Größe.
Red Bull-Technikchef Adrian Newey gibt zu, dass man sich die guten Eigenschaften des Ferrari zu Saisonbeginn als Vorbild genommen hat. "Unser Auto war im ersten Teil der Saison sehr schwer abzustimmen. Wir haben unser kleines Arbeitsfenster als Schwäche erkannt und speziell daran gearbeitet. Dazu kam, dass wir Gewicht abgespeckt haben. Das hilft nicht nur auf eine Runde. Es verringert auch die Reifenabnutzung. Das ist eine Funktion von Last auf die Reifen, sei es durch Gewicht oder Abtrieb."
Generell funktionieren Groundeffect-Autos in einem kleineren Arbeitsfenster als ihre Vorgänger. Das liegt in ihrer DNA. Weil der Unterboden so viel zum Gesamtabtrieb beisteuert, ist es so wichtig, dass er berechenbar liefert. "Die Aerodynamik funktioniert in einem kleineren Fenster, und die Reifen sind sensibler als sie früher waren. Der Vorderreifen war etwas schwächer als gedacht. Dadurch wurde es generell schwieriger, die Autos perfekt abzustimmen."

Guter Topspeed, hohes Gewicht
Ein Markenzeichen des Red Bull war auch sein überragender Topspeed. Die Designabteilung um Adrian Newey, Pierre Waché und Rob Marshall hat die einstige Schwäche in eine Stärke umgedreht. "Ich würde es nicht geplant nennen", relativiert Newey "Bei völlig neuen Regeln machst du das, was du für richtig hältst. Du hast keine Ahnung in welche Richtung sich die Gegner entwickeln. Wir sind selbst ein bisschen überrascht, dass die anderen Autos langsamer als wir auf den Geraden waren."
Eine der wenigen Schwächen des RB18 war sein hohes Gewicht. Red Bull stieg mit rund 20 Kilogramm Übergewicht in die Saison ein. Etwa fünf Kilogramm mehr als Mercedes und zehn Kilogramm schwerer als Ferrari. Das waren drei Zehntel auf der Uhr. Newey nennt es "fast schon peinlich", mit wie viel Speck an den Hüften der beste Red Bull der Geschichte zu den ersten Rennen antrat.
Ein Teil sei den Regeln geschuldet, führt Newey aus, aber es gab auch eigene Versäumnisse. "Da kamen viele Dinge zusammen, die das Gewicht mehr nach oben getrieben haben als erwartet. Die Reifen waren schwerer als zunächst gedacht, die Radkappen, die seitliche Crashstruktur. Wenn du ein Auto entwickelst, dann arbeitest du mit Toleranzen bei dem geschätzten Gewicht. Wir dachten, dass wir nah am Gewichtslimit sein würden. Tatsächlich lagen wir weit drüber."
Der späte Konstruktionsbeginn und der Zeitdruck, unter dem das neue Auto entstand, spielten eine wesentliche Rolle. "Wir hatten ein Problem, den Seitencrash zu bestehen, und mussten die Struktur dort am Chassis verstärken. Dazu waren wir mit den mechanischen Teilen noch knapp dran, weil wir uns lange um das Vorjahresauto gekümmert haben. Dazu haben wir uns mit der Aerodynamikentwicklung wie immer viel Zeit gelassen. Das bedeutet, dass man beim Gewicht dafür bezahlt."
Newey nennt auch Beispiele: "Einige Teile wie zum Beispiel die Verkleidung sind einfach zu schwer geraten, weil sie in Eile zusammengezimmert wurden. Dann gab es da noch einige dumme Posten. Die Fußraste war ein Kilogramm zu schwer. Sie wurde in letzter Minute entworfen und als schweres Teil geboren." Das hohe Gewicht, das sich zunächst hauptsächlich um die Vorderachse konzentrierte, belastete die Reifen und zwang die Piloten ihren Fahrstil anzupassen: "Rundenzeit ließ sich nicht mehr erzwingen. Es brachte nichts, ein Defizit durch härtere Fahrweise auszugleichen."

Verständnis für Regeländerungen
Über die Regeländerungen im Lauf der Saison war Newey nicht immer glücklich. Red Bull steckte sie jedoch besser weg als seine Mitbewerber. "Die Anhebung des Mindestgewichts passierte mit Zustimmung fast aller Teams. Wenn das so ist, habe ich kein Problem mit einer Regeländerung. Die Direktive über die Steifigkeit des Unterbodens und Abnutzung der Schutzplanke wurde durch Druck einiger Fahrer angestoßen. Wie ehrlich oder politisch motiviert diese Klagen waren möchte ich nicht kommentieren."
Sollte die Gesundheit der Fahrer tatsächlich das treibende Motiv für die FIA gewesen sein, dann müsse man das, so Newey, aus zwei Blickwinkeln sehen. "Der eine ist, dass jedes Teams seine Probleme selbst aussortieren muss. Der andere ist ein Eingriff der Regelhüter. Ich finde, man hätte mehr Druck auf die Teams ausüben sollen. Der Passus einer "gefährlichen Konstruktion" ist ein solches Druckmittel. Aber um das durchzusetzen, braucht man ein Messverfahren. Deshalb verstehe ich, dass die FIA diesen Weg gewählt hat."
Mit der Anhebung der Bodenkanten um 15 Millimeter für 2023 hat Red Bulls Starkonstrukteur weniger Bauchschmerzen als gedacht: "Der Grund für das alles ist das Bouncing einzudämmen. Man könnte jetzt argumentieren, dass wir die Regel gar nicht brauchen, weil wir ja messen, ob das Auto zu stark auf- und abschwingt. Zehn Millimeter hätten es meiner Meinung nach auch getan. Aber mehr um den Teileverbrauch zu reduzieren. Die Kanten des Bodens berühren in Highspeedkurven die Straße und werden dabei beschädigt, dass man sie oft austauschen muss."