Es sollte das perfekte Wochenende werden. Doch nach 71 Rennrunden kratzte man sich in der Red-Bull-Garage und am Kommandostand die Köpfe. Ferrari war am Rennsonntag von Spielberg haushoch überlegen. Charles Leclerc und Carlos Sainz konnten ein höheres Tempo anschlagen und obendrein ihre Reifen deutlich länger am Leben halten.
So musste sich Max Verstappen nach Pole am Freitag und Sieg im Sprint am Samstag mit dem zweitem Platz im Hauptrennen abfinden. Wenigstens holte er sich im Rennen den Zusatzpunkt für die schnellste Runde. In Summe verlor Red Bulls Speerspitze das Duell gegen seinen WM-Rivalen Leclerc mit 27 zu 32 Punkten. "Sogar an einem für unsere Verhältnisse schlechten Wochenende haben wir nur fünf Punkte verloren", resümierte Verstappen.

Fataler Angriff von Perez
Es war wie in Silverstone. Ferrari hatte die Gelegenheit, deutlich mehr Punkte gutzumachen. In England verpatzte die Scuderia die Strategie, in Österreich platzte im Auto von Carlos Sainz der Motor. Just in dem Moment, als er zu einer ersten Attacke gegen Verstappen hätte ansetzen können. "Ferrari hätte sehr gut einen Doppelsieg einfahren können", weiß Red-Bull-Teamchef Christian Horner. "Insofern war es erfolgreiche Schadensbegrenzung für uns."
Auch in der Team-WM. Ferrari holte nur sieben Punkte auf. Der zweite Red Bull ging bereits nach einer halben Runde K.o. Sergio Perez wurde von Mercedes-Pilot George Russell ins Kiesbett geschickt. Es passierte in Kurve vier. Eigentlich hatte Red Bull seine Piloten vor einem Angriff dort auf der Außenseite gewarnt. Perez versuchte es dennoch.
Horner verteidigte seinen mexikanischen Fahrer. "Checo hatte das Momentum auf seiner Seite. Er kam besser aus Kurve drei als Russell. In Kurve vier muss der Fahrer auf der Innenspur mitspielen. Hier war es nicht der Fall." Perez quälte sich bis zur 24. Runde weiter, und stellte dann ab. "Der Unterboden war zu stark beschädigt. Er wäre zwei Runden hinter dem Sieger gelandet. Weiterfahren war sinnlos."
Probleme auf allen Reifen
Weltmeisterschaften zieht man auf seine Seite, indem man an Rennwochenenden besser abschneidet, als man eigentlich ist. Insofern konnten sowohl Teamführung als auch der Nummer-1-Pilot mit dem Ausgang leben. Dass Ferrari aber derart überlegen war, gab zu denken. "Sie waren besser als erwartet, wir schlechter", fasste Verstappen bündig zusammen.
Egal, ob Medium-Reifen oder harte Mischung. Die Ferrari flogen, während der Weltmeister ab der ersten Runde mit dem Rücken zur Wand fuhr. "Wir hatten auf jedem Reifensatz unsere Probleme. Nach ein paar Runden haben die Reifen jeweils nachgelassen." So blieb Leclerc im Gegensatz zum Sprint an seinem Vordermann dran. Überholte ihn nach zwölf Runden. Und später noch zwei Mal. Verstappen hatte mit zeitversetzten Boxenstopps nur jeweils kurz die Führung geerbt.

Red Bull trifft Fenster nicht
Red Bull rätselte. Den Sprint hatte man doch verhältnismäßig souverän gewonnen. Da hätte es doch auch im Hauptrennen besser laufen müssen. Man darf am Auto ja nicht viel verstellen. Frontflügel und Reifendrücke. War es die grüne Strecke nach einem Regenguss über Nacht, die einbremste? Oder die gefallenen Streckentemperaturen? Oder passte das Setup nicht für einen Rennwagen mit vollen Tanks? Im Sprint waren die Benzinspeicher nur zu einem Drittel gefüllt. "Am Samstag war der Reifenabbau zwischen Ferrari und uns noch praktisch identisch", meinte Horner. "Vor allem im ersten Stint auf den Mediums war er bei uns im Rennen bedeutend höher."
Verstappen suchte seine Boxenmannschaft bereits nach 13 Runden auf, um auf harte Reifen zu tauschen. Leclerc spulte auf dem gelben Startreifen die doppelte Distanz ab. Drei Runden mehr sogar als im Sprintrennen – trotz vollgetanktem Auto. Bei Red Bull hatte man schon vor dem Grand Prix eine Zweistoppstrategie festgelegt, doch mit längeren Abschnitten. Schon zur Rennhalbzeit wechselte Verstappen ein zweites Mal. So war klar, dass er in der VSC-Phase in Runde 58 wieder an die Box kommen würde. Die Ferrari-Strategen hatten es einfach.
Zu wenig Grip, keine passende Balance, Unter- und Übersteuern: Dem roten Gegner war mit dem hohen Reifenabbau nicht beizukommen. "Es war seltsam, weil wir in Silverstone mit den Reifen noch auf der guten Seite waren", erinnert der Teamchef. "Diese Autos sind einfach so sensibel. Wenn du sie nicht im richtigen Arbeitsfenster bewegst, bezahlst du den Preis." Bei Red Bull ist dieses Fenster für die Abstimmung kleiner als bei Ferrari. Der F1-75 ist das gutmütigere Auto.
Update für Paul Ricard?
Die kleinen Retuschen an den vorderen Tunneln am Red Bull sollten dafür sorgen, die Strömung bei verschiedenen Bodenfreiheiten konstant zu halten. Ferrari hatte dennoch das bessere Paket. Auf eine Runde bewegte man sich auf Augenhöhe. Doch das Ergebnis in der Qualifikation könnte tauschen. Kein Fahrer erwischte am Ende von Q3 eine Top-Runde. Alle kämpften mit den Reifentemperaturen, nachdem die Mercedes-Fahrer mit ihren Unfällen für zwei Unterbrechungen gesorgt hatten.
Das Pendel schwingt wieder zu Ferrari. Noch führt Verstappen aber komfortabel mit 38 Punkten Vorsprung in der WM. Leclerc hätte ihm deutlich näher sein können ohne Technik- und Strategie-Pannen. "Wir hatten auch in Spanien, Monaco, Baku, Kanada und Silverstone ein schnelles Rennauto, erwischten aber nie ein reibungsloses Wochenende", sagt Leclerc, der mit drei Überholmanövern in einem Rennen gegen Verstappen ein Novum schaffte. "Wir kennen uns schon so lange. Ich weiß um seine Schwächen, er um meine. Wir respektieren uns gegenseitig", sagt der Monegasse.
Mit Paul Ricard wartet nun eine Rennstrecke mit schnellen und flüssigen Kurven. Genau in diesen Passagen war das rote Auto in Silverstone und Spielberg leicht im Vorteil. Red Bull hofft, rechtzeitig das nächste Upgrade an den Start zu bringen. Es ist für Frankreich avisiert, aber noch nicht sicher, ob alles wie der Zeitplan es vorsieht fertig wird.
Man wird nicht nur Dauerrivale Ferrari beobachten müssen. Sondern auch Mercedes. "Wir erwarten, dass sie in Ricard schnell sein werden", sagt Horner. "Ihre Autos hüpfen nicht mehr durch die Gegend. Es sieht danach aus, als ob sie sich wieder zurück ins Spiel bringen."