Red Bulls Sportchef Helmut Marko wirkte weder ernüchtert noch euphorisch. Das Team von Weltmeister Max Verstappen hat im Testwinter der Formel 1 keinen Kaltstart hingelegt, glänzte allerdings auch nicht besonders. "Der Max hat ab der ersten Runde gesagt, dass er sich ganz gut im Auto fühlt. Sicher gibt es noch Kinderkrankheiten. Aber wir sind unsere Zeit nicht auf weichen Reifen und sicher nicht mit dem leichtesten Auto gefahren."
Die Probleme befielen am zweiten Testtag erst das Getriebe und später die Antriebseinheit. Teile wie die Benzinpumpe hatten sich lose geschüttelt und die Power Unit malträtiert. Die Welle für die MGU-K brach. Das kostete einen halben Tag auf der Rennstrecke. Wertvolle Zeit, um die neue Aerodynamik zu verstehen und Setup-Optionen zu evaluieren. Möglichkeiten, um das Pumpen auf den Geraden wirkungsvoll zu verringern, ohne dafür in den Kurven zu büßen.
Max Verstappen drehte seine persönlich schnellste Testrunde am letzten Tag. Er umrundete die Rennstrecke in Barcelona auf den mittelharten C3-Reifen in 1:19.756 Minuten. Damit war er sechs Zehntelsekunden langsamer als Lewis Hamilton, der bei seiner Wochenbestzeit allerdings die weichste C5-Mischung an seinem Silberpfeil hatte. Da kann man getrost ein paar Zehntelsekunden abziehen.
Red Bull will zudem festgestellt haben, dass Mercedes etwas leichter als man selbst unterwegs gewesen sei. Allerdings hat man etwas Sorgen vor einem großen Upgrade, das der Konstrukteurs-Weltmeister noch in der Hinterhand haben soll. Zwar ist zu hören, dass Red Bull in Bahrain selbst im großen Stil nachlegen will, aber nicht in derselben Größenordnung wie Mercedes. So glaubt man es zumindest.
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Noch Hausaufgaben für Red Bull
Ferrari hat Red Bull überzeugt. Gutes Auto, guter Motor, konstante Rundenzeiten, die man sich nicht mit wenig Benzin erkauft hat. Den Italienern ist mit dem V6-Turbo scheinbar ein guter Fortschritt gelungen, während Honda und Mercedes wegen des neuen E10-Benzins noch hinter den PS-Werten vom letzten Jahr zurückhängen. Aber: Testfahrten sind Testfahrten. Die Wahrheit gibt es erst am Rennwochenende.
In Milton Keynes gibt es dennoch Hausaufgaben zu erledigen. In langsamen wie mittelschnellen Kurven befällt den RB18 zu viel Untersteuern. Das Schwesterteam von Alpha Tauri hatte in Barcelona die bessere Balance in diesen Kurventypen. Schnelle Ecken wie Turn 3 und 9 waren für den Red Bull keine Hürde. Vielleicht hing es mit den kühleren Temperaturen und den Vorderreifen zusammen, dass der RB18 beim Einlenken über die Vorderachse schob. Vielleicht am hohen Gewicht. Red Bull gehört zu den Teams, die nach einer Anhebung des Mindestgewichts schreien. Da ist von fünf bis zehn Kilogramm die Rede.
Mechanisch hat Red Bull gewohntes Terrain verlassen. Vorne Pullrod statt Pushrod, hinten anders herum. Alles zur liebe der Aerodynamik. Im Fahrerlager erzählt uns ein Ingenieur: "Ohne Aerodynamik zu berücksichtigen, gibt es zwischen Pull- und Pushrod nur kleine Unterschiede. Bei der Wahl kommt es ganz darauf an, wie du den Luftstrom haben möchtest und wie du die Dämpfer im Auto platzieren willst. Aerodynamik und Packaging sind also die Hauptgründe für die eine oder die andere Aufhängungsrichtung." Wer wie McLaren und Red Bull vorne in der Chassisröhre die mechanischen Komponenten für die Federung tief unten vergräbt, braucht Mechaniker mit kleinen und geschickten Fingern.
Mit den neuen Autos müssen die Federn und Dämpfer auch wieder dort verbaut werden, wo sie hingehören. Sie an andere Stellen im Auto zu verlegen, und sie über Leitungen "remote" zu aktivieren, gehört der Vergangenheit an. Von daher ist es sinnvoll, vorne auf Pullrod zu gehen, weil es den Schwerpunkt absenkt. An der Hinterachse verspricht sich Red Bull durch die Druckstrebe (Pushrod) mehr Freiheiten für den Diffusor.
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"RB18 mit großem Potenzial"
Bei den Tests in Barcelona spulte das Team die viertmeisten Runden hinter Ferrari (439), Mercedes (393) und McLaren (365) ab. Max Verstappen steuerte 206, Sergio Perez 152 Runden für die Datensammlung bei. Dem Weltmeister ist die Umstellung auf Ground-Effect-Autos leichter gefallen als seinem mexikanischen Teamkollegen. Typisch Verstappen, der in allen Autos dieser Welt schnell ist.
Sportchef Marko glaubt, dass der beste Verstappen erst noch kommt. "Von Max ist der Druck der Weltmeisterschaft abgefallen. Das nimmt eine Last von seinen Schultern. Ich sehe da noch Potenzial." Gespräche über eine vorzeitige Vertragsverlängerung laufen. Noch ist allerdings nichts spruchreif. Der Kontrakt läuft bis einschließlich 2023. Alternativen sind rar, hüben wie drüben. Red Bull hatte sich mit Lando Norris unterhalten, doch der Engländer entschied sich für eine Vertragsverlängerung bei McLaren bis 2025.
Beim Blick auf das Feld hat auch der Niederländer nicht viele Optionen, obwohl er für jeden Rennstall eine Verstärkung wäre. Red Bull ist ein Top-Team, Verstappen ein Top-Fahrer, die Beziehung ist innig: Da wird man sich mit einer Gehaltserhöhung sicher einig werden.
Der Fokus liegt auf einem gelungenen Saisonstart. Kein Team hat am alten 2021er Auto so lange entwickelt wie Red Bull, um die Mission WM-Titel erfolgreich abzuschließen. Das muss zwangsläufig zulasten des neuen Autos gehen. Red Bull hat aber die Ingenieursstärke, und mit Adrian Newey einen Star-Konstrukteur: Das kann einen späten Entwicklungsstart abfedern. Marko sagt: "Newey gibt die Richtung vor. Das Auto scheint großes Potenzial zu haben."