Red Bull besiegt Ferrari in Quali zu GP Abu Dhabi

Ferrari einziger Red-Bull-Herausforderer
Der Kampf um den zweiten WM-Platz

GP Abu Dhabi 2022

Abu Dhabi ist die wunderbare Spielwiese für Red Bull. Der Mix aus zwei langen Geraden und 16 Kurven ist dem RB18 wie auf den Leib geschneidert. Hier kann das effizienteste Auto im Feld seine Stärken ausspielen. Pfeilschnell auf den Geraden, dank günstigem Luftwiderstand. Schnell in den Kurven durch Abtrieb.

Red Bull wird nicht wie Ferrari oder Mercedes in Kompromisse getrieben. Die einen nehmen Flügel weg, um auf den Geraden nicht zu verhungern, die anderen packen ihn drauf, in der Hoffnung im Rennen zu profitieren. Mercedes fährt in Abu Dhabi von den drei Topteams mit dem größten Flügel, Ferrari mit dem kleinsten. Red Bull geht einen Mittelweg.

Leclerc mit kleinem Fehler

Für gewöhnlich war das rote Auto in dieser Saison das schnellste in der Qualifikation. 12:8 Pole Positions im direkten Vergleich mit Red Bull zeugen davon. In Abu Dhabi war es nicht der Fall. Max Verstappen und Sergio Perez blockieren die erste Startreihe. Charles Leclerc hatte seinen Rivalen um den zweiten WM-Rang in Sichtweite, büßte zu Verstappen aber fast drei Zehntelsekunden ein. Die Mercedes hatte Ferrari sicher im Griff.

Das Fazit fiel bei der Scuderia gemischt aus. Zwiegespalten könnte man sagen. Einerseits wäre man mit Leclerc gerne vor Perez gestanden. Die beiden gehen mit jeweils 290 Zählern punktgleich ins Finale. Andererseits hat es für Maranello Priorität, in der Team-WM vor Mercedes zu landen.

Der Monegasse hätte besser abschneiden können. "Ich habe mich leider in Kurve sechs verbremst." Das kostete ihn im zweiten Abschnitt. Im Vergleich zu Teamkollege Carlos Sainz büßte Leclerc im Mittelsektor etwa zwei Zehntelsekunden ein. Perez hätte er also schlagen können. Gegen Verstappen hätte es wohl selbst mit einer perfekten Runde nicht gereicht. "Wir stehen dort, wo wir hingehören", führt der WM-Zweite aus. "Red Bull ist schneller als wir und gehört deshalb in die erste Startreihe."

Max Verstappen - Red Bull - GP Abu Dhabi 2022
Wilhelm

Vielseitigkeitsmeister Red Bull

Die dunkelblauen Autos sind mal wieder das Maß auf den Geraden – wenn man die Williams mit ihrem niedrigen Abtrieb mal außenvor lässt. Perez hatte an der Messstelle vor Kurve sechs 331,5 km/h drauf. Verstappen schaffte deren 329,9 km/h. Die Ferrari verloren rund sechs Stundenkilometer, die Mercedes acht zu Perez. Ferrari verdankte es seinem kleineren Flügel, dass sich der Schaden geradeaus in Grenzen hielt. Dennoch begegnete man Red Bull im kurvenreichen Schlussabschnitt auf Augenhöhe. Leclerc und Verstappen trennten dort fünf Tausendstel.

Das rote Auto spielt dort seine Qualitäten aus. Der Ferrari hat nach Rechnung von Red Bull mehr Abtrieb als das eigene Auto. Mercedes soll sogar den meisten haben. Jedoch nur unter gewissen Umständen, wenn wirklich alles passt. Red Bulls großer Vorteil ist die Vielseitigkeit. Der RB18 hat den stabilsten Anpressdruck. Das Auto fliegt über die Geraden und hat das breiteste Abstimmungsfenster. Selten verwachste das Weltmeister-Team. Zuletzt in Sao Paulo griff man am Sprintrennwochenende völlig daneben.

Das Auto untersteuerte und verspeiste die Pirellis im Dauerlauf. "Da haben wir zu viele Fehler gemacht", erinnert Verstappen. Es gab noch eine zweite Erklärung für die Pleite. Der Red Bull hat wieder an Gewicht zugelegt. Teile einer neueren Fahrzeugspezifikation mussten ausrangiert werden, weil sie ans Ende ihrer Laufleistung gekommen waren. Ältere wurden an das Auto geschraubt. Red Bull fehlt das Geld, um neue zu produzieren. Stichwort Budget Cap.

Elektronik-Aussetzer am RB18

In Abu Dhabi hat der Red Bull wieder in sein Wohlfühlfenster gefunden. "Ich musste ab dem zweiten Training nur Feintuning betreiben", lobt der Weltmeister. Das erste hatte er zugunsten von Nachwuchsfahrer Liam Lawson ausgesetzt. In der Qualifikation lief es trotz Pole Position nicht reibungslos. Im zweiten Durchgang erkannte Verstappen sein Auto nicht wieder. "Wir haben einen frischen Softreifen aufgezogen. Das Auto ist im Heck plötzlich nur noch geschwommen." Im Q3 änderte der Red Bull sein Gesicht. "Plötzlich war das Auto zurück im Fenster. Es wird ein Mysterium für uns bleiben."

Zwei Mal zickte die Elektronik. Zu Beginn der Quali und zum Start des letzten Qualifikationsteils. Beides Mal musste Verstappen sein Auto neu starten. Der geplante Windschatten für Perez fiel deshalb im ersten Versuch von Q3 aus. "Sergio konnte sich aussuchen, ob er vorn fahren will. Er hat sich dafür entschieden", schildert Verstappen. Im letzten Versuch profitierte Red Bulls Nummer zwei von seinem Zugpferd. Keiner war schneller als Perez im Mittelteil der Strecke, wo die langen Geraden stecken. "Was ich dort gewonnen habe, ging im letzten Sektor wieder verloren." Dort befand er sich in der verwirbelten Luft des Teamkollegen.

Trotzdem erfüllte Perez als Zweiter den ersten Teil seiner Mission. Er soll den zweiten Rang in der Fahrer-WM erobern. Für gewöhnlich hat der Red Bull im Rennen die geringere Reifenabnutzung als der Ferrari. Leclerc wirft ein: "Im zweiten Training hatten wir im Longrun unsere Probleme. Im dritten haben wir uns verbessert. Nur fehlt uns dort leider die Referenz." Weil kein anderer einen Dauerlauf zur gleichen Zeit abspulte.

Charles Leclerc - Ferrari - GP Abu Dhabi 2022
Wilhelm

Ferrari-Setup pro Rennen

Ferrari hat vielleicht ein bisschen Speed geopfert, um dieses Mal über die Distanz besser auszusehen. "Wir haben unser Augenmerk darauf gelegt. Hoffentlich ist die Reifenabnutzung nicht so hoch", sagt Leclerc, der in der Qualifikation damit kämpfte, die weiche Mischung schnell ins Arbeitsfenster zu treiben. "Es war schwer, die Reifen anzuzünden. Das Gefühl hat sich von einer zu anderen Runde verändert."

Das langsamere Aufheizen der Pirellis ist ein Indiz dafür, dass Ferrari das Setup mehr Richtung Reifenschonen getrimmt hat. Und doch bleibt das Fragezeichen, ob es mit dem kleineren Flügel tatsächlich gelingt, und die mechanischen Eingriffe ausreichen. Bei Red Bull jedenfalls machen sie sich keine allzu großen Sorgen.

Es spricht derzeit mehr dafür, dass der GP Abu Dhabi ein Zweistopprennen wird. Früher war es ein klassischer Fall für nur einen Wechsel. Das hat sich mit den 2022er Pirellis verändert. Speziell Kurve neun saugt dem rechten Vorderreifen das Leben aus.

Perez und die Ferrari-Piloten werden darauf hoffen, dass die Reifen tatsächlich ein schweres Leben haben. Sie genießen einen Vorteil. Sie haben sich jeweils zwei Sätze der härtesten Mischung reserviert. Verstappen nur einen, und dafür zwei frische Medium-Garnituren. Wie die Mercedes. Vom Soft werden wohl alle die Finger lassen. Es sei denn, ein spätes Safety Car erlaubt einen Schlussspurt. "Oder nur eine Runde", witzeln sie bei Red Bull – und erinnern damit an die letzte Runde des GP Abu Dhabi 2021.

Man bohrt gerne in der Wunde von Erzrivale Mercedes. Verstappen hat die Silberpfeile auf der Rechnung. "Wer weiß, vielleicht haben sie Pace in der Quali geopfert, um im Rennen besser zu sein." Hat Mercedes laut eigener Aussage.