Das Internet vergisst nicht. So macht kurz vor dem Großen Preis von England, das zehnte Rennwochenende der Formel-1-Saison 2022, eine abfällige Aussage von Nelson Piquet die Runde in den sozialen Netzwerken, die er im November des Vorjahres getätigt hatte. Der Brasilianer benutzte damals in einem Interview mit Bezug auf Lewis Hamilton ein rassistisches Schimpfwort.
Piquet, Formel-1-Weltmeister von 1981, 1983 und 1987, sorgt mit dieser Entgleisung für Empörung im F1-Zirkus. Fans, Medien, Teams, Formel 1 und FIA verurteilen die rassistische Äußerung gleichermaßen. Im Rahmen einer Analyse zum Unfall zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen beim Vorjahresrennen in Silverstone, nannte der 23-fache GP-Sieger Hamilton nicht beim Namen, sondern abfällig bei seiner Hautfarbe.
Der Highspeed-Crash erregt auch noch fast ein Jahr später die Gemüter. Über die Schuldfrage herrscht nach wie vor Uneinigkkeit. Die Debatte ist immer noch aufgeheizt. Piquet befand damals die Schuld bei Lewis Hamilton, der nach Rad-Kontakt mit Max Verstappen mit einer Zeitstrafe davongekommen war. Und trotzdem später den Heimsieg feierte. Sein WM-Rivale landete dagegen mit Karacho im Reifenstapel von Copse Corner und erfuhr dabei eine Verzögerung von über 50 g (G-Kräfte). Verstappen musste zu Checks ins Krankenhaus. Piquet ist der Vater von Verstappens Lebensgefährtin.

Hamilton antwortet Piquet
Rekordsieger Hamilton äußerte sich am Dienstag (28.6.) auf Twitter zu Piquets Entgleisung. "Es ist mehr als Sprache. Diese archaischen Denkweisen müssen sich ändern und haben in unserem Sport keinen Platz. Ich war mein ganzes Leben lang von diesen Einstellungen umgeben und ihnen ausgesetzt. Es war genug Zeit zum Lernen. Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen", twitterte der 37-jährige Engländer.
Der siebenfache Weltmeister richtete das Wort auch an seine brasilianischen Anhänger. Auf Portugiesisch schrieb Hamilton: "Konzentrieren wir uns darauf, die Denkweise zu ändern." Ein Appell, sich einzusetzen und Rassismus endlich in den Köpfen auszulöschen. Hamilton und sein Mercedes-Rennstall setzen sich mit diversen Initiativen für ein Umdenken in der Gesellschaft und im weltweiten Motorsport ein. Für Diversität und Akzeptant aller gleichermaßen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Sexualität, Religion oder Alter.
Inzwischen hat sich Piquet selbst zu dem Fall gemeldet. "Ich möchte mit den in den Medien kursierenden Geschichten über einen Kommentar aufräumen, den ich letztes Jahr in einem Interview gemacht habe", führt der Brasilianer in einer Pressemitteilung vom Mittwoch (29.6.) aus. "Was ich gesagt habe, war schlecht durchdacht, und ich verteidige mich nicht dafür, aber ich werde klarstellen, dass der verwendete Begriff im brasilianischen Portugiesisch weit verbreitet und historisch umgangssprachlich als Synonym für "Typ" oder "Person" verwendet wurde. Das war nie beleidigend gemeint."
"Ich würde niemals das Wort verwenden, das mir in manchen Übersetzungen vorgeworfen wird. Ich verurteile nachdrücklich jede Andeutung, dass das Wort von mir mit dem Ziel verwendet wurde, einen Fahrer wegen seiner Hautfarbe herabzusetzen. Ich entschuldige mich von ganzem Herzen bei allen Betroffenen, einschließlich Lewis, der ein unglaublicher Fahrer ist, aber die Übersetzung in einigen Medien, die jetzt in den sozialen Medien verbreitet wird, ist nicht korrekt. Diskriminierung hat keinen Platz in der Formel 1 oder der Gesellschaft und ich bin gerne bereit, meine diesbezüglichen Gedanken zu erläutern.
Statement von Mercedes
Das Mercedes-F1-Team hatte sich noch vor Hamilton selbst in einem Statement geäußert, das man über die sozialen Netzwerke verbreitete. "Wir verurteilen aufs Schärfste jede Form von Rassismus oder diskriminierende Sprache, in welcher Form auch immer. Lewis führt die Anstrengungen unseres Sports an, um Rassismus zu bekämpfen. Was das Thema Diversität angeht, ist er ein wahrer Champion auf und abseits der Rennstrecke."
Und weiter: "Zusammen teilen wir unsere Vision von einem vielfältigen und inklusiven Motorsport, und dieser Zwischenfall unterstreicht die grundlegende Bedeutung, weiter nach einer besseren und helleren Zukunft zu streben." Das Mercedes-F1-Team hat sich mit seinem Programm "Accelerate 25" beispielsweise selbst zum Ziel gesetzt, dass mehr als 25 Prozent aller neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis Ende 2025 aus unterrepräsentierten Gruppen stammen. Mit Hamilton zusammen gründete man die gemeinnützige Initiative "Ignite". Diese wurde anfangs durch einen mit mehreren Millionen Dollar dotierten Fonds finanziert, der vom Rennfahrer selbst und dem Mercedes-Team angelegt wurde.

Hamilton soll Ehrenbürger werden
Auch die Formel 1 und die FIA verurteilten die Aussagen von Piquet, ohne ihn beim Namen zu nennen. "Diskriminierende oder rassistische Sprache sind in jedweder Form inakzeptabel und haben keinen Platz in der Gesellschaft. Lewis ist ein unglaublicher Botschafter unseres Sports und verdient Respekt. Seine unermüdlichen Anstrengungen, Diversität und Inklusion zu erhöhen, sind ein Lehrbeispiel für viele und etwas, wozu wir uns auch in der Formel 1 verpflichten", heißt es in einem Statement der Königsklasse. Ferrari teilte das Statement und fügte hinzu, dass man an der Seite der Formel 1, von Lewis Hamilton und Mercedes stehe – im Kampf gegen jede Form von Diskriminierung.
Die FIA schloss sich dem ebenfalls an. "Wir drücken unsere Solidarität mit Lewis Hamilton aus, und unterstützen mit allen Mitteln seine Verpflichtung zu Chancengleichheit, Diversität und Inklusion im Motorsport." Die Formel 1 selbst hatte vor zwei Jahren Kampagnen wie "We race as one" ins Leben gerufen, die 2022 aber etwas eingeschlafen zu sein scheinen. Zumindest vor dem GP-Start kommt es zu keinem gemeinsamen Aufruf mehr.
Auch etliche Fahrerkollegen wie beispielsweise Charles Leclerc, Daniel Ricciardo, George Russell, Esteban Ocon und Guanyu Zhou unterstützten Hamilton mit Posts auf ihren Plattformen. Mit dem Land Brasilien selbst verbindet Hamilton übrigens eine besondere Beziehung. Die Brasilianer verehren ihn – und umgekehrt. Er soll dort zum Ehrenbürger ernannt werden. Dafür hatte der brasilianische Kongress im Juni votiert.
Erst kürzlich hatte ein anderer Rassismus-Skandal den Motorsport getroffen. Red-Bull-Junior Jüri Vips hatte während eines gestreamten Video-Spiels das "N-Wort" geäußert. Red Bull suspendierte ihn daraufhin umgehend. Nach einer ausführlichen Analyse des Vorfalls beendete Red Bull die Zusammenarbeit mit dem Test- und Ersatzfahrer des Teams. Vips hatte sich bereits zuvor entschuldigt, und sein Verhalten bedauert.