Wer in der Formel 1 gegen eine Tatsachenentscheidung der FIA vorgeht, muss gute Argumente haben. In der Vergangenheit hatten Proteste und Überprüfungsanträge nur selten eine Chance auf Erfolg. Die Hürden für solch ein Prozedere sind bewusst hoch angesetzt, um andauernde Berufungen und unsichere Ergebnisse zu verhindern.
Eigentlich waren sich die McLaren-Verantwortlichen der minimalen Erfolgsaussichten bewusst. Teamchef Andrea Stella hatte in Austin erklärt, dass man den Fall der Norris-Strafe nicht noch einmal neu aufrollen wolle. Der britische Pilot bekam nach der Zieldurchfahrt fünf Sekunden aufgebrummt, weil er im direkten Duell mit Max Verstappen außerhalb der Strecke überholt hatte.
Doch zur Überraschung aller im Fahrerlager flatterte dann doch der Antrag für ein sogenanntes "Right of Review" in den Briefkasten der FIA. McLaren behauptete, dass man neue und signifikante Beweise vorlegen könne, die zum Zeitpunkt der Untersuchung durch die FIA-Kommissare in Austin nicht zur Verfügung standen. Am Freitag, um 14.30 Uhr Ortszeit in Mexiko, trug das Team seine Sicht der Dinge per Videokonferenz vor.

Norris hatte beim Anbremsen eine Wagenlänge Vorsprung. McLaren war somit der Meinung, dass Norris seine Position anschließend nur noch verteidigt hat.
Angreifer oder Verteidiger?
Kern der Argumentation der McLaren-Anwälte war, dass Norris im Gegensatz zur Urteilsbegründung nicht in der angreifenden Position, sondern als Verteidiger agierte. Damit würde sich die Sachlage bei Berücksichtigung der offiziellen Zweikampf-Richtlinien komplett ändern. TV-Bilder hatten belegt, dass sich Norris am Bremspunkt vor Kurve 12 für einen kurzen Moment um eine komplette Wagenlänge am Red Bull vorbeigeschoben hatte. McLaren wertete die Verstappen-Aktion somit nicht als Verteidigung, sondern als Angriff, um sich die Position zurückzuholen.
Wer erfolgreich angreift, dabei aber neben die Strecke gerät, muss die Position laut dem F1-Regelwerk zurückgeben, um sich keinen Vorteil zu verschaffen. Nach der McLaren-Theorie lag Verstappen aber sowohl beim Bremspunkt als auch am Ausgang der Kurve hinter Norris. Somit gab es keine Positionsveränderung. Und somit hatte sich auch keiner von beiden durch das Verlassen der Strecke einen illegalen Vorteil verschafft.
Das neue und relevante Element in diesem Fall habe darin gelegen, dass die FIA-Kommissare in ihrer Urteilsbegründung einen klaren Fehler begangen hätten, in dem sie nicht berücksichtigten, dass Norris das Auto von Verstappen bereits überholt habe. Stattdessen hätten die Stewards fälschlicherweise behauptet, dass Norris der Angreifer in dieser Situation war. Die Strafe sei somit nicht gerechtfertigt.

Am Ende kam es zum erwarteten Ausgang. Die Hürde für eine Neuaufnahme ist einfach zu hoch.
Keine neuen Beweise
Doch die FIA wollte dieser Argumentation nicht folgen. Ein angeblicher Fehler in der Urteilsbegründung kann nicht als neues Element herangezogen werden, um eine Überprüfung zu rechtfertigen. Stattdessen müsse es ein neues Element geben, mit dem ein Fehler bewiesen wird. In diesem Fall gab es aber keine neuen Beweise, die eine andere Sichtweise auf die Szene erlaubten. Die Szene anhand der bestehenden Beweise anders zu interpretieren, sei demnach kein neues Element.
Mangels neuer Beweise wurde der Antrag auf eine Überprüfung des Falls abgelehnt. McLaren scheiterte somit schon an der ersten Hürde. Die FIA-Kommissare merkten zudem an, dass diese Hürde für das Erwirken einer Überprüfung eigentlich eher bei Urteilen Anwendung finden sollte, bei denen alle Parteien in der Verhandlung anwesend sind und nicht für Urteile, bei denen eine Entscheidung unter Druck und unter Ausschluss der Betroffenen gefällt wird.
Einige im Fahrerlager beschuldigten McLaren wegen der Aussichtslosigkeit des Falls, nur ein Zeichen gegen die FIA setzen zu wollen. Viele bezeichneten das ganze Verfahren als Zeitverschwendung. Doch die Stewards führten in ihrem Urteil an, dass McLaren in gutem Glauben auf einen Erfolg gehandelt hat.