Norris-Strafe: McLaren verlangt FIA-Klarstellung

Norris-Strafe wird neu verhandelt
McLaren verlangt FIA-Klarstellung

Eigentlich hatte McLaren-Teamchef Andrea Stella nach dem Rennen in Austin angekündigt, die Strafe gegen Lando Norris zähneknirschend anzuerkennen und die Sache damit auf sich beruhen zu lassen. Doch in den vergangenen Tagen scheint sich die Einstellung etwas geändert zu haben. Die FIA verschickte am Donnerstagabend Einladungen an die beiden betroffenen Teams, um sich die Standpunkte noch einmal anzuhören.

McLaren muss bei der Video-Konferenz am Freitag um 14.30 Uhr Ortszeit erst einmal Beweise vorlegen, die neu und relevant für den Fall sind. Erst, wenn diese Hürde genommen ist, kann der Fall neu aufgerollt werden. Und selbst dann ist längst nicht klar, dass die Strafe zurückgenommen wird. Zum Zeitpunkt der Entscheidung in Austin lagen schon alle Videoaufnahmen und Telemetriedaten vor. Es ist unklar, welches Kaninchen McLaren jetzt noch aus dem Hut ziehen könnte.

Lando Norris vs. Max Verstappen - GP USA 2024
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Wer war der Angreifer?

Lando Norris erklärte am Donnerstag noch einmal, warum die Strafe seiner Meinung nach ungerecht war: "Ich lag am Bremspunkt schon komplett vor Max, mehr als eine Wagenlänge. Das heißt, dass ich damit nicht mehr der Angreifer war, sondern er. Er hat attackiert und die Strecke verlassen. Ich habe meine Position nur verteidigt."

Und selbst wenn man Verstappen die privilegierte Verteidiger-Rolle zuschreiben würde, wäre die Strafe aus Sicht von Norris nicht angebracht gewesen: "Er lag ja am Scheitelpunkt nur deshalb vorne, weil er danach von der Strecke geflogen ist. Hätte er so gebremst, dass er die Kurve bekommt, wäre ich am Scheitelpunkt vorne gewesen."

Norris ärgerte sich auch über das Timing der Strafe: "Hätte es gleich eine Ansage gegeben, dass ich den Platz zurückgeben soll, dann hätte ich das natürlich gemacht. Aber so funktioniert es leider nicht. Ich denke, dass die Entscheidung danach übereilt getroffen wurde. Sie hätten uns Fahrer auch nach dem Rennen befragen und dann ein Urteil sprechen können."

Max Verstappen - GP Mexiko 2024
Red Bull

Grundsatzdiskussion über Richtlinien

Der McLaren-Pilot glaubt aber nicht, dass ihm ein schnellerer Platztausch eine Chance für einen zweiten Angriff gegeben hätte. "Mein Pace-Vorteil gegenüber Max wurde immer kleiner. Hätte ich ihn wieder vorbeigelassen, wäre ich wohl nicht mehr vorbeigekommen. Natürlich kann man hinterher darüber diskutieren. Aber ich saß im Auto, deshalb sollte ich es am besten wissen."

Der Fall Norris vs. Verstappen führte im Fahrerlager zu einer Grundsatzdiskussion. Verstappen selbst gab zu, dass er die Regeln bei Zweikämpfen immer im Hinterkopf hat. Allerdings ist es auch für den Weltmeister nicht einfach, den Überblick zu behalten: "Wir sind fast an einem Punkt, wo wir ein Buch im Auto brauchen. Es ist definitiv überreguliert. Aber wenn man die Regeln lockert und es wieder Streitfälle gibt, wird sicher direkt wieder nach härteren Regeln gerufen."

Carlos Sainz gab zu, dass er von einigen Urteilen überrascht wurde. Der Ferrari-Pilot will nun anstoßen, dass die Fahrer eine Schulung mit den Stewards bekommen: "Wir müssen uns verschiedene Szenen anschauen, damit wir besser verstehen, wann es eine Strafe gibt und wann nicht. Die Stewards müssen uns Feedback geben, damit ich weiß, was ich erwarten muss. Wenn es nur darum geht, wer am Scheitelpunkt vorne ist, dann ändert man natürlich seine Fahrweise."

George Russell - GP Mexiko 2024
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Permanente Profischiedsrichter in der Formel 1?

Den aktuellen Streitfall sieht Sainz differenziert: "Ich dachte eigentlich, dass man auch beim Verteidigen innerhalb der Strecke bleiben muss. Auf der anderen Seite war es auch nicht fair, dass Lando nach der Kurve vorne lag, weil er außerhalb der Strecke überholt hat. In diesem Fall waren also beide irgendwie schuld. Es gab aber auch andere Szenen, die weniger kompliziert waren, wo ich das Urteil nicht nachvollziehen konnte."

Lewis Hamilton brachte den Vorschlag ein, Profischiedsrichter in der Formel 1 zu engagieren. "Man muss sich nur andere globale Sportarten anschauen. Die haben Vollzeit-Schiedsrichter, die immer im Einsatz sind. Das wäre sicher nichts Schlechtes für unseren Sport. Ich bin oft gegen Max gefahren. Es sollte nicht erlaubt sein, einfach auf der Innenbahn reinzuschießen und dann die Kurve nicht zu bekommen, um vorne zu bleiben. Daran müssen wir arbeiten."

Auch George Russell setzte sich für diesen Vorstoß ein: "Es ist die einzige Lösung, um an jedem Rennwochenende konstante Urteile zu bekommen. Die Kommissare, die wir haben, sind sehr erfahren, aber sie erledigen die Aufgabe praktisch freiwillig. Es ist keine Arbeit, die bezahlt wird wie bei einem Profi. Im Fußball erledigen die Schiedsrichter einen Vollzeitjob. In diese Richtung sollte es hier auch gehen."

Kiesbetten - GP Österreich 2024
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Kiesbetten als Lösung?

Russell war in Austin selbst unter den Leidtragenden. Nach einem Duell mit Valtteri Bottas kassierte er eine Strafe, die Teamchef Toto Wolff ordentlich auf die Palme brachte. Eine Woche später fand Russell etwas sanftere Töne: "Beim Rückblick auf Austin kann man sagen, dass meine Strafe hart, aber wohl korrekt war. Das Urteil in Landos Fall war wohl auch korrekt. Aber Max hätte auch eine Strafe verdient, weil er neben der Strecke unterwegs war."

Als Vorsitzender der Fahrergewerkschaft GPDA will Russell das Thema beim nächsten Meeting auf die Agenda setzen. Dabei soll auch nochmal über die Überholrichtlinien gesprochen werden. "Man könnte so argumentieren, dass der Fahrstil von Max nicht gegen die Regeln verstößt, aber ein Schlupfloch ausnutzt. Je komplizierter die Regeln geschrieben sind, desto schwieriger ist es, bei der Urteilsfindung normalen Menschenverstand einfließen zu lassen."

Neben neuen Regeln sieht Russell aber auch die Rennstreckenbetreiber in der Pflicht: "Die Ursache des Problems lag in der Strecke, die es einem erlaubt, neben der Piste zu fahren. Ich nenne hier gerne das Beispiel Österreich, wo wir letztes Jahr 300 Track-Limit-Verstöße hatten. Dann wurden Kiesbetten eingebaut und plötzlich gab es keine Probleme mehr."