Es musste viel passieren, bis die Vernunft über die Gier siegte. Zwei lange Siegesserien. Vier Jahre Red Bull, sieben Jahre Mercedes. Ein Feld, das auf zehn Teams geschrumpft ist. Vier Beinahe-Pleiten und genauso viele Übernahmen durch neue Besitzer. Die Corona-Krise, die drei Teams an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte. Und die Einnahmen der Rechteinhaber auf die Hälfte reduzierte.
Nur die TV-Anstalten, Serienpartner und Streckensponsoren zahlten 2020 in die Kasse der Formel 1 ein. Der Paddock Club sperrte zu. Geisterrennen stellten alle Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf. Statt Antrittsgeld vom Veranstalter musste Liberty Streckenmiete bezahlen. Nur dort, wo Zuschauer erlaubt waren, verdiente die Formel 1 an den Ticketerlösen mit.
Ausschüttung im Corona-Jahr halbiert
Damit wird in dieser Saison auch an die Teams nur die Hälfte ausgeschüttet. Da die Bonuszahlungen für frühere Erfolge geschützt sind, trifft es die Rennställe besonders hart, die ausschließlich am Antritts- und Preisgeld partizipieren. Racing Point hätte 2020 bei einer regulären Ausschüttung 59 Millionen Dollar von Liberty bekommen. Jetzt werden es gerade mal 30 sein. Mercedes dagegen wird von den 177 Millionen Dollar, die dem Serien-Weltmeister 2020 zugestanden hätten, wahrscheinlich nur 126 Millionen auf seinem Konto sehen. Der WM-Bonus von 76 Millionen ist garantiert, vom Rest gibt es 50 Prozent.
Zur Rettung der Teams wurden Sparmaßnahmen wie eine 63-tägige Fabrikschließung, die Homologation von Teilen und Einschränkungen bei der Entwicklung beschlossen. Zusammen mit fünf Rennen weniger als geplant geben die Teams über zwei Jahre zwischen 30 und 60 Millionen Dollar weniger aus, als sie es in einer Welt ohne Corona getan hätten.
Die Formel 1 verteilte in diesem Jahr zum letzten Mal ihr Geld nach dem System, das Bernie Ecclestone einmal erfunden hat. Ecclestone teilte seinen Kuchen in drei Säulen. Das Antrittsgeld, das für alle zehn Teams gleich hoch ausfiel und zuletzt bei 35 Millionen Dollar lag. Das Preisgeld, das je nach WM-Position zwischen 15 und 66 Millionen Dollar einbrachte. Und die Extrazahlungen, deren Höhe frühere Erfolge oder lange Präsenz in der Formel 1 bestimmen. Die standen nur Ferrari, Mercedes, Red Bull, McLaren und Williams zu.
Obendrauf kam noch Ferraris Sonderstatus, der in diesem Jahr mit 73 Millionen Dollar belohnt wurde. "Ferrari garantiert mir dafür, dass ihre Marke für die gesamte Vertragsdauer exklusiv bei uns antritt", begründete Ecclestone die Extrawurst für das Aushängeschild der Königsklasse.
Neuer Sozialismus in Formel 1
Die neuen Hausherren räumen mit Beginn der Saison 2021 mit Ecclestones alten Zöpfen auf. Es hat die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer gemacht. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wer erfolgreich und schon lange dabei ist, schneidet auch in Zukunft besser ab als die Mitläufer und die Hinterbänkler. Liberty nimmt den großen Teams etwas in der Spitze weg und schaufelt es vor allem den Teams zu, die um die Plätze vier bis acht kämpfen. Manche sprechen schon von einem neuen Sozialismus in einem durch und durch kapitalistischen Sport.
Mercedes müsste sich 2021 bei gleicher WM-Platzierung mit 145 statt 177 Millionen Dollar zufriedengeben, vorausgesetzt die Formel 1 verdient wieder so viel Geld wie vorher. Red Bulls Anteil schrumpft von 152 auf 132 Millionen, obwohl man 2020 einen Rang besser abgeschnitten hat als 2019.
Ferrari blutet bei allen drei Zahlungen. 23 Millionen weniger Ferrari-Bonus, 26 Millionen weniger für historische Erfolge, sechs Millionen weniger aus dem Preisgeldtopf, weil der Vize-Weltmeister auf Platz sechs abgestürzt ist. Macht in Summe 150 statt 205 Millionen Dollar.
So viel profitiert der Mittelstand
Für McLaren, Racing Point, Renault, Alpha Tauri und Alfa Romeo-Sauber lohnt es sich nach WM-Endstand der abgelaufenen Saison. Beim WM-Vierten Racing Point sind es 41 Millionen Dollar mehr als zuvor. Bei McLaren 15, bei Renault und Alpha Tauri um jeweils 24. Im Fünfkampf um die Plätze drei bis sieben ging es um eine Preisgeld-Spanne von 31 Millionen Dollar.
Man kann aber auch eine andere Rechnung anstellen, die den Unterschied zum alten System noch deutlicher zeigt. Für den Vergleich legt man bei allen Teams den Schlüssel von 2019 zugrunde, der sich am WM-Endstand von 2018 bemisst. Dabei gäbe es ohne die Bonuszahlungen hinter dem Spitzenduo fünf Gewinner und zwei Verlierer.
Platz 3 und Platz 4 bringen jeweils 27 Millionen Dollar mehr, beim fünften Rang sind es 22 Millionen, beim sechsten und siebten jeweils 18 Millionen. Auch die letzten drei Plätze lohnen sich heute mehr. Für Rang acht gibt es 13 Millionen Dollar oben drauf, für Platz 9 sind es acht und für das Schlusslicht drei Millionen extra.
Komplizierte Schlüssel für Bonuszahlungen
Libertys neue Gerechtigkeit sieht auf den ersten Blick aufgeräumter und logischer aus, baut aber auch auf so manchem unorthodoxen Berechnungsmodell auf. Die Zuzahlung für Ferrari und die Erfolgreichen ist an die Gesamteinnahmen gekoppelt. Diese Beträge werden erst einmal abgezogen, bevor es an die große Verteilung geht.
Liegt der Preisgeldtopf unter einer Milliarde Dollar, erhält Ferrari fünf Prozent vom Gesamtkuchen. Zwischen 1,0 und 1,05 Milliarden sind es sechs, von 1,05 bis 1,1 Milliarden acht und über 1,1 Milliarden zehn Prozent.
Die Langzeit-Erfolgreichen partizipieren mit 20 Prozent, aber erst ab einer Ausschüttung von 650 Millionen bis zu einer Obergrenze von 1,05 Milliarden. Würde Liberty mehr verdienen und damit auch mehr als 1,05 Milliarden verteilen, steigt der Prozentsatz auf 25 Prozent. Wer von den Top-Drei-Platzierten der letzten zehn Jahre wie viel Geld aus diesem Sondertopf bekommt, legt ein kompliziertes Punktesystem fest, das man am besten schnell wieder vergisst.
Sparhilfe Budgetdeckel
Nach dem alten Auszahlungsmodus hat Mercedes 37 Prozent seines einst 475 Millionen schweren Budgets, so wie es für 2019 im Companies House eingetragen war, über den Preisgeldtopf finanziert. Die Kosten für den Motor gehen extra. Das ist eine weitere dreistellige Millionensumme. Bei Ferrari und Red Bull waren es 45 Prozent, bei Renault und Alpha Tauri nur 34. Den Rest des Etats müssen die Teams mit Sponsoren oder eigenen Mitteln aufbringen.
Das soll sich ändern. 2021 sind die Ausgaben der Formel-1-Teams auf 145 Millionen Dollar gedeckelt. Die Obergrenze sinkt in den beiden Folgejahren auf 140 und schließlich 135 Millionen Dollar. Bringt man das mit dem neuen Auszahlungsmodus zusammen, würde sich Mercedes allein durch die Ausschüttung der Rechteinhaber zu 100 Prozent refinanzieren. Ferrari würde fünf Millionen Dollar verdienen und Red Bull 13 Millionen draufzahlen. Kleine Teams spielen zwischen der Hälfte und zwei Drittel ihrer Kosten wieder ein.
Doch die Formel 1-Welt ist nicht so einfach, wie sie aussieht. Der Budgetdeckel gestattet Ausnahmen. Die Fahrergagen, die Gehälter der drei teuersten Angestellten, die Motorkosten, Reisespesen, Verwaltung und Marketing gehen extra. FIA-Präsident Jean Todt schätzt, dass die Topteams tatsächlich doppelt so viel ausgeben, wie es die Obergrenze vorschreibt. Das wären für Mercedes immer noch 155 Millionen Euro weniger als jetzt.
Teamchef Toto Wolff beteuert, dass der Rennstall zusammen mit seinen Sponsoreinnahmen ab 2022 eine schwarze Null schreiben kann. Wenn das Budgetlimit weiter fällt, sogar einen kleinen Gewinn. Die Fünf-Prozent-Einschnitte tun laut Wolff weh, "weil wir keine Inflationsanpassung haben. Wir sprechen deswegen nicht von fünf, sondern in der Realität von acht Millionen. Das sind noch einmal zwei ordentliche Schritte, weil du den ständigen Druck auf deiner Organisation und deinen Prozessen hast."

Formel 1 als Profitcenter
Teams wie Red Bull, McLaren oder Renault können dank guter Sponsorerträge spätestens ab 2023 ein Profitcenter aus ihren Rennställen machen. Die kleinen Teams werden den Kostendeckel gar nicht erreichen und deshalb weiter von der Hand in den Mund legen. Der entscheidende Unterschied ist, dass Budgetdeckelung und Verteilungsschlüssel die Chancengleichheit für alle erhöhen.
Haas rechnet mit einem Etat von 140 Millionen Dollar für die kommende Saison. Und trotzdem sieht Teamchef Guenther Steiner Licht am Ende des Tunnels: "Wer einen guten Job macht, kann kostenneutral arbeiten und Erfolg haben. Wenn man einen sehr guten Job macht, kann man gewinnen und Profit machen. Es ist plötzlich eine Möglichkeit da, die es vorher nie gab."
Aus Sicht von FIA-Technikchef Nikolas Tombazis profitieren alle Parteien: "Den großen Teams sparen wir mit dem Budgetdeckel wahrscheinlich über 100 Millionen Euro. Die kleineren Teams geben wegen der Homologation vieler Teile im nächsten Jahr um die 20 Millionen weniger aus. Sie sparen aber auch indirekt durch die Budgetdeckelung. Weil sie in Zukunft eine bessere Chance haben, gute Ergebnisse zu erzielen. Und damit können sie ihre Einnahmen erhöhen."
Racing Point-Teamchef Otmar Szafnauer glaubt, dass sich die festgefahrene Hackordnung 2022 auflöst: "Wir sind bereits effizient. Die anderen müssen es erst lernen. Wenn du die Ressourcen gehabt hast, in alle Richtungen mit hoher Qualität zu entwickeln, wirst du dich jetzt fragen müssen, wo du den Schnitt machst. Wie viel Quantität gibst du für Qualität auf? Das Geld ist nicht mehr da, beides zu machen. Wir kennen diesen Prozess, weil wir uns schon immer entscheiden mussten."
McLaren-Chef Zak Brown freut sich nicht nur auf mehr Wettbewerbsgleichheit: "Einige Teams werden in der Lage sein, Geld zu verdienen. Für unsere Anteilseigner heißt das: Sie bekommen ein gewinnbringendes Rennteam, das auf dem Papier die gleiche Chance wie alle anderen hat, Rennen und Titel zu gewinnen. In fünf Jahren wird McLaren Racing viel mehr wert sein als heute."