Mercedes und Ferrari haben vor der Saison zum großen Sturm auf Red Bull geblasen. Herausgekommen ist eher ein laues Lüftchen. Zum Saisonauftakt in Bahrain und beim zweiten Rennen in Saudi-Arabien verteilte Red Bull mit zwei Doppelsiegen Ohrfeigen an die Konkurrenz. Erst in Australien näherten sich die Rivalen den Weltmeisterautos etwas an. Trotzdem feierte Red Bull den dritten Sieg im dritten Rennen.
In der WM hat sich das Team aus Milton Keynes entsprechend einen großen Vorsprung herausgefahren. Red Bull hat 123 Punkte angesammelt, Aston Martin als Zweiter deren 65. Mercedes folgt mit 56 Punkten. Für die erfolgsverwöhnten Silberpfeile sprang in der noch jungen Saison erst einmal ein Platz in der ersten Startreihe durch George Russell und ein Podestrang durch Lewis Hamilton heraus.

Mercedes mit Fortschritten
Immerhin verzeichnete Mercedes zuletzt Fortschritte. "Wir sind nicht so aus den Startlöchern gekommen sind, wie wir es erwartet hatten", führt Teamchef Toto Wolff aus. "In Australien sahen wir jedoch einen Hauch von Leistung in unserem Auto, was uns für den nächsten Teil der Saison ermutigt." Der Abstand zu Red Bull schrumpfte, was zum einen dem besseren Verständnis für die Technik zuzuschreiben ist, zum anderen aber wohl auch mit der Streckencharakteristik zu tun hatte.
Der Volllastanteil ist in Melbourne mit 81 Prozent, gemessen an der Rundendistanz, hoch. Es gibt nicht so viele Kurven, in denen sich ein Unterschied machen lässt. Viel hing davon ab, die Reifen auf Temperatur zu bekommen, und sich gegen das Körnen der Gummis zu schützen. In dieser Beziehung machte Mercedes seine Sache gut. Nur der Motorschaden im Auto von Russell trübte die Stimmung.
Mercedes brachte den W14 in den Wohlfühlbereich, Red Bull zumindest in der Qualifikation nicht ganz. "Es ist ermutigend, dass wir unser Auto nach drei Rennen viel besser verstehen", befindet Wolff. Dieses Verständnis hilft den Ingenieuren, den schwarzen Silberpfeil in den kommenden Wochen und Monaten schneller zu machen. "Wir haben eine klare Richtung definiert, in die wir gehen müssen."
Kurskorrektur mit W14
Das neue Auto hat sich in die falsche Richtung bewegt. Eine erhöhte Bodenfreiheit führte zu besserer Fahrbarkeit und Performance in langsamen Kurven. Allerdings zulasten des Anpressdrucks. Das Heck klebt nicht auf der Straße wie das des Red Bull. Das Verstappen-Team ist von einem Extrem ins andere gegangen. Das Vorjahresauto stand an der Hinterachse vergleichsweise hoch, der neue RB19 ist dagegen ein Tiefflieger.
Mit neuen Entwicklungen will Mercedes gegensteuern und die Bodenfreiheit wieder verringern, ohne dass wie im letzten Jahr lästiges Bouncing auftritt. Verhindern sollen es die Lektionen aus 2022 und die neue Unterbodenregel. Wolff verspricht: "Wir werden in den nächsten Rennen kontinuierlich neue Teile haben." Der große Rundumschlag sollte zum Europa-Auftakt in Imola (21.5.) kommen. Dann wird der schwarze Silberpfeil anders aussehen. Die kleinen Seitenkästen sollten Geschichte sein.
Wolff fordert und lobt seine Organisation zugleich. "Wir brauchen eine steilere Entwicklungskurve als Red Bull. Sie setzen jetzt die Messlatte. Wir wollen grundsätzlich um Rennsiege kämpfen. Wir haben Vertrauen in den Prozess und in unsere Mitarbeiter." Er warnt wie schon zuletzt in Australien, nicht zwischen Überschwang und Depression zu schwanken. "Es wird Rückschläge geben. Aber wir werden auch Upgrades haben, und gleichzeitig viel Arbeit reinstecken. Beides wird uns helfen, näher an die Spitze zu kommen."

Langfristige Pläne
Bei allem Optimismus, es in Zukunft besser zu machen: An den Kampf um den WM-Titel dürfte bei Mercedes keiner mehr glauben. Denn Red Bull wird auch nicht stehenbleiben. Wolff ist bewusst: "Es gibt keine Wunderwaffe in der Formel 1." Die Weiterentwicklung soll aber Siege in der zweiten Jahreshälfte ermöglichen – und den Druck auf die Spitzenreiter erhöhen, sich nicht zu früh auf das 2024er Auto zu stürzen.
Ohnehin schaut Mercedes auf die langfristige Perspektive, wie Wolff ausführt: "Ich glaube zu 100 Prozent an unsere Organisation, denn wir haben nicht nur ein einziges Rennwochenende im Blick, nicht einmal eine einzelne Saison. Wir versuchen, unsere Fähigkeiten so zu entwickeln, dass wir über mehrere Jahre hinweg erfolgreich sind, wobei wir uns der Tatsache bewusst sind, dass wir nie jede einzelne Saison gewinnen werden, denn das hat noch kein Sportteam geschafft."