Mercedes überrascht in Melbourne-Qualifikation

Mercedes überrascht in Australien-Quali
Der kurze Traum von der Pole

GP Australien 2023

Wer hätte das gedacht? Nach dem ersten Grand Prix des Jahres wurde bei Mercedes alles auf den Prüfstand gestellt. Noch vor dem zweiten Rennen fiel die Entscheidung, sich von seinem mutigen Fahrzeugkonzept zu verabschieden. Und wieder eine Station weiter muss man sich beim WM-Dritten die Frage stellen, ob es richtig war, alles in Frage zu stellen.

George Russell und Lewis Hamilton starten beim GP Australien vom zweiten und dritten Startplatz. Auf Max Verstappens Pole Position fehlen nur 0,236 Sekunden. In Bahrain verlor man fast drei Mal so viel Zeit. Russell gab zu: "Für einen kurzen Moment habe ich sogar von der Pole Position geträumt."

Keiner der beiden Mercedes-Piloten hatte mit dem besten Qualifikations-Ergebnis der Saison gerechnet. "Wenn man uns vor dem Wochenende gefragt hätte, wären wir mit den Plätzen 4 und 5 zufrieden gewesen. Aber dann haben wir das Auto immer besser gemacht, und zum Schluss ist es so zum Leben erwacht, dass sich meine Erwartungshaltung geändert hat", erzählte Russell. Hamilton stand für einen Augenblick sogar auf Platz 1. "Es war fast surreal, meinen Namen mal wieder da oben zu sehen."

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Australien 2023 - Melbourne
Wilhelm

Nicht von Emotionen leiten lassen

Ist der viel gescholtene Mercedes W14 am Ende gar nicht so schlecht, wie er nach den Erfahrungen der ersten Rennen gemacht wurde? Die Wahrheit liegt in der Mitte. Er ist nicht so schlecht, wie er in Bahrain abgeschnitten hat, aber auch nicht so gut, wie ihn die Qualifikation zum GP Australien aussehen ließ. Hamilton blieb auf dem Boden: "Wir müssen davon ausgehen, dass uns Max im Rennen wieder eine Viertelsekunde bis halbe Sekunde pro Runde abnimmt und am Horizont verschwindet."

Auch Russell gibt sich für das Rennen keinen Illusionen hin. "Unsere einzige Chance gegen Max ist der Start. Überholen ist auf dieser Strecke extrem schwierig, und der Red Bull hat einen überragenden Topspeed." Hamilton hofft: "Vielleicht können wir uns im Windschatten ein bisschen halten."

Teamchef Toto Wolff warnt, sich emotional zu sehr von Momentaufnahmen leiten zu lassen. "Es wäre falsch, von einer Depression in eine Euphorie zu fallen. Wir müssen rational bleiben. Heute haben ein paar Dinge in unsere Karten gespielt. Wir haben die Reifen optimal zum Arbeiten gebracht, das Maximum aus unserem Auto herausgeholt, und die Fahrer haben einen exzellenten Job gemacht. Anderen ist das vielleicht nicht so gut gelungen."

George Russell - Mercedes - GP Australien 2023 - Melbourne
Motorsport Images

Von tiefer auf höher und tiefer

Laut Wolff konnte man trotz des erfreulichen Resultats erkennen, dass Max Verstappen im Red Bull und Fernando Alonso im Aston Martin ihre Runden mit mehr Leichtigkeit erzielen. Bei Russell und Hamilton dagegen war es ein Ritt auf der Rasierklinge. "Deshalb müssen wir weiter langfristig denken. Wir brauchen mehr Abtrieb in dem Bereich, in dem sich das Auto wohlfühlt."

Und das geht nur mit radikalen Schritten, wie sie ab Imola folgen sollen. Die Ingenieure stecken dabei in einem Dilemma. Der 2022er Mercedes erzielte seine besten Ergebnisse auf Strecken, auf denen er ohne Bouncing tief fahren konnte. Die Aerodynamik des aktuellen Autos wurde folgerichtig für mehr Bodenfreiheit konzipiert.

Seit man festgestellt hat, dass Red Bull an der Hinterachse plötzlich tiefer als alle anderen fährt und damit das Gegenteil vom Vorjahr macht, heißt es auch in Brackley Kommando zurück. "Das ist nur nicht so einfach, weil die Strömungsstrukturen des W14 für ein Auto konzipiert wurden, das im Heck höher steht. Wir müssen für eine Kehrtwende erst einmal wieder die Aerodynamik anpassen", erklärt Technikchef Mike Elliott. Laut Wolff sind die Ingenieure jetzt aber in der Lage zu verstehen, was das Auto braucht und wo es noch hakt. "Da haben wir in der Entwicklungsarbeit zuletzt gute Schritte gemacht."

Der Trick mit den Vorbereitungsrunden

Über die überraschend gute Form des Mercedes im Albert Park gibt es selbst im Team unterschiedliche Theorien. Hamilton glaubt, dass die Streckencharakteristik und der neue Asphalt den Mercedes entgegenkamen. Russell zweifelt das an: "Wir waren schon in Jeddah besser bei der Musik als in Bahrain. Hier in Melbourne hängt alles davon, wie gut du deine Reifen zum Arbeiten bringst." Laut Russell kann die richtige Vorbereitung der Reifen unabhängig vom Auto vier Zehntel ausmachen.

Chefingenieur Andrew Shovlin bestätigt: "Wir haben praktisch nichts an unserem Auto seit dem letzten Rennen verändert, es höchstens ein bisschen besser verstanden. Vielleicht hatten unsere Gegner um uns herum nicht so ein gutes Händchen. Die Zeiten liegen unheimlich eng zusammen. Wer die Reifen perfekt nutzt, steht da schnell mal weiter vorne." Tatsächlich trennen Russell auf Platz 2 von Leclerc auf Platz 7 nur vier Zehntel.

Mercedes vertraute bei der Vorbereitung der Reifen auf zwei Vorbereitungsrunden. Einer langsamen und einer sehr langsamen. Aston Martin steigerte sich in den Präparationsrunden dagegen kontinuierlich. Carlos Sainz reichte eine Runde zur Vorbereitung. Verstappen brannte aus dem Stand eine schnelle Runde auf die Bahn. Doch der Weltmeister fährt außer Konkurrenz.

Im Vergleich zu den direkten Gegnern erwies sich das Mercedes-System als das beste. Bei Hamilton geriet es nur aus den Fugen, weil sein Tempo in der zweiten Aufwärmrunde vom Verkehr diktiert wurde. Er war zu schnell. "Deshalb habe ich im ersten Sektor Zeit verloren, die ich hinten raus nicht mehr aufholen konnte."