Diese Saison ist voller Rätsel. In den letzten fünf Rennen gewannen vier Marken. Und meistens mit großem Vorsprung. McLaren in Singapur, Ferrari in Austin und Mexiko, Red Bull in Brasilien. Und plötzlich tauchte in Las Vegas Mercedes aus der Versenkung auf. Man hatte die Silberpfeile schon fast abgeschrieben. Seit Mitte September stand kein Mercedes-Fahrer mehr auf dem Podium.
Und dann gewinnt der WM-Vierte beim Zocker-Grand Prix in Las Vegas gleich im Doppelpack. Nie hat man in dieser Saison eine solche Überlegenheit gesehen. George Russell und Lewis Hamilton dominierten jede Trainingssitzung, die Qualifikation und auch noch das Rennen.
Russell legte einen fast lupenreinen Start/Ziel-Sieg auf das glatte Parkett. Er musste die Führung nur für eine Runde an seinen Teamkollegen abgeben. Hamilton kam aus der Tiefe des Raums. Vom zehnten Trainingsplatz war die beste Prognose der Strategen ein vierter Platz. Doch dann kämpfte sich der Rekordsieger mit fünf Überholmanövern und einem Undercut gegen die Ferrari auf die zweithöchste Stufe des Podestes vor.

George Russell gewann zum zweiten Mal in der Saison 2024.
Las Vegas wie Spa und Silverstone
Man sah Mercedes die Erleichterung an. Seit der Sommerpause musste Teamchef Toto Wolff immer wieder erklären, warum die Autos nicht mehr auf Speed kamen und nur noch vierte Kraft im Feld waren. Irgendwann gingen dem Österreicher die Antworten aus. Da war stets die Rede davon, dass dieser Mercedes W15 ein launisches Auto mit einem klitzekleinen Arbeitsfenster ist, das sehr schwer zu treffen sei.
Nach dem 22. WM-Lauf war auch eine Erklärung fällig. Was hat die Autos plötzlich so beflügelt? Warum ist diesmal die Leistungskurve nach dem ersten Training nicht wie sonst üblich nicht abgefallen? Und warum hatten Russell und Hamilton weniger Probleme mit dem Körnen der Reifen als die Konkurrenz?
Toto Wolff bemühte wieder das Arbeitsfenster, das man diesmal voll getroffen hat und aus dem man auch nicht wieder wie so oft rausgefallen ist. "Ich sehe da Parallelen zu unseren Siegen in Silverstone und Spa. Jedes Mal war es kühl. Und in allen Fällen stimmte die Traktion. So konnten wir die Temperaturen der Hinterreifen unter Kontrolle halten."

Mercedes nutzte die Reifen in Las Vegas am besten.
Überhitzen der Reifen wäre ein Kunststück
Der Grand Prix in Las Vegas hält eine einzigartige Mischung parat, die Mercedes in die Karten spielte. Die Asphalttemperaturen stiegen nie über 17 Grad. Der Streckenbelag ist glatt und bietet konstant wenig Grip. Pirelli brachte seine drei weichsten Mischungen mit in die Spielerstadt. Und der Mercedes ist eines der Autos, das die Hinterreifen mehr belastet als die vorderen Sohlen. Das gefürchtete Überhitzen der Reifen wäre ein Kunststück bei diesen Parametern. Und genau deshalb bietet der Las Vegas Strip Circuit die idealen Bedingungen für den vierfachen Saisonsieger.
Erst in der zweiten Rennhälfte verbesserte sich der Grip durch mehr Reifengummi auf der Bahn. Aber nur um so viel, dass es Mercedes nicht geschadet hat. Prompt konnten auch McLaren und Ferrari ähnliche Rundenzeiten fahren wie die Spitze. Wolff atmete auf: "Jetzt kennen wir die Konfiguration, bei der alles passt. Wir müssen nur noch herausfinden, wie wir dort sicher hinkommen und nicht mehr aus dem Fenster rausfliegen."

George Russell hatte vom Start weg alles im Griff.
Russell mit jeder Taktik zum Sieg
Der zweite Saisonsieg von George Russell war nie in Gefahr. Nach zehn Runden hatte er Max Verstappen schon acht Sekunden abgenommen. Zu dem Zeitpunkt waren die Ferrari und McLaren bereits an der Box. Beide verloren durch starkes Körnen 1,5 Sekunden pro Runde und mussten ihre Medium-Gummis gegen harte Sohlen eintauschen.
Russell fuhr auf alten Medium-Reifen immer noch so schnell wie seine Verfolger auf frischen harten Gummis. "Wir hätten mit ihm auch ein Einstopp-Rennen probieren können, doch wir mussten es nicht. Als unsere Gegner an den Boxen waren, haben wir George zur Sicherheit auch reingeholt", erzählten die Strategen.
Hamilton fuhr ein ganz anderes Rennen von seinem zehnten Startplatz. Er musste in den Zweikampf, bekam verwirbelte Luft ab und war gezwungen auf die Boxenstopps von Verstappen, Leclerc, Sainz und Norris reagieren. Das brachte ihn schon mal auf den fünften Platz.
Gegen die Ferrari half ein Undercut zum zweiten Reifenwechsel. Max Verstappen überholte der siebenfache Champion auf der Strecke. Der angehende vierfache Weltmeister wehrte sich nicht. Er fuhr um den Titel gegen Lando Norris. Nicht gegen Hamilton. Es wäre auch zwecklos gewesen, sich gegen den Mercedes zu wehren, weil der um Meilen schneller war.

Lewis Hamilton schmiss seine Siegchance im Qualifying weg und musste sich mit Platz zwei begnügen.
Russell kontrollierte Hamilton
Dann inszenierte Hamilton eine Aufholjagd, die dem Publikum noch einem die große Spannung vorgaukelte. Russells Vorsprung schmolz innerhalb von 13 Runden von 11,2 auf 4,9 Sekunden zusammen. Doch der spätere Sieger hatte alles im Griff. Als Hamiltons dritter Reifensatz ausgelutscht war, zog Russell das Tempo wieder an. Am Ende trennten 7,3 Sekunden die beiden Mercedes-Piloten.
Während Russell ein fast perfektes Wochenende lobte, trauerte Hamilton seinen Fehlern im Q3 nach, als er beide Versuche wegen eines Querstehers abbrechen musste. Bittere Erkenntnis: "Mit der Startposition, die ich schaffen hätte müssen, hätte ich auch gewinnen können."
Der Doppelsieg änderte alle Reisepläne. Keiner aus dem Team flüchtete aus Las Vegas. Russell sagte seinen Heimflug ab: "Heute Abend wird mit dem Team gefeiert. Sie haben es verdient. Aber am Montag müssen wir uns alle zusammensetzen und genau analysieren, was genau uns so schnell in Las Vegas gemacht hat. Vielleicht können uns diese Erkenntnisse auch in Katar und Abu Dhabi weiterhelfen."
Die Ingenieure sind da schon optimistischer. Sie rechnen sich auch in Katar trotz der komplett unterschiedlichen Streckencharakteristik gute Chancen aus. "Es ist wieder ein Nachtrennen mit konstanten Temperaturen. Es gibt viele schnelle Kurven, die unser Auto mag und wenig Traktions-Passagen, die unser Auto nicht mag. Der Asphalt hat wenig Grip. Las Vegas hat gezeigt, dass wir damit umgehen können."