16 Rennen sind vorbei. Red Bull dominiert die Saison mit 12 Siegen. Ferrari durfte sich vier Mal über einen großen Pokal freuen. Und Mercedes? Der Konstrukteurs-Weltmeister der letzten acht Jahre hat zwar eine Podiums-Garantie. 13 Podestplätze fuhren George Russell (7) und Lewis Hamilton (6) bereits ein. Doch für Siege waren die Silberpfeile bis auf zwei Ausnahmen keine Kandidaten. Nur in Silverstone und Zandvoort konnte man in Ansätzen träumen.
Kritische Phase für 2023er Mercedes
In Monza ging es wieder einen Schritt rückwärts. Nicht so schlecht wie in Belgien, aber auch nicht so gut wie in Zandvoort. Und ein bisschen schlechter, als man sich vorab ausgemalt hatte. Mercedes wusste, dass die Highspeed-Bahn im Königlichen Park keine nach dem Geschmack des W13 ist. Das bestätigte sich in den Trainings, auch wenn man im ersten noch bei der Musik war. Die Ingenieure relativieren. "Da hatte Verstappen Verkehr auf seiner schnellsten Runde und Leclerc einen schlechten ersten Sektor."
Das große Ganze stimmte, was der Computer vorab ausgespuckt hatte. "Das ist ein positiver Aspekt", führt Teamchef Toto Wolff aus. "Was unsere Simulationen uns vorausgesagt haben, ist auch eingetreten." Das war nicht immer so in diesem Jahr, in dem die eigenen Programme Mercedes oft narrten. Im Windkanal war der W13 ein Weltmeisterauto. Auf der Strecke keines.
"Es ist nicht so, dass wir den Heiligen Gral gefunden haben. Aber bis zu einem gewissen Grad verstehen wir, was wir mit dem nächstjährigen Auto anders machen müssen. Die nächsten ein, zwei Monate sind diesbezüglich eine kritische Phase", schätzt Wolff ein. Die Mercedes-Ingenieure müssen die Fehler ausbauen, die den W13 zu einem kritischen Auto machen, das Aerodynamik und Reifen nur in einem winzigen Spalt zum Funktionieren bringt. Das ist nicht eine Komponente, sondern diverse Puzzle-Steine, die miteinander agieren.

Mercedes nur in einer Disziplin top
In Monza fiel den Silbernen das alte Problem auf die Füße. Bouncing, also das aerodynamisch erzeugte Schwingen auf den Geraden, hat man dem Auto zwar inzwischen quasi abtrainiert. Die Ingenieure wissen, wie sie es unterbinden. Doch gegen Bodenwellen bleibt nur das Rezept, die Bodenfreiheit zu erhöhen. Das bringt den W13 aus der Balance. Abtrieb geht verloren, der Luftwiderstand rauf. Doppelt bitter auf einer Rennstrecke wie Monza. Grip fehlte besonders am Kurveneingang. Ohne stabiles Heck nahmen die Fahrer zu wenig Schwung mit in die Kurven.
Mercedes musste höher gehen, um den Unterboden zu schützen. In der ersten und der Roggia-Schikane, in Lesmo 2 auf den Randsteinen und der schnellen Ascari-Passage. Da neigt sich das Auto naturgemäß nach außen, was die Unterbodenkanten einer Gefahr aussetzt. Die Mercedes gehörten in der Qualifikation trotz kleinem Heckflügel zu den langsamsten Autos auf den Geraden. In jedem Sektor ging viel Rundenzeit verloren. Drei Zehntelsekunden im ersten, sechs im zweiten Abschnitt und eine halbe Sekunde im dritten.
Nur in einer Disziplin ist der Mercedes das beste Auto im Feld. Kein Auto geht so pfleglich mit den Reifen um. Doch in Monza war der Verschleiß generell kein großes Thema. Russell wurde mit einer fehlerfreien Fahrt Dritter. Der Rückstand war auch im Rennen groß. Bis Runde 46, also bis zum Safety-Car, verlor der Brite 31,246 Sekunden auf den hinter ihm gestarteten Max Verstappen. Und fast 15 Sekunden zu Charles Leclerc im Ferrari. Die harten Reifen hatte Mercedes diesmal falsch eingeschätzt. Sie verlangsamten Russells Tempo im Mittelstint.

Singapur-Layout gut, Bodenwellen schlecht
In Summe waren die Positionen drei und fünf wieder Schadensbegrenzung. In der WM bleibt Ferrari in Sichtweite. Mercedes ist trotz langsameren Autos nur 35 Punkte zurück. Doch zweite Plätze interessieren die erfolgsverwöhnte Mannschaft weniger. Ziel ist es, auf die Siegerstraße zurückzukehren. Am besten noch in dieser Saison. "Das muss unser Anspruch für dieses Jahr bleiben, obwohl die Segel auf 2023 gestellt sind", sagt Teamchef Wolff. "Nach Spa schien ein Sieg unmöglich, in Zandvoort war er greifbar." In Monza war er wieder weiter weg, in Singapur könnte er näher rücken.
Das ist zumindest die Hoffnung bei Mercedes. "Das Streckenlayout sollte für unser Auto passen", glaubt Wolff. Weil Singapur eine Strecke ist, auf der mit maximalem Abtrieb gefahren wird. Und weil es fast nur einen Kurventyp gibt. Nämlich 90-Grad-Ecken. Das hilft Autos, wie dem Mercedes, die nur ein winziges Arbeitsfenster haben. Weil man weniger Kompromisse beim Fahrzeugsetup eingehen muss, als wenn zwischen langsamster und schnellster Kurve eine große Differenz herrscht wie beispielsweise in Spa. Dort liegt die Varianz zwischen 70 und 300 km/h.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt für Singapur. Auf Stadtkursen war der W13 in dieser Saison nicht besonders schnell. "Die Bodenwellen sprechen gegen uns", sagt der Teamchef. "Wir glauben dennoch, dass Singapur eine unserer besseren Strecken sein wird. Wir wollen aber gleichzeitig vorsichtig sein mit Prognosen."
Baustellen für Mercedes
Für die letzten Saisonrennen wird Mercedes den Silberpfeil weiter mit neuen Teilen bestücken. Wenn auch in kleinem Maßstab. "Die größeren Fortschritte kommen vom Verständnis", heißt es weiterhin aus dem Team. Im weiteren Restprogramm scheint es keine Strecke zu geben, die den Mercedes völlig aus dem Tritt bringen sollte. "Vielleicht liegt uns Austin noch ganz gut", schaut Russell voraus.
Jedes Rennen zählt, um für 2023 zu lernen. Dann will Mercedes wieder regelmäßig um die Spitzenpositionen fahren. Man will Red Bull und Ferrari einholen. Dafür muss man aerodynamisch zulegen. Effizienz, also möglichst viel Abtrieb bei wenig Luftwiderstand zu erzeugen, bleibt eine Baustelle. Aber auch auf der mechanischen Seite gibt es Defizite zu beheben. Mercedes, lange der Maßstab beim Fahrwerk, warf das Verbot hydraulischer Aufhängungen stärker zurück als die Konkurrenz. Konventionelle Systeme kamen der Philosophie von Red Bull und Ferrari besser entgegen.