Mercedes: Monaco-Bodenwellen bremsen Silberpfeil

Mercedes im Niemandsland
„Keine Lust mehr auf Schüttelei“

GP Monaco 2022

Die Mercedes-Ingenieure hatten schon vor dem Monaco-Wochenende die Befürchtung geäußert, dass im Fürstentum eine große Herausforderung wartet. Langsame Kurven waren bisher nicht das bevorzugte Revier des Silberpfeils. Doch am Ende wurde es noch schlimmer als befürchtet. Die Bodenwellen auf dem traditionsreichen Stadtkurs erwischten das Werksteam komplett auf dem falschen Fuß. Die Piloten hoppelten hilflos über den Asphalt.

Weil der Mercedes hart und tief abgestimmt werden musste, um nicht aus dem Aerodynamik-Fenster zu fahren, drang jede kleine Asphaltunebenheit bis ins Cockpit durch. "So schlimm wie mit den Bodenwellen hier war es vorher noch nie", schimpfte Lewis Hamilton. "Mein Kiefer und meine Zähne haben ständig geklappert. Ich hoffe, dass es in den nächsten Rennen besser wird. Ich habe keine Lust mehr auf die Schüttelei."

Das unruhige Fahrverhalten wirkte sich auch auf die Pace aus. George Russell fehlten im Qualifying siebeneinhalb Zehntel auf die Bestzeit von Charles Leclerc. Der Brite gewann aber mit Startplatz sechs immerhin zum vierten Mal das interne Duell gegen Hamilton. Und auch im Rennen landete der Neuling im Werksrennstall drei Positionen vor seinem Teamkollegen.

Fernando Alonso - GP Monaco 2022
xpb

Wolff klagt über Monaco-Layout

Obwohl Russell schon 34 Punkte Vorsprung auf Hamilton hat, glaubt Teamchef Toto Wolff nicht an einen Pace-Vorteil seines Youngsters. "Lewis hatte zuletzt viel Pech: Im Qualifying die rote Flagge, im Rennen die Kollision mit Esteban (Ocon) und dann ist er hinter Fernando (Alonso) festgesteckt. Ich glaube, dass das Pendel auch wieder in die andere Richtung schwingen wird und diese unglücklichen Situationen für Lewis aufhören. Beide Fahrer sind auf einer ähnlichen Pace unterwegs. Und sie arbeiten gut zusammen, um das Auto nach vorne zu bringen."

Dass Hamilton trotz klarem Speedvorteil im Rennen nicht am Alpine von Alonso vorbeiziehen konnte, ärgerte Wolff auch nach dem Rennen besonders: "Wenn ein Auto einfach fünf Sekunden langsamer fahren und alle aufhalten kann, dann muss man sich Gedanken über das Layout machen. Wir müssen vermeiden, dass es eine Prozession, ein Strategie-Spiel oder ein Qualifying-Rennen wird. Die Pace von Fernando lag auf dem Niveau eines Formel-2-Autos."

Die perfekte Lösung für das Problem hatte aber auch Wolff nicht parat, obwohl er seinen Wohnsitz in Monaco hat und die Straßen im Fürstentum kennt. "Ich kann mir kaum vorstellen, was man anders machen kann. Der Tunnel ist ja schon schnell. Vielleicht könnte man dahinter die Schikane rausnehmen. Aber dann müsste man in der Tabac-Kurve einen härteren Bremspunkt schaffen." Den Klassiker ganz aus dem Kalender zu nehmen sei aber auch keine Alternative: "Die Formel 1 braucht Monaco, und Monaco braucht die Formel 1."

Hamilton sah die Blockade von Alonso selbst gar nicht so schlimm. Der Frust hielt sich Grenzen. "Das ist eben Monaco", zuckte der Vizeweltmeister mit den Schultern. Hamilton kennt auch die andere Seite der Medaille. In der Saison 2019 musste er wegen eines frühen Boxenstopps die Bummel-Taktik selbst anwenden. Er managte exzessiv die Reifen, hielt seine Verfolger clever in Schach und wurde am Ende mit dem Sieg belohnt.

Russell vs. Norris - GP Monaco 2022
Motorsport Images

Mercedes-Fortschritt nicht erkennbar

Größer ist der Frust bei allen Beteiligten über die schlechte Pace des Autos. Vor allem bei Teamchef Wolff: "Wir sind das drittschnellste Team. Wenn vorne nichts passiert, ist der fünfte Platz das bestmögliche Resultat. Natürlich ist es schön, wenn man mal ein Podium abstaubt. Wir wollen aber nichts geschenkt bekommen. Wir wollen aus eigener Kraft vorne mitfahren."

Wolff bezeichnete die Position von Mercedes im Kräfteverhältnis als Niemandsland. Von hinten droht nicht viel Gefahr. Aber nach vorne geht aktuell auch nichts. "Der Abstand zu Ferrari und Red Bull ist gleichgeblieben. Wenn man es optimistisch sieht, fehlen uns fünf Zehntel, wenn man es pessimistisch sieht, liegen wir acht Zehntel hinten. Das ist nicht akzeptabel."

Russell hat die Schwachstellen des Autos bereits identifiziert: "Wir brauchen vor allem mehr Abtrieb. Die langsamen Kurven sind unser wunder Punkt. In den schnellen Ecken und auf den Geraden lagen wir in Barcelona ganz vorne. Dazu müssen wir auch im Qualifying noch besser werden. Wir können uns nicht leisten, wenn ein McLaren oder ein Alpine vor uns steht."

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - GP Monaco - 27. Mai 2022
Motorsport Images

Noch keine Zeit für Konzept-Wechsel

Einige Experten bezweifeln bereits, dass Mercedes den radikalen Silberpfeil mit seinen schmalen Seitenkästen zum Laufen bekommt. Doch laut Wolff ist es noch nicht an der Zeit, über einen Konzeptwechsel nachzudenken: "Wenn man das Konzept ändern will, dann muss man erst einmal verstehen, wie ein schnelleres Konzept aussehen würde. Wenn wir das wüssten, hätten wir das schon längst gemacht."

Noch glauben die Ingenieure, dass man das aktuelle Paket mit Upgrades und mehr Verständnis verbessern kann. "Wenn sich die Lücke nach vorne trotzdem nicht verkleinert und wir das Gefühl haben, dass wir für nächstes Jahr etwas ändern müssen, dann werden wir diese schwere Entscheidung auch irgendwann treffen. Aber an diesem Punkt sind wir noch nicht angelangt", so Wolff.