Mercedes Dritter: Wie viel fehlt dem W13 wirklich?

Wie viel fehlt Mercedes wirklich?
Aufholjagd ohne Zieldatum

GP Bahrain 2022

Wann hat man das zuletzt gehört? Mercedes ging in das erste Rennen des Jahres mit dem Ziel der Schadensbegrenzung. In Bezug auf den Punktestand hat das voll funktioniert. Lewis Hamilton und George Russell fuhren 27 Punkte auf das Konto. Red Bull hat null. Ferrari dafür aber schon 44 Punkte. Und der neue WM-Spitzenreiter hat keine Eintagsfliege produziert. Der F1-75 ist ernsthaft schnell. Auf allen Reifentypen, unter allen Streckenbedingungen, auf eine Runde und die Distanz. Auf der Gerade und in den Kurven.

Mercedes verliert auf seine Gegner ungewöhnlich viel Zeit. Auf eine Runde fehlten auf Ferrari 0,680 Sekunden und auf Red Bull 0,557 Sekunden. Wenn bei Hamilton alles perfekt gelaufen wäre, hätte sich nach Rechnung von Mercedes der Abstand auf dreieinhalb Zehntel verkürzt. Im Gegensatz zur Konkurrenz war der Rekordsieger im Q2 schneller als im Q3. Der Vergleich zu den schnellsten Qualifikationsrunden im Vorjahr unterstreicht das Bild, das man beim Saisonauftakt gewonnen hat. Ferrari verlor 0,880 Sekunden auf das 2021erAuto. Die Verluste von Red Bull und Mercedes sind fast doppelt so hoch: 1,684 und 1,663 Sekunden.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Bahrain 2022 - Rennen
Wilhelm

Mehr Reifenabnutzung im Rennen

Im Rennen vergrößerte sich der Rückstand von Mercedes auf seine Gegner. Die Reifen bauten schneller ab. Nur die Soft-Mischung im ersten Stint kaschierte ein wenig das Defizit. Nach zwei Boxenstopps und 42 Runden bekam Charles Leclerc einen Vorsprung von 37,416 Sekunden auf den schnelleren der beiden Mercedes angezeigt. Macht 0,890 Sekunden pro Runde. Max Verstappen lag zu dem Zeitpunkt 32,467 Sekunden vor seinem alten Rivalen. Der Weltmeister war im Mittel damit 0,773 Sekunden schneller.

Es gab viele Indizien, dass bei Mercedes nicht alles nach Plan lief. Beide Fahrer hatten im Q3 nur noch einen frischen Satz Soft-Reifen übrig, im Rennen folgerichtig nur noch drei gebrauchte Garnituren. Hamilton und Russell brauchten im Q2 einen zweiten Anlauf, um sicher weiterzukommen. Und Mercedes entschloss sich im Rennen früh für eine Dreistopp-Strategie. Ferrari wäre locker mit zwei Reifenwechseln durchgekommen. Red Bull baute den dritten Stopp nur ein, um Ferrari aus der Reserve zu locken. Teamchef Toto Wolff gab schonungslos zu: "Im Moment sind wir nur die dritte Kraft."

Ferrari kennt sein Auto besser

Mercedes sitzt immer noch in der Bouncing-Falle. Nicht mehr so tief wie beim Test, und auch nicht mehr so tief wie am ersten Trainingstag. "Wir nähern uns Schritt für Schritt einer Lösung", erklärte Technikchef Mike Elliott. Trotzdem stand der W13 am Samstag und Sonntag höher in seinen Federn als es sich die Ingenieure wünschten. Das kostete Anpressdruck. Um das zu kompensieren, stellte Mercedes den Heckflügel steil. Damit ging Topspeed auf den Geraden verloren. In der Qualifikation ohne Windschatten 7,8 km/h zu Red Bull und 1,2 km/h zu Ferrari.

Trotz weniger Flügel waren Ferrari und Red Bull im Mittelsektor schneller. Ferrari um 0,263 Sekunden, Red Bull um 0,133 Sekunden. Das zeigt: Ferrari hat Stand Bahrain klar das bessere Gesamtpaket. Auch Red Bull liegt vor Mercedes, ist aber nicht so stabil wie der erste Sieger des Jahres. Das muss keinen wundern. Mercedes brachte am vierten Testtag ein halbneues Auto, Red Bull am letzten. Ferrari übte sechs Tage lang mit einem Paket, das sich nur minimal änderte. Keiner kennt sein Auto besser als die Truppe aus Maranello, und Verständnis ist in der frühen Phase dieser Fahrzeuggeneration die halbe Miete.

Wirft Mercedes mehr Rundenzeit weg?

Das beginnt schon mit dem Schaukelproblem. "Ferrari hat an den ersten drei Testtagen laufend seinen Unterboden modifiziert und so einen guten Kompromiss gefunden, wie sie die gestaute Luft unter dem Auto rauskriegen", fiel einem Mercedes-Ingenieur auf. Mercedes und Red Bull fingen mit dem späten Einsatz ihrer Upgrades noch einmal von vorne an. Chefingenieur Andrew Shovlin gab zu: "Das Hauptproblem ist der mangelnde Grip, der dadurch entsteht, dass wir das Auto hoch abstimmen müssen, um das Aufsetzen auf der Straße zu vermeiden."

Der 48-jährige Engländer ist zuversichtlich: "Wir haben augenblicklich kein Auto, mit dem wir um die Pole Position oder Rennsiege kämpfen können. Die Abstände sind ziemlich groß, aber wir sehen, dass wir relativ schnell viel Rundenzeit finden können." Ein Kollege ergänzt: "Jedes Team kann sein Auto so einstellen, dass es hüpft, wenn sie das wollten. Um es zu verhindern, musst du Rundenzeit aufgeben. Die Frage ist jetzt: Werfen wir mehr Rundenzeit weg als unsere Konkurrenten? Wir haben dieses Problem noch nicht in dem Maß im Griff, wie wir uns das wünschen."

Das zweite Rennen in Jeddah könnte Mercedes schon eine Hand reichen. Die Geschwindigkeiten sind höher, was generell weniger Anpressdruck erfordert. Die Strecke ist ebener. Bodenwellen sind mit ein Auslöser für die Hüpferei. Die andere Streckencharakteristik sollte weitere Antworten in der Bouncing-Frage liefern.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Bahrain 2022 - Rennen
Wilhelm

Mercedes traut seinen Werkzeugen

Mercedes stellt sich natürlich noch eine andere Frage: Was kann dieses Konzept, wenn man mal eine gute Lösung für die Schaukelei auf den Geraden gefunden hat? Hat Ferrari mit dem totalen Gegenentwurf vielleicht den goldenen Griff getan? Oder muss man sich Sorgen machen, weil McLaren und Williams mit der Philosophie der schlanken Seitenkästen in Bahrain ebenfalls Schiffbruch erlitten haben?

Die Ingenieure sind optimistisch, dass es nicht am Konzept liegt. Schon gleich gar nicht das Bouncing. "Ich traue unseren Werkzeugen und Systemen. Sie waren acht Jahre lang gut genug, Siegerautos zu bauen. Vergessen Sie mal das Bouncing. Abtrieb ist immer noch Abtrieb. Die Methoden, die zu diesem Paket geführt haben, sind vertrauenswürdig. Wir haben Abtrieb. Uns fehlt nur das Verständnis, wie wir den auf der Strecke stabil umsetzen."

Toto Wolff fordert eine Verbesserung in allen Bereichen. Auch bei der Power. Der Motor ist bei Mercedes ein bisschen eine heilige Kuh. Deshalb scheut man sich, von einem Problem zu sprechen, auch wenn sechs der acht Autos mit Mercedes-Motor im Topspeed in der zweiten Tabellenhälfte liegen. So viel ist sicher: Mercedes hat seinen Vorsprung beim Motor verloren. Ferrari hat überholt, Honda und Renault haben gleichgezogen.

Das ist eine neue Qualität, die vor allem die Kunden zu spüren bekommen. Sie können sich jetzt nicht mehr auf den Mercedes-Faktor verlassen. Für das neue Kräfteverhältnis kann es zwei Gründe geben. Die Gegner haben entweder beim Motor oder beim E10-Kraftstoff einen Sprung gemacht. Oder an beiden Fronten.