Der Budget-Deckel ist seit 2021 fester Bestandteil der Formel 1. Aber immer noch müssen sich die Teams daran gewöhnen, dass die Ausgaben begrenzt sind. Die Kunst ist es, möglichst nahe an die Obergrenze zu gehen, ohne aber darüber hinauszuschießen. Wer sich zu viel Luft lässt, verschenkt Performance. Wer zu viel Risiko geht, dem drohen im Ernstfall Strafen.
Wenn zu Saisonbeginn unvorhergesehene Ausgaben das Budget belasten, können die Teams meistens noch gut reagieren und den Fahrplan darauf abstimmen. Wird der Rennbetrieb im zweiten Teil des Jahres plötzlich teurer, verkompliziert das die Sache enorm. Dann müssen die Ingenieure an allen Ecken und Ende sparen und die Pläne kurzfristig ändern.
In solch einer Situation befindet sich Mercedes gerade. Nach der Sommerpause hatte das Werksteam gleich drei heftige Crashs zu verbuchen, die ordentlich ins Geld gingen. Den Anfang machte Junior-Pilot Andrea Kimi Antonelli, der seinen Silberpfeil in der Parabolica von Monza in die Bande stopfte. Zuletzt flog George Russell zwei Mal heftig ab – ein Mal in Austin, ein Mal in Mexiko.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff nahm George Russell nach seinem Mexiko-Crash in Schutz.
Mercedes muss sparen
Ärger mit Teamchef Toto Wolff gab es für die Unfallverursacher aber keinen. "Es ist mir lieber, wenn ein Fahrer ans Limit geht, um herauszufinden, wozu ein Auto fähig ist, und dabei crasht, als wenn er nicht richtig pusht", erklärte der Österreicher in Mexiko. Weitere größere Reparaturrechnungen möchte der Mercedes-Boss jetzt aber nicht mehr auf seinen Tisch bekommen. So langsam wird es eng mit dem verfügbaren Budget.
"Die drei Unfälle setzen uns unter Druck", gibt Wolff zu. "Der letzte Crash von George war richtig heftig. Wir mussten ein neues Chassis einsetzen. Das schlägt voll rein ins Budget. Das bedeutet, dass wir die Anzahl an Ersatzteilen für die Autos runterfahren müssen. In bestimmten Bereichen sind wir so knapp, sodass wir jetzt kreative Lösungen brauchen. Die Zahl der Neuentwicklungen, die wir jetzt noch bringen können, ist gleich null."
Von dem großen Upgrade-Paket, das in Austin debütierte, werden nach der Reparatur des Russell-Unterbodens in Brasilien noch genau zwei Ausführungen einsatzbereit sein – wenn es rechtzeitig fertig. Daran arbeitet Mercedes mit Hochdruck, wie Chefingenieur Andrew Shovlin verrät: "Wir haben noch viel Arbeit in der Fabrik zu erledigen, aber wir sind zuversichtlich, dass am Donnerstag das Auto fertig ist."
Ersatz für den Fall weiterer Beschädigungen kann sich Mercedes nicht mehr leisten. Noch ist aber nicht sicher, wie und ob das Upgrade-Kit bei den nächsten Rennen überhaupt zum Einsatz kommt. In Mexiko war nicht zu erkennen, dass es die Performance spürbar steigert.

In Mexiko waren George Russell (links) und Lewis Hamilton (rechts) mit unterschiedlichen Paketen am Mercedes W15 unterwegs.
Upgrade wird nicht aufgegeben
Teamchef Wolff will aber noch nicht aufgeben: "Das Upgrade-Paket verursacht in bestimmten Situationen noch ein Verhalten, das wir nicht verstehen. Mit diesen Autos fahren die Piloten wie auf der Rasierklinge. Das werden interessante Experimente in Brasilien, um zu sehen, ob das Verhalten in Highspeed-Kurven wieder instabil wird und was in langsamen Kurven passiert. Aus den bisherigen Auftritten können wir noch nicht abschließend sagen, welches Paket besser ist."
In Mexiko war nur Lewis Hamilton mit der letzten Ausbaustufe unterwegs. George Russell fuhr die alten Teile. Das Facelift hätte den direkten Vergleich im Rennen wohl verloren, wenn bei Russell nicht der Flap am Frontflügel gebrochen wäre. "Das ist auf einer Bodenwelle passiert, als er hinter Piastri aus der Box kam. Vielleicht haben auch die Luftverwirbelungen eine Rolle gespielt. Da hat er massiv an Abtrieb verloren, in den schnellen Kurven ungefähr 20 Punkte", rechnet Wolff vor.
Shovlin bestätigt: "Er wollte überholen und musste Richtung Mitte der Strecke. Da war eine große Bodenwelle, die er getroffen hat. Weil er DRS offen hatte, war er schneller als normalerweise. Das wirkt sich dann auf den Frontflügel aus, der etwas näher an die Strecke gepresst wird."
Mit älteren Reifen am Ende des Rennens wurde der Nachteil dann immer deutlich und Hamilton konnte schließlich vorbeiziehen. Mittlerweile hat man auch den Plan für Brasilien gemacht. Vom alten Paket gibt es nicht mehr genügend Ersatzteile. Deshalb werden beide Piloten mit dem Upgrade ins Rennen geschickt. Viel kaputtgehen sollte nicht.

Mercedes will die verbleibenden vier Rennen der Saison 2024 für Experimente nutzen.
Keine Steigerung zum Rennen
Das Verhalten des Upgrades ist aber nicht das einzige Rätsel, das Mercedes gerade beschäftigt. In dieser Saison konnte man regelmäßig das Phänomen beobachten, dass die Silberpfeile am Freitag stark aus den Startlöchern kamen, die gute Pace dann aber nicht über das ganze Wochenende halten konnten. Bis zum Rennen gelang es der Konkurrenz immer wieder, die Performance mehr zu steigern und vorbeizuziehen.
Eine Erklärung dafür gibt es laut Wolff noch nicht: "Ich glaube nicht, dass wir am Freitag leichter unterwegs sind oder mehr Attacke machen. Wir sehen dieses Muster schon die ganze Saison, dass wir kaum Performance rausholen, wenn die Strecke an Grip zulegt. Dann treten plötzlich negative Fahreigenschaften zu Tage, wie das Heben eines Rads in Kurven, das Bouncing oder eine Instabilität in Highspeed-Passagen. Das müssen wir in den Griff bekommen."
Weil es in der Teamwertung weder Chancen nach vorne gibt, noch Gefahr von hinten droht, werden die Mercedes-Ingenieure den Saisonendspurt auch für Experimente nutzen. "Für das nächstjährige Auto haben wir da schon Ideen", verrät Wolff. "Aber in der aktuellen Situation sehen wir das Glas eher halb leer. Wir müssen zusehen, dass wir in den letzten vier Rennen noch etwas dazulernen."