McLaren reiste nach den Testfahrten als Favorit nach Melbourne. Lando Norris und Oscar Piastri bestätigten die Vorschusslorbeeren mit einer Fahrt in die erste Startreihe. Es wäre auch ein bequemer Doppelsieg geworden, hätten die Wetterkapriolen den McLaren-Fahrern nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Nach 33 Runden führten Norris und Piastri bequeme 18,4 Sekunden vor Max Verstappen. Der Weltmeister konnte sich 17 Runden lang im McLaren-Sandwich halten. Dann waren die Hinterreifen am Red Bull zum Slick mutiert.
An den McLaren war noch ein Restprofil vorhanden. Das beflügelte die Papaya-Renner auf der immer noch feuchten Rennstrecke. Sie entfernten sich vom Rest des Feldes, als würde ein Formel-1-Renner inmitten lauter Formel-2-Autos fahren. Der Zeitvorsprung betrug teilweise 1,5 Sekunden pro Runde.
Damit zeigte sich ein weiteres Mal nach den Testfahrten und den Longruns am Freitag, dass die McLaren beim Reifenmanagement der Konkurrenz zwei Schritte voraus sind. "Das ist in diesem speziellen Punkt die größte Überlegenheit, die ich je bei einem Rennauto gesehen habe. Normalerweise zündest du die Reifen schnell an und bezahlst dafür bei der Abnutzung. Oder umgekehrt. Der McLaren kann beides", staunte Red Bull-Teamchef Christian Horner.

Lando Norris hat Max Verstappen nach 1.029 Tagen an der Spitze der WM-Wertung abgelöst.
Trumpfkarte ist der Umgang mit den Reifen
McLaren zeigte am Samstag, dass man auch auf eine Runde die Nase vorn hat und nicht nur im Dauerlauf glänzt. Der Vorsprung betrug stolze vier Zehntel. Doch die wahre Trumpfkarte ist ihr schonender Umgang mit den Reifen.
Die Gegner zerbrechen sich bereits den Kopf, was McLaren so viel besser macht als der Rest. "Es hat sicher nichts mit einem biegsamen Heckflügel zu tun", nahm Mercedes-Teamchef Toto Wolff Bezug auf Red Bulls Versuche, dem Titelverteidiger einen besonders schlauen Flexi-Flügel anzudichten. Die FIA hatte McLaren nach einer eingehenden Untersuchung von allen Verdächtigungen bereits freigesprochen.
Horner sieht das McLaren-Wunder inzwischen etwas differenzierter: "Es ist ein Mischung aus Aerodynamik und Mechanik. McLaren hatte im letzten Sektor das am besten ausbalancierte Auto. Und das bedeutet immer auch eine geringe Reifenabnutzung." Sein Fazit: "Wir müssen es schaffen, unser Auto in eine bessere Balance zu bringen. Dann geht es automatisch besser mit den Reifen um."
McLaren-Kollege Andrea Stella erklärte, dass man über den Winter vor allem an den Bereichen aerodynamische Effizienz, Fahrwerk und Reifenmanagement gearbeitet habe. Und er gab nach der Machtdemonstration zu: "Wir hätten nicht gedacht, dass wir uns in diesen Disziplinen so stark verbessern würden."

In der Anfangsphase konnten sich die McLaren irgendwann von Red Bull absetzen.
Safety-Car-Phasen halfen Red Bull
Am Ende blieben dann aber nur 0,895 Sekunden Vorsprung übrig. Zwei Safety-Car-Phasen halfen Verstappen die Lücken immer wieder zu schließen. Die erste löst Fernando Alonso mit einem Crash aus. Alle wechselten auf Slicks. McLaren auf die harten Reifen, Red Bull auf die Medium-Gummis. Trotzdem öffnete sich der Abstand in wenigen Runden wieder auf 3,7 Sekunden. Es hatte den Anschein, als könne McLaren immer dann noch etwas Extra-Tempo machen, wenn es nötig war.
Als in Runde 44 der große Regen einsetzte, spielte McLaren als Spitzenreiter die konservative Karte. Norris kam nach den ersten Regentropfen sofort an die Box. Ein Ausrutscher ins Kiesbett hatte ihn vorgewarnt. Verstappen wollte auf der Strecke bleiben. "Weil in den ersten zwei Sektoren noch eine trockene Spur gab und das Wasser nur in den letzten drei Kurven stand. Ich dachte, ich könnte die kurze Regenphase auf den Slicks überleben, aber dann regnete es auf dem Rest der Strecke doch stärker, und wir mussten Intermediates aufziehen", erzählte der Weltmeister.
Das warf den Niederländer wieder hinter seinen alten und neuen WM-Gegner. Im großen Finale auf Intermediates ließ sich Verstappen dann nicht mehr abschütteln. Er hoffte auf einen Fehler von Norris, doch zwei kleine Wackler beim späteren Sieger waren nicht genug, um einen Angriff zu riskieren. "Dazu war es neben der Ideallinie zu nass."

Mit den Abflügen in Runde 44 schlugen sich die McLaren beinahe selbst.
Norris mit beschädigtem Unterboden
McLaren lieferte am Ende des Rennens die Erklärung, warum sich Norris nicht wie vorher Luft verschaffen konnte. "Landos Unterboden war beschädigt, entweder von seinem Ausritt neben die Strecke oder einem Fehler nach einem Re-Start", erzählte Stella. Wie gut der McLaren in der Schlussphase wirklich war, demonstrierte Piastri. Der Australier kämpfte sich in sieben Runden von Platz 13 auf Rang 9 vor.
Max Verstappen musste mit dem zweiten Platz zufrieden sein. Normalerweise wäre der Weltmeister nur auf Rang drei gelandet. Piastri hatte Pech als der Regen kam. Der Lokalheld traf eine Pfütze und drehte sich in Kurve 13 in die Wiese. Es dauerte 75 Sekunden, bis sich Piastri im Rückwärtsgang wieder aus der Falle manövrierte.
Norris hat der Sieg über seinen Erzrivalen gutgetan. "Es war bei schwierigen Bedingungen so einfach einen Fehler zu machen, alles zu ruinieren, speziell unter dem Druck von Max. Wir haben uns durchgesetzt. Das macht den Sieg so wertvoll."

Selbst mit beschädigtem Unterboden war Norris am Ende nicht zu stoppen.
Stallregie nur für ein paar Runden
Auch für das Team war es ein Erfolg über sich selbst wie Norris zufrieden feststellte: "Das waren genau die Bedingungen, bei denen wir letztes Jahr Punkte hergeschenkt haben. Rennen wie Montreal, Silverstone und Interlagos. Das zeigt, dass wir gelernt haben."
Nur ein Mal machte sich McLaren unbeliebt. Als Piastri bei Halbzeit des Rennens zu Norris aufschloss und Anstalten machte den Teamkollegen anzugreifen, kam von der Box der Funkspruch, dass er Platz halten soll.
Die Stallregie wurde erst wieder aufgehoben, als Piastri nach einem Verbremser 2,5 Sekunden verloren hatte. Stella erklärte die unpopuläre Stallregie: "Lando und Oscar liefen auf überrundete Autos auf. In dieser kurzen Phase wollten wir jedes Risiko vermeiden. Wir hatten immer vor, die Ansage so schnell wie möglich aufzuheben."