Nur 0,895 Sekunden trennten Max Verstappen vom Sieg. Und vielleicht hätte er ja tatsächlich gewonnen, wenn er eine Runde früher seinen Boxenstopp abgewickelt hätte. Doch Verstappen und Red Bull spielten die Risiko-Karte. Weil sie es mussten. Ohne eine alternative Strategie hätten sie die McLaren nie besiegt. Und ohne die drei Safety-Cars schon gar nicht.
Max Verstappen zögerte seinen zweiten Boxenstopp um zwei Runden hinaus, weil er nichts zu verlieren hatte. "Ich wäre so oder so Zweiter geworden. Deshalb war es das Risiko wert, etwas anderes probiert zu haben. Es hätte funktionieren können. Und wenn nicht, hat es uns keinen Platz gekostet." Sportchef Helmut Marko resümierte: "Vielleicht wäre es besser gewesen, eine Runde früher reinzukommen, aber manchmal muss man halt pokern."
Der Titelverteidiger fuhr mit 18 Punkten nach Hause und fand, dass es aus seiner Sicht ein ordentlicher Saisonstart war. "Immerhin 18 Punkte mehr als vor einem Jahr in Melbourne." Es hätte auch schlimmer ausgehen können, nachdem sich sein Red Bull am Freitag wieder mal von der schlechteren Seite zeigte und sich nicht richtig ausbalancieren ließ. Man probierte unterschiedliche Frontflügel und Unterböden und entschied sich am Ende für die neuesten Teile.

Max Verstappen musste sich ausnahmsweise mit Platz zwei zufrieden geben.
Fenster noch nicht groß genug
Die Balance treibt die Red-Bull-Ingenieure um. Das Fenster, in dem der RB21 funktioniert, ist größer als das seines Vorgängers, aber immer noch nicht groß genug. Und schon gar nicht auf dem Niveau des McLaren, der über den Winter zum Alleskönner mutiert ist, wie Lando Norris bestätigt: "Wir haben mit unserem Auto eine noch bessere Balance gefunden zwischen schnellen und langsamen Kurven, zwischen viel und wenig Abtrieb."
Das klingt alarmierend in den Ohren von Red Bull. Dort versucht man verzweifelt herauszufinden, was den McLaren MCL39 so gut macht. Der Schlüssel liegt in der Antwort auf eine Frage: Warum geht das Auto so gut mit seinen Reifen um, ohne dafür bei der Aufwärmphase zu bezahlen. Weiß man das, weiß man alles.
Red Bull geht dabei nach dem üblichen Muster in der Formel 1 vor. Man schießt Giftpfeile auf den Gegner, in der Hoffnung, irgendwas zu treffen. Die Beschwerden bei der FIA binden auf der anderen Seite Energie, und je nach Antwort des Weltverbands kann man im Ausschlussverfahren die Erklärungsmöglichkeiten einkreisen. In Melbourne waren die Heckflügel dran. Die Technikkommissare der FIA konnten aber weder bei den statischen Tests noch bei den Kamera-Aufzeichnungen während der Fahrt etwas Verdächtiges erkennen. Der McLaren-Heckflügel ist legal.

Der Weltmeister klagt noch über die Balance seines Sportgeräts.
Kleine Lichtblicke bei Red Bull
Es wäre auch zu einfach, das ganze Geheimnis auf ein Detail zu reduzieren. Red-Bull-Teamchef Christian Horner sieht die entscheidende Qualität des McLaren in einer abenteuerlich ausgewogenen Fahrzeug-Balance, die mit diesen Groundeffect-Autos nur sehr schwer darstellbar ist. "Wenn wir es schaffen, auf dieses Niveau zu kommen, dann würden wir auch unsere Reifen so gut wie sie konservieren. Der erste Schritt ist sicher, mehr Abtrieb zu finden", ist Horner überzeugt.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Wie lange es dauert, kann die Formel-1-WM entscheiden. Noch macht sich Verstappen keine übertriebenen Sorgen. "Unser Auto ist im Vergleich zu den Teams hinter uns gut. Wir konnten eine Weile mit den McLaren mithalten, aber sobald unsere Reifen zu heiß wurden, sind sie uns auf- und davongefahren. Speziell am Ende des ersten Stints. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns, um den Rückstand aufzuholen."
Im Moment hält man sich noch mit kleinen Lichtblicken über Wasser. Zum Beispiel, dass Verstappen in den letzten Intermediate-Runden den Rückstand plötzlich wieder einfrieren konnte. Das lag daran, dass sich seine Hinterreifen praktisch in Slicks verwandelt hatten. Die boten auf der abtrocknenden Bahn besseren Grip als Reifen mit einem Restprofil.

Der geringere Reifenverschleiß spricht für McLaren.
Spannung erst im Finale
Auch die letzten Runden machten Mut. "Max war schneller als Norris", stellte Marko fest. Doch auch das hatte Gründe. Der McLaren mit der Startnummer 4 war nach dem Ausflug von Norris durch das Kiesbett von Kurve 12 am Unterboden beschädigt. Und der neue WM-Spitzenreiter hatte in den ersten zwei Runden nach dem Re-Start zu hart auf seinen Intermediates attackiert.
Ein Fehler von Norris brachte Verstappen dann plötzlich in den DRS-Bereich des McLaren, was zu einem spannenden Finale führte. An Überholen war jedoch nicht zu denken. "Ich wollte Lando in einen Fehler hetzen, aber die, die er gemacht hat, reichten nicht aus, ihn zu attackieren."