Gewinnen kann so schön sein. Umso mehr, wenn es in Serie passiert. So wie bei Red Bull und Max Verstappen in den vergangenen zwei Jahren. Dann sieht man mit einer gewissen Gelassenheit über die kleinen Fehler und Schwächen hinweg. Doch Red Bull gewinnt nicht mehr. Es ist Sand in das Getriebe der Erfolgsmaschinerie geraten.
Red Bull spürt im Konstrukteurs-Pokal mit nur noch 51 Punkten Differenz den heißen Atem von McLaren. Und selbst Verstappen darf sich mit 76 Zählern Vorsprung nicht mehr viele Wochenenden erlauben wie das in Ungarn. McLaren hat das bessere Auto. Und zwei Fahrer, die in der Lage sind, hoch zu punkten.
Plötzlich ist es im Lager der Titelverteidiger vorbei mit der Leichtigkeit. Je mehr der Druck zunimmt, umso mehr liegen bei Red Bull und Verstappen die Nerven blank. Und die Fehler häufen sich. Schon nach dem dritten Platz in der Qualifikation nahm der Holländer seine Mannschaft in die Pflicht: "Es wird Zeit, dass einige im Team aufwachen, statt nach Entschuldigungen zu suchen."
Arbeitsfenster des Autos zu klein
Einer wie Max Verstappen akzeptiert Niederlagen nicht. Dazu wurde er zu viel mit Siegen verwöhnt. Doch die Realität ist eine andere. Auch das fünfte Upgrade des RB20 funktioniert nicht wie gewünscht. "Wir holen nicht das Optimum aus dem Auto heraus. Das Fenster ist zu klein. Das macht es für die Ingenieure schwer, das richtige Setup zu finden und für die Fahrer, dem Auto zu vertrauen. Wir müssen eine bessere Fahrzeugbalance finden, dann sind wir auch nicht mehr so anfällig gegen Faktoren wie Wind, Temperaturen oder verwirbelte Luft", gibt Teamchef Christian Horner zu.

In der ersten Kurve fuhr man zu dritt nebeneinander.
Verstappen spürte schon nach wenigen Runden der Hitzeschlacht, dass die McLaren für ihn zu schnell waren. Da spielte es aus seiner Sicht auch keine Rolle, dass er den 2. Platz an Lando Norris abtreten musste, nachdem er seinen WM-Gegner im Startgetümmel ausgangs der ersten Kurve neben der Strecke überholt hatte. "Mehr als der dritte Platz lag für uns heute nicht drin. Lando wäre sowieso vorbei gekommen", räumte der Weltmeister ein.
Am Ende wurde Verstappen nur Fünfter. Der Frust über die ausweglose Situation wurde immer größer. Und im gleichen Maße verschärfte sich der Dialog zwischen Fahrer und Renningenieur. Am Anfang blieb alles noch im üblichen Rahmen. "Die Bremsbalance stimmt nicht. Ich kriege das Auto nicht in die Kurven rein", jammerte der Mann hinter dem Lenkrad.
Verstappen spottet über Strategie
Hitziger wurde es, als Red Bull nicht auf die frühen Boxenstopps von Lewis Hamilton und der McLaren-Piloten reagierte, seinen Mann stattdessen fünf Runden länger auf der Strecke ließ. Mercedes freute sich über den gelungenen Undercut. Und Verstappen bedankte sich spöttisch bei seinem Kommandostand, dass er nun auch noch Hamilton vor der Nase hatte.
Horner erklärte das Timing damit, dass Red Bull mit seiner Reifenwahl medium-hart-medium weniger flexibel war als Mercedes, die sich zwei Mal den harten Reifen reserviert hatten. Da durfte der letzte Stint nicht zu lange ausfallen. Den 61-fachen GP-Sieger mochte das nicht beruhigen: "Sie haben mich mit dieser Taktik voll in die verwirbelte Luft des Mercedes und später auch noch des Ferrari geschickt. Glaubt ihr, es macht Spaß, bei dieser Hitze mit null Grip hinter anderen Autos herzufahren?" Horner antwortete demütig: "Wir haben unterschätzt, dass wir hinter anderen Autos so viel Abtrieb verlieren."
Verstappen schlägt Warnungen in den Wind
Verstappen verteidigte seine harte Gangart mit dem Team damit, dass er seinen Kommandostand aufwecken wollte. "Ich bin so deutlich geworden, damit sie beim zweiten Stopp nicht den gleichen Fehler machen wie beim ersten." Was prompt passierte. Wieder ließ Red Bull einen Undercut zu. Diesmal profitierte Charles Leclerc vom früheren Boxenstopp. Verstappen kam erst neun Runden später zum Reifenservice und lag damit nur noch auf Platz 5.

Die Boxenstrategie missfliel Max Verstappen.
Inzwischen war das Klima zwischen ihm und Renningenieur Gianpiero Lambiase schon völlig vergiftet. Lambiase antwortete gar nicht mehr auf alle Klagen seines Fahrers. Und der hörte nicht auf die Ratschläge von der Boxenmauer. Lambiase schärfte ihm ein, er solle den zweiten Medium-Satz vorsichtig anfahren.
Was machte Verstappen? Er drehte vier Rekordrunden am Stück, um so schnell wie möglich zu Leclerc aufzuschließen. Darauf Lambiase zu seinem Fahrer: "Du machst deine Reifen kaputt." Antwort aus dem Cockpit: "Ich versuche nur eure Scheiß-Strategie zu retten."
Hamiltons Spurwechsel auf der Bremse
Dann spitzte sich die Wut-Fahrt des Champions zu. An Leclerc kam er noch vorbei, an Hamilton nicht mehr. In der ersten Kurve kollidierten die beiden Erzfeinde. Linkes Vorderrad gegen rechtes Hinterrad. Und schon war Leclerc wieder vorbei. Verstappen ließ seinem Ärger freien Lauf: "Lewis hat auf der Bremse klar die Spur gewechselt. Wenn ich das mache, prügeln alle auf mich ein. Warum darf er das ungestraft tun? Er ist immer weiter nach rechts gezogen und hat dafür gesorgt, dass auch bei mir die Vorderräder auf der Bremse stehengeblieben sind."
Daraufhin erhielt er von seinem Ingenieur eine Abfuhr. "Ich werde mich da nicht einmischen. Das ist kindisch." Die Sportkommissare urteilten zwei Stunden nach der Zielflagge mit einem Rennunfall. Dem schloss sich sogar Christian Horner an. Was die Laune seines Star-Piloten nicht verbessert haben dürfte.
Der schimpfte in die Mikrofone: "Ich sage immer meine Meinung. Gewisse Leute in unserem Team müssen sich hinterfragen. Es passieren zu viele Fehler. Die Strategie verstehe ich bis jetzt nicht. Da müsst ihr beim Team nachfragen."
Auf die Frage, ob er mit seiner Art am Funk nicht überzogen habe, bellte der WM-Spitzenreiter an seine Kritiker zurück: "Die können mich alle mal." Horner versuchte zu beruhigen: "Gianpiero und Max arbeiten seit acht Jahren zusammen. Sie werden sich intern aussprechen."

Zwischenzeitlich musste Max Verstappen auch Charles Leclerc ziehen lassen.
Keiner wagt Kritik an Max
Für die Red Bull-Teamleitung ist es ein schwieriger Spagat, einerseits das Team in Schutz zu nehmen, andererseits Verstappen nicht zu stark zu verärgern. Horner wollte kein zusätzliches Öl ins Feuer gießen: "Max war frustriert. Da muss man in der Hitze des Gefechts seinen Ärger auch verstehen." Auch mit der Kritik seines teuersten Angestellten kann der Teamchef leben: "Jeder im Team weiß, dass wir uns steigern müssen. Wir müssen jetzt die Daten sichten und schauen, wie wir unser Auto optimieren können."
Die Situation ist schon brisant genug. Red Bull schwimmen technisch gerade die Felle davon, und die Konkurrenz holt auf. Vor allem Mercedes, die auf einer Angststrecke besser waren als erwartet. Und das ist genau das Team, zu dem Verstappen gehen könnte, wenn man ihm das Leben bei Red Bull zu sehr vermiest. Eines muss dem erfolgreichsten Fahrer der letzten Jahre aber auch klar sein. So eine Nummer hätte er sich weder bei Mercedes noch bei Ferrari leisten können. Dort spricht im Ernstfall der Teamchef ein Machtwort.