Mario Andretti: "Unterschätzt Cadillac nicht!"

Mario Andretti über das Cadillac F1-Projekt
„Unterschätzt General Motors nicht!“

Die erlösende Nachricht kam am 25. November 2024. Cadillac darf sich für 2026 als elftes Team in der Formel 1 einschreiben. Damit endete eine 33-monatige Irrfahrt durch die Bürokratie und Interessenskonflikte der Königsklasse. Der letzte Schritt soll vollzogen werden, noch bevor die Formel 1 in Australien ihren Saisonstart hinlegt.

Bei der FIA liegt der Antrag von Cadillac auf dem Tisch, in die Nennliste der Formel 1-Weltmeisterschaft 2026 aufgenommen zu werden. Es wäre das elfte Team und der mit Mercedes, Ferrari, Honda, Ford und Audi der sechste Hersteller im Club. Die Genehmigung des Weltverbandes soll nur noch Formsache sein, wie man hört.

Das Verfahren wurde nur deshalb ein zweites Mal aufgerollt, weil das Projekt bei der ersten Betriebsprüfung 2023 noch andere Mitspieler hatte. Damals meldete sich Andretti Global an, und von General Motors gab es nur ein Lippenbekenntnis. Inzwischen ist Initiator Michael Andretti raus aus der Nummer, und die Bewerbung ist jetzt als Werkseinsatz des amerikanischen Autogiganten deklariert.

Andretti Global - F1-Headquarter Silverstone 2024
Andretti

Werkseinsatz statt Privatteam

Das Blatt wendete sich als Mario Andretti seine Kontakte in die Politik spielen ließ und sich beim Kongress über die unfaire Behandlung beschwerte. Immerhin war mit General Motors eines der bekanntesten US-Unternehmen involviert. Prompt leitete das US-Justizministerium Untersuchungen wegen Verletzungen des Kartellrechts ein.

Es war rückblickend nur ein Puzzlestein von vielen, aber der entscheidende. Auf dieser Ebene hatten weder die Formel 1 noch die FIA einen Zugriff. Wie vor Gericht befand man sich in der Hand Gottes. Am Ende bekamen die Rechteinhaber kalte Füße. Schlimmstenfalls hätte sonst eine Strafe von zwei Milliarden Dollar gedroht.

Bevor die Formel 1 ihre Tür für den neuen Bewerber öffnete, mussten noch ein paar gesichtswahrende Kompromisse geschlossen werden. Michael Andretti wurde auf einen Beraterposten abgeschoben. Vater Mario dagegen bekam einen Platz im Vorstand des Teams. Die Geldgeber des Projekts, Dan Towriss und Mark Walter, meldeten den Rennstall unter dem Namen "Cadillac Formula 1 Racing" an.

Der Eintrittspreis wird vermutlich auf 450 Millionen Dollar festgelegt, auch wenn die meisten Teams schon reflexartig protestieren, dass auch diese Summe ihre Verluste nicht kompensieren würde. Nach den aktuellen Regularien müsste ein Neueinsteiger nur 200 Millionen Dollar zahlen.

Mario Andretti & Michael Andretti - GP USA 2023
Motorsport Images

Michael Andretti macht Weg frei

Mario Andretti zeigt sich mit dem Gang der Dinge erleichtert. "Das Ziel war es, ein amerikanisches Team an den Start zu bringen, und das haben wir erreicht. Auch Michael ist happy, obwohl er sich aus dem Projekt zurückgezogen hat. Er hat einfach gesagt: Wenn ich das Hindernis bin, dann mache ich den Weg frei. Sicher hätten wir im Rückblick einige Dinge besser machen können. Aber ich schaue nie zurück, immer nur vorwärts. Am Ende zählt nur, ob du das Ziel erreichst."

Dass der Name Andretti aus dem Projekt verschwindet, macht dem Weltmeister von 1978 nichts aus: "Es geht um die Sache, egal, wie sie heißt. Wichtig ist, dass sie Erfolg hat. Das Projekt wäre ohne uns nicht geboren worden, und es wäre ohne uns nicht bis zu General Motors gelangt. Es wäre ein großer Fehler gewesen, uns abzulehnen. Das wäre in Amerika nicht gut aufgenommen worden. Das ist keine Seifenblase, sondern ein langfristiges Bekenntnis."

Cadillac traut sich einen Start von der grünen Wiese zu. Nur der Motor und das Getriebe von Ferrari sind feste Größen. Die gute Nachricht ist: Das mittlerweile 270 Mitarbeiter starke Rennteam mit einer Filiale in Silverstone arbeitet seit eineinhalb Jahren an Cadillacs erstem Formel-1-Auto. Bis zur endgültigen Einschreibung ohne Windkanalbeschränkung, ohne Budgetdeckel.

Cadillac F1 Concept 2026
GM

Der Stolz von General Motors

Das ändert sich in den nächsten Wochen. Die neue Motivation im Team macht das wieder wett. "Jetzt wissen die Ingenieure, dass sie für etwas arbeiten, das 2026 auch wirklich am Start steht. Vorher gab es keine Garantien, nur den Glauben, dass alles gut ausgehen wird", beschwichtigt Andretti die Schwarzseher.

Mit Pat Symonds, Nick Chester, Jon Tomlinson, Rob White, John McQuilliam und Simon Cayzer sitzen hundert Jahre Erfahrung im Konstruktionsbüro. Sie kommen fast ausnahmslos aus dem Fundus von Renault und Manor. Die Konkurrenz fürchtet jedoch, dass sich das neue Team bald auch mit Personal aus ihren Reihen eindeckt. Cadillac hat bei den Löhnen und Posten noch Luft nach oben.

Andretti verspricht: "Die Formel 1 kann den vollen Einsatz von einem Giganten wie General Motors erwarten. Sie haben einen großen Stolz. Schaut euch an, wie sie im GT-Rennsport und bei den Sportwagen expandiert haben und wie erfolgreich sie dort sind. Die machen keine halben Sachen. Sie sind ehrgeizig und haben große Ziele. Ich bin zuversichtlich, dass sie das stemmen. Alle Hersteller, die in unserem Sport tätig sind, meinen es ernst. Der Rennsport ist ein Schaufenster für ihre Produkte."

Colton Herta - Andretti - IndyCar - Cadillac
IndyCar

Perfektes Timing für den Einstieg

Der zwölffache GP-Sieger spricht von einem perfekten Timing für den Einstieg. "Das neue Reglement zwingt alle bei Null zu beginnen. Das wird uns helfen. Es wäre härter gewesen, wenn wir zu einem Zeitpunkt eingestiegen wären, an dem die Regeln bereits drei bis vier Jahre stabil gewesen sind. Der Start 2026 gibt uns eine bessere Chance, um auf einer vernünftigen Basis anzufangen. Wir profitieren auch davon, dass wir viel vorbereiten konnten, weil wir bis jetzt nicht unter die Windkanal- und Budgetdeckel-Regelung gefallen sind."

Die Begeisterung ist nicht nur im Team zu greifen. Mario Andretti erlebt sie auch auf der Straße, im Supermarkt oder im Restaurant. "Egal, wo ich bin, alle sprechen mich auf das Projekt an und halten den Daumen hoch. Es ist total verrückt. Auf vielen Weihnachtskarten, die ich erhalten habe, steht unten der Satz: ‚Ich bin happy, dass ihr es jetzt in die Formel 1 geschafft habt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es ein steiniger Weg bis dorthin war. Und jetzt freuen sich alle, dass sich der Kampf gelohnt hat."

Bei den Fahrern hält sich Cadillac wenigstens eine Option offen. Ein Cockpit im uramerikanischen Team sollte mit einem Amerikaner besetzt sein, und die Wahl wird wohl auf den langjährigen Andretti-Schützling Colton Herta fallen. Der 24-jährige Kalifornier schloss die letztjährige IndyCar-Serie als Zweiter ab.

Bis Mitte 2025 will sich Cadillac entscheiden, wer den anderen Part bei der Fahrerpaarung übernehmen soll. "Es soll idealerweise einer mit Erfahrung sein. Wir lassen uns Zeit und beobachten den Markt", sagt Andretti, der den Drahtziehern des Projekts bei der Fahrerwahl beratend zur Seite steht.

Andretti Cadillac - Sean Bull Design
Sean Bull Design

Fernziel ist eigener Motor

Für Mario Andretti geht nun ein Traum in Erfüllung. Die 84-jährige Rennlegende hielt sich von Anfang an mit Bedacht im Hintergrund. "Ein bisschen ist das Projekt auch mein Baby. Aber ich suche hier keine Festanstellung oder eine Aufgabe, die mich jeden Tag bindet. Ich wollte nie ein Teambesitzer sein. Ich bin Rennfahrer. Es gab nach meiner Karriere viele Angebote, mich an einem Team zu beteiligen, und ich habe immer nein gesagt. Ich will einfach nur im Fahrerlager eine Heimatbasis haben, wo ich mich aufhalten kann."

Das Fernziel ist, dass Cadillac sein Auto mit einer eigenen Antriebseinheit bestückt. GM-Präsident Mark Reuss fasst mutig einen Termin vor Ende des Jahrzehnts ins Auge: "Wir wollen uns auf dieser globalen Bühne beweisen und unsere Entwicklungstechnologien auf ein ganz neues Niveau bringen."

Bei einem Einstiegsdatum 2028 müssten die Amerikaner der FIA schon vor Ende dieses Jahres Bescheid geben und dann rückwirkend nachweisen, dass sie in diesem Kalenderjahr nicht mehr als 105 Millionen Dollar in die Entwicklung des Antriebs gesteckt und sich an die Prüfstandsrestriktionen gehalten haben. Das Reglement schreibt drei Jahre Entwicklungszeit unter strenger Aufsicht vor. Um flexibel zu sein, hat Cadillac mit Ferrari einen "mehrjährigen" Vertrag unterzeichnet.

Noch nicht geklärt ist der neue Verteilungsmodus des Preisgeldes. Im Augenblick bekommt der Weltmeister 14,5 Prozent des Kuchens. Für Platz zehn sind es sieben Prozent. Der Schlüssel wird bei der Neuberechnung dann gleich für zwölf Teams angepasst. Der letzte freie Platz könnte an Toyota gehen. Die Japaner haben dank ihrer Partnerschaft mit Haas schon mal einen Fuß in der Tür.