Die Misere von Mercedes geht weiter. In Bahrain war der Konstrukteurs-Weltmeister noch dritte Kraft. Eine Woche später gerät selbst dieser Platz in Gefahr. George Russell schaffte es mit dem hauchdünnen Polster von 33 Tausendstel ins Q3, wo er als Sechster Schadensbegrenzung betrieb.
Lewis Hamilton flog schon im Q1 aus der Wertung. Der Rekordsieger hatte keine Ausreden. Kein Fehler, kein Verkehr, keine gelbe Flagge zum falschen Zeitpunkt. Hamilton war schlicht zu langsam. Das ist ihm zuletzt 2009 in Silverstone passiert.
Der Mercedes-Pilot blieb zwar auch 2017 in Brasilien in der ersten K.O.-Runde der Qualifikation hängen, doch damals wegen eines Unfalls. Diesmal musste er zugeben: "Das Auto war instabil und unfahrbar. In den Highspeed-Kurven habe ich permanent das Heck verloren. Es war ein einziger Alptraum."

Mercedes im Niemandsland
Teamchef Toto Wolff fand klare Worte: "Wir haben neun Zehntel auf die Pole Position verloren. Das dreht man nicht in einer Woche. Ich bin mir sicher, dass wir es drehen werden, weil wir es drehen müssen. Dieser Rückstand ist nicht akzeptabel. Wir können nicht zulassen, dass wir so im Niemandsland fahren." Der Österreicher beschreibt das Hauptproblem seines Sorgenkinds so: "Wir können das Potenzial dieses Autos einfach nicht abrufen."
George Russell geht ins Detail: "Solange wir unser Problem mit dem Bouncing nicht lösen, können wir uns um den Rest des Fahrzeugs nicht kümmern. Und da gäbe es so viele Dinge, um die man sich kümmern müsste."
Als Konsequenz all der Kompromisse, die Mercedes eingehen muss, um seinem W13 halbwegs das Hüpfen auf den Geraden abzugewöhnen, funktioniert der Silberpfeil nach Aussagen von Russell nur in einem winzig kleinen Fenster: "Ich habe es getroffen und weiß nicht warum. Lewis war eine Spur daneben und hatte kein Vertrauen in sein Auto. Auf keiner anderen Strecke ist Vertrauen in dein Auto so wichtig."

Feiner Grat zwischen akzeptabel und schlecht
Russell konnte sich über den ersten Trainingssieg gegen seinen berühmten Teamkollegen nicht freuen. "Für uns als Team war es ein schlechter Tag. Wir haben keine Hand an unserem Auto. Es ist einfach nicht konstant."
Wolff ergänzt: "Wir experimentieren mit den Abstimmungen, um die Stärke des Pakets zu finden. Das ist aber ein feiner Grat. Lewis hat vom Setup her eine etwas mutigere Entscheidung getroffen und dafür mit einem instabilen Heck bezahlt."
Hamilton bestätigte: "Im dritten Training fühlte sich das Auto noch ganz gut an. Ich wollte noch zwei weitere Schritte in diese Richtung gehen und habe es dabei offenbar übertrieben. Das war meine Entscheidung. Als Folge konnte ich nicht das gleiche vom Auto abrufen wie George." Hamilton fehlten 0,087 Sekunden, um den Sprung ins Q2 zu schaffen.
Der Superstar hatte nicht nur Mühe mit seinem Auto. Keinem Team fiel es so schwer wie Mercedes, die Reifen zum Arbeiten zu bringen. In der Not packten die Ingenieure Medium-Reifen im Q1 und Q2 aus oder ließen die Fahrer ewig auf der Strecke, damit endlich Leben in die die Pirelli-Sohlen kommt. Hamilton fuhr in seinem zweiten Q1-Versuch sieben Runden am Stück. Russell brauchte im Q3 zwei Aufwärmrunden um die Reifen anzuzünden.

Hamilton überlegt Start aus der Boxengasse
Da das Auto zwischen Qualifikation und Rennen nur minimal verändert werden kann, ist Hamilton auch wenig optimistisch, dass er mit diesem Paket eine Aufholjagd inszenieren kann. "Ich überlege deshalb einen Start aus der Boxengasse. Dann können wir wenigstens das Setup ändern." Und dann ist da noch ein Problem. Zum Überholen braucht man Top-Speed, und genau der fehlt dem Mercedes.
Mit 324,4 km/h bei der Top-Speed-Messung lag Hamilton an viertletzter Stelle. Sergio Perez war an gleicher Stelle um 10,7 km/h schneller. Wieder lagen sieben von acht Autos mit Mercedes-Motor beim Top-Speed in der zweiten Tabellenhälfte. George Russell war mit 327,1 km/h noch der schnellste.
Toto Wolff schiebt es immer noch auf den hohen Luftwiderstandes Autos. Dabei hat Mercedes den kleinsten Heckflügel im Feld auf die Autos geschnallt und in der Not auch noch den Gurney abmontiert. Es wäre außerdem verwunderlich, wenn auch McLaren, Williams und Aston Martin wie ein Scheunentor im Wind stehen.
Zu den Rätseln zählt auch, dass Russell trotz kleinem Heckflügel im kurvenreichen Sektor 1 nur zwei Zehntel auf die dort dominanten Ferrari verliert, und im zweiten Abschnitt mit seinen vielen Vollgaskurven lediglich zwei Zehntel hinter den Red Bull liegt.
Erst im letzten Sektor bricht Russell ein. Sergio Perez ist eine halbe Sekunde schneller, Carlos Sainz vier Zehntel. George Russell gab sich Mühe mit einem positiven Schlusswort: "Wir müssen geduldig und dankbar sein. Dankbar, dass wir mit so vielen Problemen immer noch dritte Kraft sind. Das befeuert meinen Optimismus, dass wir es schaffen."