Großer Preis von Deutschland auf dem Nürburgring - nach einem nervenaufreibend langen Boxenstopp liegt der Maserati 250 F fast eine Minute hinter den übermächtigen Geschossen aus dem Ferrari-Rennstall zurück. Dann geschieht das Unglaubliche. Vor den Augen von über 100.000 Zuschauern peitscht der alte Mann im Maserati seinen Sechszylinder einem Höllenritt gleich über die Mutter aller Rennstrecken, zieht an den Ferrari-Piloten Mike Hawthorn und Peter Collins vorbei und fährt schließlich mit einer Sekunde und ein paar Bruchteilen vor den britischen Youngstern ins Ziel.
Vielen Rennsporthistorikern gilt dieser Auftritt am 4. August des Jahres 1957 bis heute als das spektakulärste Rennen in der Grand Prix-Geschichte. Für den Mann im Maserati, den legendären Juan Manuel Fangio, war es der größte Triumph und gleichzeitig der letzte Sieg seiner außergewöhnlichen Karriere. Mit dem Großen Preis von Deutschland sicherte sich der 46-jährige seinen fünften Weltmeistertitel in der Königsklasse des Motorsports.
Fangio holt fünf WM-Titel im Herrenalter
Juan Manuel Fangio ist bereits 38 Jahre alt, als er mit finanzieller Unterstützung der argentinischen Regierung nach Europa kommt, um bei Sportwagenrennen auf dem Kontinent der Motorsportpioniere mitzumischen. 1950 tritt Fangio für Alfa Romeo an und wird Vizeweltmeister. Ein Jahr später fährt Fangio mit seinem Alfa 159 seinen ersten Weltmeistertitel ein. Insgesamt wird er 51 Rennen für vier verschiedene Formel-1-Teams fahren und danach 24 Mal sogar ganz oben auf dem Siegertreppchen stehen - eine Erfolgsquote von fast 50 Prozent, die bis heute unerreicht geblieben ist.
Als Juan Manuel Fangio am 24. Juni 1911 im argentinischen Balcarce geboren wird, ist ihm vielleicht Ehrgeiz in die Wiege gelegt. Den finanziellen Background für die teure Leidenschaft, Autorennen zu fahren, hatte die italienische Einwandererfamilie nicht. Juan Manuel verlässt die Schule nach nur fünf Jahren und fängt im zarten Alter von elf Jahren eine Lehre in einer Autowerkstatt an.
Früh kommt er mit der lokalen Rennfahrer-Szene in Kontakt, macht eigene Erfahrungen am Steuer und lernt, Fahrzeuge für Renneinsätze umzubauen. 1932 gründet Fangio schließlich seine eigene Werkstatt. Sein erstes Rennen fährt er vier Jahre später - mit einem umgebauten Ford-Taxi. Als der Enddreißiger schließlich nach Europa kommt, hat auch einen ungeheuren Erfahrungsschatz im Gepäck, den er bei den strapaziösen Rennen Südamerikas, die sich zum Teil über mehrere Wochen hinziehen, gewonnen hat.
Fangio verliert Beifahrer
Auch eine tragische Erfahrung hat den Argentinier zu diesem Zeitpunkt schon geprägt. Bei einem Unfall in der südamerikanischen Heimat war sein Beifahrer Daniel Urrutia ums Leben gekommen. Eine derartige Verantwortung für ein anderes Leben wird Fangio nie wieder übernehmen. Nach dem Unglück entscheidet er, künftig nur noch Rennen ohne Beifahrer zu fahren.
Die Rennteams in Europa wechselt Fangio häufig, aber nicht immer freiwillig. Nachdem er 1951 in einem Alfa Romeo Weltmeister geworden ist, muss er im Jahr darauf nach einem schweren Unfall in Monza und einer gefährlichen Verletzung der Halswirbelsäule eine ganze Saison pausieren. Danach unterschreibt er bei Maserati und schließt die 53er-Saison als Vizeweltmeister ab. Den Weltmeistertitel holte sich damals Ferrari-Pilot Alberto Ascari, der zwei Jahre später in Monza ums Leben kommen wird.
Fangio wird Silberpfeil-Legende
1954 ist das Jahr, in dem Fangio und Mercedes Benz gemeinsam spektakuläre Triumphe feiern. Das Mercedes Team und der Argentinier kennen sich da schon einige Jahre, haben sich bereits 1951 beschnuppert, als der deutsche Rennstall mit drei überarbeiteten Vorkriegs-Rennwagen des Typs W 154 zu einem Gastspiel nach Argentinien gekommen war.
Fangio startete bei diesem Anlass neben Karl Kling und Hermann Lang in einem Silberpfeil zum "Premio Presidente de la Nación Juan D. Perón". Auf dem modernen Kurs mit seinen Schikanen konnten die Rennwagen mit Stern aber ihre Geschwindigkeit nicht voll ausfahren. Lokalmatador Fangio kam nur auf den dritten Platz.
1954 melden sich die Stuttgarter mit einem neuen Wagen zurück und verpflichten den argentinischen Pistenstar. Unter dem Blech von Fangios neuem Dienstwagen geht ein 257 PS starker Reihenachtzylinder mit 2,5 Liter Hubraum und einer Benzin-Direkteinspritzung ans Werk. Am 4. Juli 1954 fährt Fangio seinen ersten Grand Prix mit den Silberpfeilen und gewinnt das Rennen vor seinem Teamkollegen Karl Kling.
Fangio eilt von Erfolg zu Erfolg
Auch in Deutschland, der Schweiz und in Italien sichert sich Fangio Siege. Am Ende der Saison ist der Argentinier mit den italienischen Wurzeln zum zweiten Mal Formel 1-Weltmeister - mit fast doppelter Punktzahl des Zweitplatzierten. Ähnlich souverän meistert Fangio die nächste Saison. Als Mercedes-Pilot gewinnt er die Grands Prix von Argentinien, Belgien, den Niederlanden und Italien und am Ende fährt er seinen dritten Weltmeistertitel ein.
Zu den unvergessenen Leistungen des Jahres gehört auch der zweite Platz bei der Mille Miglia 1955, die der Argentinier auf dem Mercedes-Benz 300 SLR allein bestreitet. Der Sieger Stirling Moss ist - wie die meisten Fahrer - mit einem Kopiloten unterwegs. Der Brite Stirling Moss ist einer von vielen, die aus ihrer Bewunderung für den Argentinier keinen Hehl machten.
Eine Bemerkung Enzo Ferraris, Fangio habe sich in jeder Saison für das Team mit dem besten Auto entschieden, soll Moss einmal mit den Worten kommentiert haben: Das Team, für das Fangio fuhr, hatte einfach den besten Wagen, weil Fangio so ein verdammt guter Fahrer war.
Weitere Titel mit Ferrari und Maserati
1956 nimmt die Stuttgarter Equipe aufgrund eines verheerenden Unfalls in Le Mans im Jahr zuvor nicht an den Grand Prix Rennen teil. Fangio startet 1956 für Ferrari - und holt den Weltmeistertitel. 1957 fährt er dann mit Maserati seinen fünften Meistertitel in der Königsklasse ein. 46 Jahre bleibt dieser Rekord ungebrochen - bis sich Michael Schumacher 2003 an die Spitze der Rekordweltmeister setzt.
Das hat der große Fangio aber nicht mehr miterlebt. Die Rennfahrerlegende starb 1995 mit 84 Jahren in Buenos Aires. Kurz vor seinem Tod schaltete sich Juan Manuel Fangio noch einmal ins Autogeschäft ein. Er stellt den Kontakt zwischen Mercedes-Benz und dem von ihm protegierten Horacio Pagani, einem Leichtbau-Visionär in Diensten von Lamborghini her. Als sich Horacio Pagani in Modena mit einer eigenen exklusiven Marke für Supersportwagen selbstständig macht, bekommen die Serienmodelle exklusive AMG-Motoren - bis heute.