Es gibt Nachrichten, da weiß man noch Jahrzehnte später, wo man war, als man sie hörte. Am 7. April 1968 erschütterte eine Meldung, die zunächst keiner glauben mochte, die Motorsportwelt. Jim Clark war tot, gestorben im Alter von 32 Jahren bei einem Formel 2-Rennen in Hockenheim. Ich erfuhr es in den Nachrichten am Abend des Unfalls und hielt es für eine Falschmeldung. Derselbe Jim Clark war doch noch am Abend zuvor Gast im Aktuellen Sportstudio. Der konnte unmöglich tot sein.
Jim Clark galt selbst in dieser gefährlichen Zeit als unverwundbar. Und dann starb er in einem Auto mit nur 230 PS und 260 km/h Höchstgeschwindigkeit, auf praktisch gerader Strecke. Chris Amon, der ebenfalls in diesem Rennen am Start war, sagte nach der Todesmeldung: „Wenn es Jimmy erwischt, dann ist keiner von uns sicher.“
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Clark war eine Ikone. Einer, der eine ganze Generation beherrschte. Es gab selbst im Kollegenkreis keinen, der das bestritt. Wenn es überhaupt eine Schwäche gab, dann die, dass ihm das technische Verständnis fehlte, schlechten Autos auf die Sprünge zu helfen. Lotus-Chef Colin Chapman erzählte, dass sein Ziehsohn Probleme mit seiner fahrerischen Klasse kaschierte. Erst wenn es ganz schlimm wurde, legte der Ausnahmepilot den Schongang ein. So wie an jenem schicksalhaften Tag in Hockenheim, als er schon 30 Sekunden hinter der Spitze lag, als es passierte.
Clark war der legitime Nachfolger von Juan-Manuel Fangio. Erst drei Monate vor seinem Tod hatte der Schotte den großen Argentinier in der Rangliste der GP-Siege abgelöst. Nach seiner überlegenen Triumphfahrt beim GP Südafrika durfte man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass Clark in diesem Jahr nach 1963 und 1965 zum dritten Mal Weltmeister geworden wäre. Was ihm verwehrt blieb, erledigte sein Teamkollege Graham Hill. Er erlöste mit seinem Titel 1968 das Lotus-Team von seinem Trauma. Clark war in der Formel 1 nie für ein anderes Team gefahren.
Bernie Ecclestone erinnert sich nur unscharf an den Größten der 60er Jahre: „Ich habe Jimmy nicht so gut gekannt wie Jochen Rindt. Er war ein normaler Typ, ohne großes Ego. Er wusste gar nicht wie gut er war. Jimmy war immer relaxt, stand nie unter Druck.Musste er auch nicht. Er war der beste Fahrer, und er saß immer in den besten Autos. Wie bei Senna konnte man sich bei Clark nicht vorstellen, dass er sich mal bei einem Unfall verletzt.“
Nur zwei Augenzeugen beim Clark-Unfall
Man wusste nur wenig über den introvertierten Bauernsohn aus der schottischen Grafschaft Berwickshire. Genauso geheimnisvoll wie er selbst war sein Tod. Er hob den zweifachen Weltmeister und Indy 500-Sieger von 1965 endgültig in den Legendenstatus, etwas das später nur Ayrton Senna widerfuhr. Doch Senna starb live vor einem Millionenpublikum in den Wohnzimmern rund um die Welt. Für Clarks Unfall um 12:39 Uhr an diesem grauen Frühlingstag in Hockenheim gab es nur zwei Streckenposten als Augenzeugen.
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Die Unfallursache ist bis heute ungeklärt. Vielen Theorien wurden diskutiert, keine von ihnen wurde mit einem Beweis untermauert. Ein Aufhängungsbruch, ein Lenkungsdefekt, Zündaussetzer, Aquaplaning, ein Ausweichmanöver: Es gibt wenig Für und viel Wider. Von allen Annahmen ist die des Reifenschaden rechts hinten immer noch die wahrscheinlichste. Der für die Untersuchung des Wracks von Lotus beauftragte Experte für Flugzeugabstürze, Peter Jowett, hatte einen Schnitt auf der Lauffläche festgestellt. Verursacht vielleicht durch Metallsplitter als Überbleibsel vieler Motorplatzer. Clark ging im Training selbst zwei Mal der Motor hoch.
Das Wrack wurde auf Geheiß von Chapman in einer Nacht- und Nebelaktion über einen kleinen belgischen Grenzübergang außer Landes gebracht und in der Fabrik später vernichtet. Die Staatsanwaltschaft Mannheim stellte schon nach einem Tag das Verfahren ein, weil offensichtlich kein Fremdverschulden vorlag.
Erst im November 1968 wurde sie wieder für fünf Monate aktiv, nachdem sich ein Amerikaner mit einer Aussage gemeldet hatte, Kinder seien möglicherweise über die Strecke gerannt und hätten Clark in ein Ausweichmanöver gezwungen. Die Geschichte erwies sich als haltlos, weil die beiden Streckenposten vor Ort zu Protokoll gaben, dass sie 300 Meter Sicht gehabt hätten und sie so einen Vorfall hätten sehen müssen.
Probleme mit Clark-Lotus
Das Drama begann mit vielen Merkwürdigkeiten. Eigentlich hätte Clark an diesem Tag einen Ford-Sportwagen des Alan Mann-Teams in Brands Hatch fahren sollte. Doch der neue Hauptsponsor von Lotus, die Tabakfirma Gold Leaf wollte Clark und Hill so oft wie möglich in ihren rasenden Zigarettenschachteln sehen. Eine Woche zuvor war Clark den Lotus 48-Ford bereits im spanischen Montjuich gefahren und wurde dabei beim Start von Jacky Ickx torpediert. Die angeknackste Hinterachse wurde von den Mechanikern wieder geflickt. Auch sie musste in der Nachbetrachtung als mögliche Unfallursache herhalten
Clark reiste von Barcelona nach Paris. Die Stadt an der Seine war seit einem Jahr aus Steuergründen seine Wahlheimat geworden. Matra-Chef Claude le Guezec gab eine Party, an der neben Clark auch Henri Pescarolo und Jochen Rindt teilnahmen. Nachdem er noch schnell seinen Lotus Elan an seinen Freund, den Journalisten Gérard Crombac verkauft hatte, flog Clark mit seiner Piper Twin Comanche nach Hockenheim.
Dort erwartete ihn Ärger. Das Zugpferd der Deutschland-Trophäe mochte den einfallslosen Hockenheimring nicht, sein Lotus bockte. Es gab Probleme mit der Straßenlage. Zündung und Gemischaufbereitung machten Ärger. Clark drehte sich zwei Mal im Training, qualifizierte sich nur für den 7. Startplatz. Ganze 2,4 Sekunden hinter dem Trainingsschnellsten Jean-Pierre Beltoise. Lotus-Kollege Graham Hill stand auf Platz 15 noch weiter hinten. Was Beweis genug war, dass etwas mit den beiden Lotus 48 nicht stimmte.
Von den 20 Piloten, die damals in Hockenheim an den Start gingen, sind heute noch neun am Leben: Henri Pescarolo, Kurt Ahrens, Derek Bell, Max Mosley, Graeme Lawrence, Robin Widdows, Chris Irwin, Carlo Facetti und Robert Lamplough. Keiner von ihnen sah den Unfall. Clark fuhr zu dem Zeitpunkt allein. Chris Irwin wurde zwar überall mit einer Aussage zitiert, er habe in der Gischt schemenhaft gesehen, wie 250 Meter vor ihm ein Auto außer Kontrolle geriet, doch Colin Chapman korrigierte später in einer englischen Zeitung, dass es sich bei dem Fahrer hinter Clark um Robin Widdows gehandelt habe.
Auftritt von Jim Clark im Aktuellen Sportstudio
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Die Tragik des Geschehens wurde noch dadurch überhöht, dass Jim Clark an seinem letzten Tag im deutschen Fernsehen einem Millionenpublikum präsentiert wurde. Das Aktuelle Sportstudio des ZDF war damals noch ein Quotenbringer. Ein Pflichttermin um 21.55 Uhr am Samstagabend.
Weil der Fernsehsender unbedingt ein Rennauto im Studio haben wollte, Clark aber seinen maladen Lotus nicht entbehren wollte, wurde Kurt Ahrens gebeten den Superstar zu begleiten. Samt seinem Brabham BT23C. Ahrens hatte sich für die erste Startreihe qualifiziert. Seine Erinnerungen an die letzten beiden Tage im Leben von Jim Clark bringen wir in Folge 2 unseres Clark-Specials zum 50. Todestag.
So machte sich um 19 Uhr am Samstag eine Dreier-Seilschaft in einem 3,5 Liter Mercedes 280 auf den Weg nach Wiesbaden. „Mit dabei war mein Freund Eckhard Schimpf. Der konnte gut Englisch und musste dolmetschen“, blickt Ahrens zurück. „Wir fuhren noch im Overall los, weil uns das ZDF so präsentieren wollte.“
Den fast 14-minütigen Auftritt der beiden Rennfahrer haben wir im exakten Wortlaut für Sie skizziert und bringen ihn in der dritten Folge unserer Serie. Er ist ein Stück Fernsehgeschichte. Bis hin zu der Verabschiedung von Moderator Werner Schneider, der seinen beiden Gästen „Hals- und Beinbruch“ für das Rennen wünscht. 15 Stunden später wurde der Spruch für Clark makabre Realität.
Drei Liter Öl für eine Handvoll Dollar
Auf der Heimfahrt nach Hockenheim wurde das Trio fast durch einen Motorschaden gestoppt. „Plötzlich hörten wir ein Geräusch, und die Leistung ließ schlagartig nach. Wir wussten sofort, dass es ein Lager erwischt hat. Dann sind wir mit 30 km/h zur nächsten Tankstelle nach Pfungstadt. Wir brauchten dringend Öl, hatten aber kein deutsches Geld in der Tasche. Jimmy kramte ein Bündel Dollar hervor. Der Tankwart wollte die fremden Scheine aber nicht annehmen. Wir haben ihm erklärt, dass da Jim Clark im Auto ist und dass wir vom Sportstudio kommen. Er hat nur gesagt: Wenn das Jim Clark ist, dann bin ich Cassius Clay. Er hat sich erst erweichen lassen, als wir ihm das Dreifache des Preises hingelegt haben.“
Ahrens und Schimpf setzten Clark gegen 2.30 Uhr am Luxhof in Speyer ab. „Wir haben uns noch für das Motorproblem bei ihm entschuldigt. Er hat nur gelacht und gesagt: Macht nichts, war ja nicht eure Schuld. Ich wusste gar, nicht ein Mercedes kaputtgehen kann.“
Am Morgen des Renntages wurden die Gäste des Luxhof durch Motorenlärm geweckt. Mechaniker David Sims fuhr den Lotus auf dem Parkplatz des Hotels ein, um sich zu vergewissern, ob die Probleme mit der Zündung gelöst waren. Auch Derek Bell, der in dem Rennen ein Brabham fuhr, hat seine Erinnerungen an diesen Tag. Clark erzählte ihm fatalistisch, dass er Platz machen werde, wenn Bell zum Überrunden in seinem Rückspiegel auftaucht. Der Youngster wunderte sich noch: „Was, ich sollte den großen Jimmy überrunden? Das zeigt, wie groß seine Probleme mit dem Auto waren.“
Analyse des Unfall-Hergangs
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Der Unfall passierte bei Kilometer 2,1, ein ganzes Stück hinter der ersten Schikane, die später als Reaktion auf Clarks Todessturz dort eingebaut wurde. Der Streckenposten Winfried Kolb sah wie das Heck des Lotus zuerst rechts hinten ausbrach, sich dann einen Konter einfing, die gleiche Pendelbewegung noch einmal machte, bevor er in den nur drei Meter vom Streckenrad entfernten Wald abbog. Clark wehrte sich rund 300 Meter gegen den Unfall, um schließlich doch im 45 Grad-Winkel die Strecke zu verlassen. Bei der Untersuchung des Motors stellte sich heraus, dass Clark bis zuletzt auf dem Gas geblieben war.
Als der Lotus das feuchte Gras erreichte, mähte er einen Zaun nieder, sprang über eine kleine Böschung hinweg und schlug in etwa einem halben Meter Höhe mit der linken Cockpitseite auf Schulterhöhe in den ersten Baum ein. „Eine Buche, dick wie ein Oberschenkel“, erinnert sich der Fotograf Werner Eisele, der nach den Streckenposten als erster am Unfallort war.
Was er sah, glich einem Flugzeugabsturz. Es muss mindestens drei Treffer mit unterschiedlichen Bäumen gegeben haben, bevor der Torso des Lotus 48 hinter einer weiteren Baumgruppe zum Stehen kam. Die Frontpartie war genauso abgetrennt worden wie Motor und Getriebe. Die Trümmer wurden 40 Meter weit verstreut. Seltsam ist, dass die Cockpitrückwand samt Überrollbügel separat vor dem Wrack lag. Normalerweise hätte sie noch mit dem Chassis verbunden sein oder am Motor hängen müssen.
Clark wurde durch das hinten offene Cockpit herausgeschleudert und kopfüber auf dem Waldboden gefunden, die Beine noch halb im Chassis. In der Formel 2 fuhr man damals noch ohne Gurte. Im Cockpit befand sich noch ein Schuh und seine Uhr. Während der Streckenposten Clark auf den Rücken drehte, rannte Eisele zu einem Feldtelefon und informierte die Rennleitung, die umgehend eine Ambulanz an den Unfallort schickte.
Clark war wohl auf der Stelle tot, wurde aber noch von dem Krankenwagen in die Universitätsklinik Heidelberg gebracht, wo unter anderem ein Genickbruch und ein Schädelbasisbruch festgestellt wurde. Der Fotograf mochte es nicht glauben, als man ihm später sagte, Clark sei bei dem Unfall gestorben: „Für mich sah es aus, als ob er schläft. Ich konnte keine äußerlichen Verletzungen erkennen.“
Keine Akte und ein verschwundener Film
Drei Minuten später tauchten drei Herren auf, unter ihnen der damalige Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein. Sie forderten den Fotografen auf, ihnen den Film auszuhändigen. Als in der Pause zwischen den beiden Läufen die Lotus-Truppe und Graham Hill auftauchten, um das Wrack zu bergen, machte Eisele noch ein paar Fotos vom Unfallort.
Inzwischen war auch Josef Reinhard eingetroffen, der Vater von auto motor und sport-Fotograf Daniel Reinhard. Der Schweizer war der einzige, der das Wrack in Farbe ablichtete. Die Fotografen halfen mit, Trümmer einzusammeln. Als Eisele Graham Hill ein fünf mal fünf Zentimeter großes Teil der Nase des Lotus 48 in die Hand drückte, sagte der nur: „Nimm es mit. Als Erinnerung an Jimmy.“ Hill kannte die grausame Wahrheit bereits. Eisele erfuhr sie erst im Fahrerlager. „Ab dann habe ich einen Filmriss. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.“
Kurt Ahrens bekam von alledem nichts mit. Er hatte in der Runde des Unfalls Jean-Pierre Beltoise von der Spitze abgelöst. „Ich lag vorne. Es muss so die sechste Runde gewesen sein, da sehe ich links einen Krankenwagen und einen Polizisten. Von einem Unfall war nichts zu erkennen. Uns wurde nicht mal die gelbe Flagge gezeigt. Vielleicht ist da einer in Ohnmacht gefallen, dachte ich. In den Runden drauf kamen immer mehr Fahrzeuge dazu, die da links geparkt haben. Irgendwann fuhr der Krankenwagen dann auf der Strecke. Nach dem Rennen im Fahrerlager habe ich meinen Vater getroffen. Er fragt mich: Was ist denn mit Jim Clark passiert? Ich habe zurückgefragt: Was soll denn sein? Der Vater wieder: Na, der ist tot. In dem Moment fiel mir wieder der Krankenwagen ein.“
Irgendwie passt es zu all den Rätseln über den unsichtbaren Tod der Legende, dass die Ermittlungsakte im Fall Jim Clark nicht mehr auffindbar ist. Die Staatsanwaltschaft Mannheim stellte sich auf unsere Anfrage hin stumm. Mit dem Ordner ging auch der Film verloren, der dem Fotografen Eisele abgenommen wurde.
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einige weitere Bilder von dem verhängnisvollen Formel 2-Rennen in Hockenheim und einige private Aufnahmen von Jim Clark aus dem auto motor und sport-Archiv.