Die Vertragsverlängerung zog sich ein Jahr lang hin. Jetzt sind die Gespräche beendet und eine Lösung gefunden. Der Rennleiter bleibt auf seinem Posten, doch es ändern sich die Besitzverhältnisse am erfolgreichsten Formel 1-Team der Neuzeit. Toto Wolff lenkt auch in den kommenden drei Jahren das operative Geschäft der Mercedes-Sportabteilung.
Der 48-jährige Wiener bleibt Teamchef der Erfolgsmannschaft, die in den letzten sieben Jahren 14 WM-Titel abgeräumt hat. Sieben mit den Fahrern, sieben als Konstrukteurs-Champion. Eine längere Erfolgsserie hat die Königsklasse in 70 Jahren noch nicht erlebt.
Doch die Struktur ändert sich. Wolff stockt seine Anteile von 30 auf 33,3 Prozent auf. Daimler reduziert von 60 auf 33,3 Prozent. Dafür steigt der in London ansässige Chemie-Konzern INEOS ein. Das Unternehmen erwirbt 33,3 Prozent an der Erfolgsmannschaft. Das Mercedes-Formel 1-Team wird damit zu einem Joint Venture, das zu gleichen Teilen von drei Partnern gehalten wird. Das war vorher anders. Da hatte es mit Daimler, Wolff und dem im Mai 2019 verstorbenen Niki Lauda (10 Prozent) auch drei Säulen gegeben, allerdings mit anderer Gewichtung.
Daimler fährt F1-Engagement zurück
INEOS ist seit Anfang des Jahres einer der Hauptpartner von Mercedes neben Petronas. Schon damals hatte das Chemie-Unternehmen durchklingen lassen, eine Beteiligung anzustreben. Im Herbst waren sogar Gerüchte aufgekommen, INEOS würde die Mehrheit am Formel 1-Team erwerben. Das wurde umgehend von Wolff dementiert. INEOS-Chef Sir Jim Ratcliffe bestätigte: "Wir haben kein Interesse daran, die Mehrheit zu übernehmen." Der Kauf von Anteilen sichert INEOS auch einen Platz im Aufsichtsrat des Teams. Daimler vergoldet einen Teil seiner Anteile.

Mit der Budgetdeckelung, die 2021 bei 145 Millionen Dollar liegt exklusive gewissen Ausnahmen, wird die Formel 1 den Stuttgarter Autobauer zusammen mit den neuen Besitzverhältnissen noch weniger kosten. Aus einer Kostenstelle soll mittelfristig sogar ein Profitcenter werden. 2019 steckte der schwäbische Konzern weniger als 30 Millionen Pfund in die Chassis-Schmiede in Brackley. "Es ist ein Zeichen der Stärke der Organisation in Brackley, dass wir mit INEOS angesehene Investoren anziehen konnten, die echtes Potenzial für künftiges Wachstum im Team erkennen", sagt Daimler-Vorstandschef Ola Källenius.
"Wir bleiben der Formel 1 weiter fest verbunden und der bevorstehende Cost Cap wird uns gemeinsam mit der neuen Beteiligungsstruktur in eine noch stärkere Position für anhaltenden Erfolg versetzen. Mit der noch engeren Anbindung an unsere Hochleistungssparte Mercedes-AMG ab 2021 sowie der Fortführung von Totos Führung in den kommenden Jahren, sieht die Zukunft für Mercedes-Benz in der Formel 1 rosig aus."
Win-Win-Situation
Es wirkt wie ein Rückzug auf Zehenspitzen des Mutterkonzerns. Daimler bindet die Formel 1-Aktivitäten stärker an die Performance-Sparte AMG als wie früher an die Premiummarke Mercedes. Im nächsten Schritt verkauft man auch noch fast 30 Prozent seiner Anteile und ist nicht mehr Mehrheitseigner. Das Geld wird Daimler wohl in die Entwicklung und Elektrifizierung der Modellpalette stecken.
Im Prinzip ist es aber ein schlauer Deal, wenn sich der neue Investor aus dem Tagesgeschäft heraushält. Weil für alle Parteien dann eine Win-Win-Situation entsteht. Die Autos heißen weiter Mercedes, Siege strahlen auf die Marke ab. Der Werbeeffekt bleibt hoch, dafür fallen die Kosten. "Wir glauben an einen finanziell und ökologisch nachhaltigen Sport", sagt Källenius.
"Auf der Motorenseite wird es noch länger dauern, bis wir dort profitabel sein können. Aber durch den medialen Gegenwert und den technischen Wert ist es ein sehr gutes Investment." Der Schwede ergänzt: "Die Formel 1 ist für uns ein Testumfeld unter extremsten Bedinungen." Lassen wir mal so stehen im Wissen, dass der Technologietransfer in der Vergangenheit doch eher verhalten ausfiel. "Wir wollen mittelfristig für die gesamte Rennabteilung den Break-Even schaffen. Vielleicht bietet sich ja auch für die Motorenseite eine Art Franchise-System an", meint Wolff. So wie man es jetzt auf der Chassis-Seite vorführt.
Der Österreicher hält weiter die Fäden in der Hand. "Er steuert dieses Schiff", beteuert auch der neue Investor, Sir Jim Ratcliffe. Und sollten ihm die vielen Reisen doch irgendwann zu viel werden, hat Wolff die Aussicht auf einen anderen Posten. In der Mitteilung heißt es dazu: "Toto wird anschließend die Möglichkeit haben, eine neue operative Führungsrolle innerhalb der Organisation zu übernehmen, sobald er den Zeitpunkt für richtig erachtet."

Zugang zum Automarkt
INEOS profitert wie der Autokonzern vom hohen Werbewert, der auf über fünf Milliarden taxiert wird und einem TV-Anteil der Formel 1-Übertragungen von fast einem Viertel. Und man erhält Zugang zur Automobilwelt, in der das Unternehmen gerne Fuß fassen würde mit Zubehörartikeln. "Wir bauen durch unser Engagement einen Ruf in vielen Märkten auf", sagt Ratcliffe. "Ich erhalte neben Ola einen weiteren Sparringspartner mit großem Unternehmergeist und anderen Perspektiven. Das wird uns bei strategischen Entscheidungen für die Zukunft sehr helfen", freut sich Wolff.
Der Chemie-Gigant ist im weltweiten Sport nicht nur in der Formel 1 aktiv. INEOS hat ein eigenes Rennradteam (u.a. Tour de France) und mischt bei der 36. Ausgabe der berühmten Segelregatta, dem America’s Cup im März, mit einer britischen Mannschaft mit.
Auch hier ergeben sich Synergien zwischen Investor und dem Rennteam. Mercedes muss wegen der Budgetdeckelung Personal in andere Bereiche umschichten. Mit der neuen Geschäftseinheit Applied Science hat Brackley sein Geschäftsmodell bereits erweitert. Hier will man innovativen Projekten mit seinen Ingenieuren zum Durchbruch verhelfen. Darunter fallen Segelregattas, Radsport oder Zukunftsthemen wie Flugautos. Bereiche, in denen Mercedes und INEOS zusammenarbeiten.
Fehlt nur noch die Vertragsverlängerung des Superstars. Die soll am besten noch vor Weihnachten erfolgen. Der Teamchef über Lewis Hamilton: "Lewis ist der beste Rennfahrer dieser Generation. Wir haben das beste Auto. Wir haben ein persönliches Verhältnis, aber natürlich ist es auch eine Zweckgemeinschaft. Wir brauchen einander. Wir müssen nur noch einen Knopf dranmachen."