Sie sehen ähnlich aus und sind aber doch nicht gleich. IndyCar erinnert an die Formel 1 vor 20 Jahren. Die US-Meisterschaft fährt seit der Wiedervereinigung ihrer beiden konkurrierenden Serien CART und IRL mit Einheitsautos von Dallara. Entwicklung ist eigentlich nur beim Fahrwerk erlaubt. In der Formel 1 ist alles zehnmal größer, teurer, extremer und komplizierter.
Früher gab es oft lange Stammtischdiskussionen, welches Auto im direkten Vergleich schneller wäre. Vor 25 Jahren hatten die Turbomotoren der IndyCars noch so viele Pferdestärken wie die Sauger der Formel 1.
Die US-Renner müssen Allrounder sein. Sie fahren auf Stadtkursen, permanenten Rennstrecken, Ovalen und Superspeedways. Ein Formel-1-Auto ist nicht für Ovale gebaut. Der V6-Turbo würde zu einem Verbrennungsmotor ohne Elektroantrieb mutieren.
Beide Rennserien haben kürzlich ihr Gesicht geändert. IndyCar bekam 2018 ein kompakteres Auto mit weniger Abtrieb. Die Formel 1 sattelte 2017 auf breitere Autos mit deutlich mehr Anpressdruck um und besserte in diesem Jahr noch einmal nach.

Formel 1 mit Power- und Abtriebsvorteil
Marcus Ericsson ist beide gefahren: „Ein Formel-1-Auto hat viel mehr Abtrieb. Auf einer Qualifikation macht es mehr Spaß. Aber im Zweikampf sind die IndyCars besser. Es ist viel einfacher, anderen Autos zu folgen.“
Ein Rundenzeiten-Vergleich war lange nicht möglich. Formel 1 und IndyCar gingen sich bei der Wahl der Rennstrecken aus dem Weg. Seit dieser Saison hat IndyCar den Circuit of the Americas von Austin im Programm. Und weil die US-Serie mit Daten ziemlich offen umgeht, bot es sich an, auf den jeweils schnellsten Qualifikationsrunden mitzufahren.
Für die Formel 1 brauchten wir die Mithilfe von Mercedes, die uns mit der Auswertung der IndyCar-Abschnittszeiten und dem Angleichen an die eigenen GPS-Werte geholfen haben. Die Zeitnehmer der IndyCar-Serie zerteilen den 5,513 Kilometer langen Kurs in 20 Minisektoren und weisen dann die jeweiligen Durchschnittsgeschwindigkeiten aus.
Die Länge der Sektoren schwankt zwischen 121 und 621 Metern. Der kürzeste beinhaltet ein Stück auf der Zielgerade: von der Startlinie bis zur ersten Induktionsschleife i1. Der längste einen Großteil der Geraden zwischen i11 und i12.

Vergleich Lewis Hamilton vs. Will Power
Wir vergleichen die Qualifying-Runden von Will Power im Penske-Dallara-Chevrolet (1.46,017 min) vom 23. März 2019 mit Lewis Hamiltons Bestzeit (1.32,250 min) vom 20. Oktober 2018. Um es kurz zu machen. Die Formel 1 ist schneller. Massiv schneller. In der Rundenzeit um 13,767 Sekunden.
Hamilton gewinnt also pro Kilometer 2,49 Sekunden auf Power. Das muss bei einem Leistungsplus von 260 PS und mindestens 30 Prozent mehr Abtrieb nicht überraschen. Bei der genaueren Betrachtung der einzelnen Sektoren zeigt sich deutlich, in welchen Passagen das Delta am größten ist. Dort, wo Abtrieb zählt.
Zwischen den Messpunkten i1 und i2 liegen auf 144 Metern nur die erste Kurve, ihre Bremszone und die erste Beschleunigungsphase. Hamilton braucht dafür 6,069 Sekunden, was einem Schnitt von 141,030 km/h entspricht. Power fährt in diesem Abschnitt mit 7,007 Sekunden fast eine Sekunde länger. Schnitt: 122,152 km/h.
Die Messstellen i5 und i6 befinden sich im darauf folgenden Geschlängel. Sie schließen die schnelle T5-Kurve und die Doppelrechts T6 mit ein. Hamilton legt die 315 Meter in 4,306 Sekunden (263,752 km/h) zurück. Der Dallara-Chevrolet von Power ist mit 5,538 Sekunden und 205,086 km/h im Schnitt klar langsamer. Auch hier nutzt der Mercedes seinen Aerodynamikvorteil.

Formel 1 15 Prozent schneller als IndyCar
Auf den Geraden verringert sich der Vorteil des Formel-1-Autos – trotz des deutlichen Leistungsvorteils. Hamilton fährt auf den 621 Metern zwischen i11 und i12 exakt 7,154 Sekunden Vollgas. Das macht im Mittel 312,582 km/h. Power braucht 1,013 Sekunden mehr. Speed-Differenz: 38,75 km/ h.
Schauen wir uns zum Schluss noch ein ganz langsames Segment an. Zwischen den Punkten i14 und i15 liegen vier Kurven im Bereich zwischen 70 und 110 km/h. Der Mercedes inhaliert die 285 Meter lange Distanz in 7,315 Sekunden oder einem Schnitt von 140,250 km/h. Will Power benötigt 8,161 Sekunden. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 125,720 km/h. Hier spielt neben der Aerodynamik mechanischer Grip eine Rolle.
Über alle Sektoren gerechnet, ist Hamilton im Silberpfeil 15 Prozent schneller als der IndyCar-Meister von 2014. Das könnte sich in drei Jahren ändern. Während die Formel 1 ab dem Jahr 2021 abrüsten und auf 20 Prozent Anpressdruck verzichten will, rüstet IndyCar ab 2022 mit einem neuen Auto und Hybrid-Technologie auf. Dann sollen die V6-Turbos mit KERS auf 900 PS aufgepäppelt werden.