Die Formel 1 boomt. Dieser Satz fällt seit der Übernahme von Rechteinhaber Liberty Media im Jahr 2016 im Zusammenhang mit der Königsklasse häufig. Immer mehr Länder wollen etwas von dieser Strahlkraft abbekommen, bauen Rennstrecken und finden mit einem hohen Antrittsgeld ihren Platz im Kalender. Mit Miami und Las Vegas stießen zuletzt zwei US-Strecken dazu. Aber auch Länder mit fragwürdigen Ansichten zu Menschenrechten wie Saudi-Arabien und Katar sind mittlerweile fester Teil der Formel 1.
Jetzt schickt sich ein weiteres Land an, der Königsklasse eine Heimat zu bieten, das bei vielen Menschenrechtlern kritisch gesehen wird. Ruanda will Teil des elitären Kreises der Weltmeisterschaft sein. Beim vergangenen Grand Prix in Singapur (22.9.) zeigte sich Präsident Paul Kagame vor Ort und ließ sich mit Formel-1-Boss Stefano Domenicali ablichten. Der Italiener will schon seit längerer Zeit die F1 nach Afrika zurückbringen. Kagame wirft deshalb seinen Hut in den Ring. Stefano Domenicali bestätigte die ernsten Absichten Ruandas. "Sie haben einen guten Plan vorgelegt" und kündigte weitere Gespräche mit Kagame an.

Ruandas Präsident Paul Kagame (links) will die Formel 1 ins Land holen. F1-Boss Stefano Domencali (rechts) ist angetan von der Idee.
Ruanda steht in der Kritik
"Unser Interesse an der Formel 1 steht im Einklang mit der nationalen Strategie, den Sport als Hebel für den wirtschaftlichen Wandel zu nutzen", legte der ruandische Automobilclub-Chef Gakwaya Christian die Strategie dar. Menschenrechtler sehen das Vorhaben allerdings kritisch. Human Rights Watch hält fest: "Willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen und Folter in offiziellen und inoffiziellen Hafteinrichtungen sind an der Tagesordnung." Gegner des Regimes würden in Ruanda verfolgt werden.
Über solche Probleme sieht aber wohl nicht nur die Formel 1 hinweg. Auch der Motorsport-Weltverband FIA öffnet sich für Ruanda. So findet im Dezember die offizielle Preisverleihung, bei der unter anderem der F1-Weltmeister gewürdigt wird, in der Hauptstadt Kigali statt.
Erst vor 30 Jahren kam es in Ruanda zu einem Völkermord. Von April bis Juli 1994 ermordeten Angehörige der Hutu-Ethnie etwa 75 Prozent der Tutsi-Minderheit. Unbeteiligte Hutu-Angehörige und Gegner des Genozids wurden ebenfalls getötet. Zwischen 800.000 und eine Million Menschen verloren ihr Leben. Der Völkermord war eine Folge des Bürgerkriegs zwischen der Regierung und der Rebellenbewegung Ruandische Patriotische Front. Die Tötungen vollzog die ruandische Armee, die Präsidentengarde, die Nationalpolizei und die Verwaltung.
Ruanda konnte sich von dem Bürgerkrieg und dem Massaker erholen. Das Land hat sich politisch stabilisiert, was auch Präsident Paul Kagame zugeschrieben wird. Dazu kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Trotzdem wachsen mehr als 540.000 Kinder in einem Haushalt ohne Eltern auf. Das geht aus dem Bericht (2022) zur Bevölkerung des "National Institute of Statistics of Rwanda" hervor. Viele der Kinder sind billige Arbeitskräfte, werden ausgebeutet und sexuell missbraucht. Kritiker werfen dem seit 2000 im Amt befindenden Kagame eine Umgehung der Demokratisierung und Rohstoffausbeutung des Ostkongo vor. Unabhängige Wahlen gibt es in Ruanda nicht. Kagame sei ein autoritärer Diktator.

Lewis Hamilton würde ein Rennen auf dem afrikanischen Kontinent begrüßen.
Hamilton wirbt für Afrika
Einen mächtigen Fürsprecher hat der Präsident dennoch – und zwar Lewis Hamilton. Der nächstjährige Ferrari-Pilot warb für das Land in Ostafrika: "Ruanda ist eines der Länder, in denen ich am liebsten gewesen bin." Hamilton macht sich seit vielen Jahren für Menschenrechte stark und kämpft öffentlich gegen Rassismus. Es wäre seiner Meinung nach wieder an der Zeit, in Afrika zu fahren. Den letzten Grand Prix auf dem Kontinent trug die Formel 1 im Jahr 1993 in Kyalami aus.
Die Südafrikaner wollen selbst zurück in die Königsklasse und hatten sich bereits um ein Comeback bemüht – bis jetzt allerdings ohne Erfolg. Mit Ruanda ist ein potenter Gegenspieler an den Verhandlungstisch gekommen, auch wenn eine Formel-1-taugliche Strecke erst noch gebaut werden müsste.
Die Ostafrikaner verfolgen analog zu Staaten wie Saudi-Arabien und Katar die Strategie des sogenannten Sportswashing, um ihren Ruf aufzupolieren und Touristen ins Land zu locken. Seit dieser Saison sponsert Ruanda den FC Bayern München, der zuvor für die Partnerschaft mit Katar kritisiert wurde. Trotz der erwähnten Probleme mit Armut im Land erhalten auch die Fußball-Klubs Paris Saint-Germain und der FC Arsenal Geld aus Ruanda. Nächstes Jahr steigt dort die Radsport-Weltmeisterschaft. Die Frage lautet, ob die Formel 1 dem Lockruf der Millionen folgt und ebenfalls auf den Ruanda-Zug aufspringt.