Wolfgang Graf Berghe von Trips war 33 Jahre alt, als er am 10. September 1961 nach dem WM-Titel griff. Der Traum hat sich für ihn nie erfüllt. Deutschland musste bis 1994 warten, bis Michael Schumacher das schaffte, was Trips versagt blieb. Schumacher und seinem Nachfolger Sebastian Vettel lernten den Namen Trips schon im Kindesalter buchstabieren. Der Graf hatte eine Kartbahn in Horrem bauen lassen. Sie wurde später nach Kerpen verlegt. "Ganz hinten im Wald gab es eine Haarnadelkurve, die seinen Namen trug. Da hörte ich zum ersten Mal von ihm", erzählt Vettel.
1961 steckte der Motorsport noch im tiefsten Mittelalter. Autorennen waren Ritterspiele, bisweilen mit tödlichem Ausgang. Um die Geschwindigkeiten einzudämmen, hatte der Weltverband die 1,5 Liter-Formel eingeführt. Mit knapp 200 PS, kalkulierten die Regelhüter, würde der Sport sicherer werden. Das Gegenteil trat ein. Die Chassisingenieure begannen das PS-Defizit durch extremen Leichtbau wettzumachen. Das brachte neue Gefahren mit sich.
Die englischen Hersteller wehrten sich bis zuletzt gegen die neue Motorenformel. Mit dem Ergebnis, dass Cooper, Lotus und B.R.M. zu Saisonbeginn keine konkurrenzfähigen Motoren hatten. "Mein Climax-Vierzylinder hatte 151 PS", erinnert sich Stirling Moss. "Die Ferrari V6-Motoren kamen mindestens auf 190 PS."
Erster deutscher Grand Prix-Sieg durch von Trips
So war der WM-Titel 1961 leichte Beute für Ferrari. Eigentlich ging es nur darum, ob die Krone an Phil Hill oder Wolfgang Graf Berghe von Trips gehen würde. Wenn es da nicht die heroischen Fahrten von Stirling Moss in seinem untermotorisierten Lotus-Climax gegeben hätte. Dort, wo es die Strecke zuließ, gewann der Engländer. In Monte Carlo und am Nürburgring. Die restlichen Siege teilten die Ferrari-Piloten unter sich auf. Graf Trips gewann in Zandvoort und Aintree, Hill in Spa-Francorchamps, Neuling Giancarlo Baghetti in Reims.
Dann stand Monza auf dem Plan. Monza, jene Rennstrecke, die den Graf zuvor schon zwei Mal fast das Leben gekostet hätte. Trips sollte beim GP Italien 1956 einen der fünf Ferrari D50 fahren. Ein schwerer Trainingsunfall verhinderte das Debüt. Ein Lenkhebel brach am Ausgang der Curva Grande. Das Auto machte einen Doppelsalto und war Schrott. Ferrari gab ihm trotzdem einen Werksvertrag für 1957. Anders als 1958, als Trips in der Startrunde in Monza auf den B.R.M. von Harry Shell auffährt. Beide Autos flogen in den Wald. Trips hatte ein Jahr Hausverbot. Es war die Zeit, in der die Engländer Trips den Namen "Count Crash" gaben.
Enzo Ferrari schmollte nur kurz. Der Commendatore mochte den Grafen. Vielleicht auch, weil er 1957 bei der Mille Miglia seinem Teamkollegen Piero Taruffi den Sieg schenkte. Es ist Taruffis letztes Rennen, sein letzter Versuch die Mille Miglia zu gewinnen, aber dann macht in Führung liegend das Getriebe schlapp. Trips könnte ihn überholen, aber er gibt dem Italiener Geleitschutz bis ins Ziel.
Trips muss nur vor Hill ankommen
Trips ging mit vier Punkten Vorsprung auf seinen Ferrari-Teamkollegen Hill zum vorletzten Lauf der Weltmeisterschaft. Da nur die besten fünf von acht Resultaten gewertet wurden und Ferrari sich den letzten Lauf in den USA aus Kostengründen ersparen wollte, musste der Deutsche nur vor Hill ins Ziel kommen, um vorzeitig Weltmeister zu werden.
Irgendwie lag ein unglücklicher Stern über dem Wochenende. Bei Reifentestfahrten in der Woche zuvor, gab es wie schon einmal ein Problem mit der Lenkung, diesmal in den gefürchteten Steilkurven. Trips brachte den Ferrari 156 unbeschadet zum Stehen. Der Grand Prix fand 1961 auf dem zehn Kilometer langen kombinierten Kurs von Rennstrecke und Oval statt.
Stirling Moss schaudert noch heute, wenn er sich den Balanceakt ohne Netz vor Augen führt. "Monza in diesen Tagen war schrecklich. Die Kombination von zwei unterschiedlichen Streckentypen machte es schwierig, die optimale Fahrzeugabstimmung zu treffen. Wenn du ein gutes Setup für den Straßenkurs gefunden hattest, passte es nicht für die Steilkurven. Du hast dort Fliehkräfte von drei bis vier g erreicht, während sie in den normalen Kurven nur bei 0,7 g lagen. Damit das Auto nicht aufsetzt, musste man ziemlich harte Dämpfer- und Federeinstellungen fahren. In den langsamen Kurven war das eher hinderlich. Das Auto war also immer ein Kompromiss."
Trips erwischt schlechten Start von der Pole Position
Trips stand zum ersten Mal bei seinen 27 GP-Starts auf der Pole Position. Um ihn herum vier Ferrari und ein B.R.M. Neuling Ricardo Rodriguez, der den Ferrari bei seinem Debüt gleich neben Trips in die erste Startreihe gestellt hatte, würde kein Problem darstellen. Der Mexikaner bekam Anweisung sich nicht in das Titelduell einzumischen. Andernfalls wäre der erhoffte Werksvertrag in Gefahr. WM-Konkurrent Hill stand drei Positionen hinter Trips auf Platz vier.
Dann führte das Schicksal grausame Regie. Ein schlechter Start, Platz sechs am Ende der ersten Runde, der Versuch, die langsameren Cooper von Jack Brabham und Lotus von Jim Clark so schnell wie möglich zu überholen, um den Anschluss an die Spitzengruppe nicht zu verlieren, die Phil Hill nach einem Blitzstart anführte. Die Verkettung unglücklicher Umstände verdichtete sich auf der Anfahrt zur Parabolica bei Tempo 240 zur Katastrophe.
Trips zog rechts an Clark vorbei, scherte aber so früh wieder auf die Ideallinie ein, dass sich das linke Hinterrad des Ferrari mit dem rechten Vorderrad des Lotus verhakten. Möglicherweise unterschätzte Trips, dass Clark mit dem um 20 Kilogramm leichteren Lotus eine Spur später bremsen konnte.
Tod vor der Parabolica: Genickbruch
Was dann passiert, ist tausendfach dokumentiert. Es gibt Fotos und einen Film. Die Unfallszenen liefen später auf allen Fernsehstationen. Der Ferrari biegt nach der Berührung mit Clarks Lotus im 45 Grad-Winkel nach links ab, eine Böschung wird zur Abschussrampe, ein Bretterzaun und die dahinter stehenden Zuschauer federn das rote Auto ab, das sich wie ein Kreisel drehend und überschlagend auf dem Grünstreifen links neben der Piste austobt. 15 Zuschauer finden den Tod. 60 werden verletzt. Viele Tote kommen aus der Schweiz. Einer aus der Reisegruppe hat eine Kamera dabei und filmt das Geschehen, bis er von dem Unglücksauto erschlagen wird.
Trips fliegt beim ersten Überschlag aus dem Auto und bricht sich das Genick. Der Graf liegt am Pistenrand, während sich der hintere Teil des Feldes einen Weg durch das Trümmermeer bahnt. Stirling Moss kann sich nur unscharf an den Moment erinnern. "Ich habe nicht viel gesehen. Monza war für unseren untermotorisierten Lotus der schlimmste Platz. Ich lag also irgendwo mitten im Feld. Das einzige, was ich erkennen konnte, war eine große Staubwolke, und im Vorbeifahren sah ich überall Wrackteile liegen." Clark steigt unbeschadet aus seinem Lotus.
Phil Hill wird Weltmeister
Die Menschen zuhause ahnen noch nichts von dem, was sich in der zweiten Runde des GP Italien abgespielt hat. Live-Berichterstattung gab es nur im Radio. Hans Herrman saß an diesem Tag nicht in seinem Porsche, sondern am Volksempfänger. "Die Stimme von Günther Jendrich höre ich noch heute, wie er plötzlich sagt: Ich muss Ihnen folgende Mitteilung machen. Wolfgang Graf Berghe von Trips hatte einen Unfall. Ohne zu wissen, was genau passiert ist, hatte ich gleich eine böse Vorahnung. Ich dachte: Oh Mensch, der Wolfgang. Und so kam es dann auch.
Wie üblich in Italien leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung des Unfalls ein. Lotus-Chef Colin Chapman und Jim Clark wurden später freigesprochen. Der WM-Titel ging an Phil Hill, der in Monza einen freudlosen Sieg davontrug. Als man ihm auf dem Siegerpodest erzählte, was in der Parabolica passiert war, erstarrte sein Gesicht.
Trips lange ohne deutschen Nachfolger
Der Unfall von Trips stürzte den Motorsport in Deutschland in eine tiefe Depression. Er starb einen Heldentod. Für manche war er ein deutscher James Dean. Heute stellt man sich die Frage, was passiert wäre, hätte Trips in Monza die Weltmeisterschaft gewonnen. Hätte es dann schon vor Jochen Mass einen weiteren deutschen GP-Sieger und vor Michael Schumacher einen zweiten deutschen Champion gegeben?
Nach dem Tod von Trips fiel der Motorsport in Deutschland in einen Dornröschenschlaf. Er wurde zwei Jahrzehnte zur Sportart non grata. Daran änderte auch der Sieg von Jochen Mass beim GP Spanien 1975 nichts. Im Gegenteil. Mass gewann, weil das Rennen nach einem schweren Unfall seines Landsmannes Rolf Stommelen abgebrochen werden musste. Grausame Duplizität der Ereignisse: Stommelens Hill-Cosworth tötete beim Surzflug über die Leitplanken fünf Menschen.